: „Gewisser Stillstand“ bei Investitionen
■ Meisner: Die Abwärtsentwicklung der Berliner Wirtschaft wird sich 1994 nicht fortsetzen / Imagekampagne wird gestartet
Der Vorschlag von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD), Kleingartenflächen zur Gewerbeansiedlung zu nutzen, findet bei seinem Parteifreund Norbert Meisner keinen Anklang. Die Stadt habe, so erklärte der Wirtschaftssenator gestern, genügend Flächen, um Dienstleistungsunternehmen unterzubringen, „wo wir wollen“. Daß der Bedarf nicht so groß ist, wie vielleicht von Nagel angenommen, ging aus den Zahlen hervor, die Meisner zum Ende des Wirtschaftsjahres 93 vorlegte. Danach war in den letzten 12 Monaten „ein gewisser Stillstand bei neuen Investitionszusagen“ zu verzeichnen, nach wie vor ist bei 260 Investitionsvorhaben in der Stadt von einem Volumen von 40 Milliarden Mark und der damit zusammenhängenden Schaffung von 175.000 Arbeitsplätzen auszugehen. Die Zurückhaltung der Investoren führt Meisner auf den nach wie vor unklaren Termin für den Umzug der Bundesregierung zurück.
Um die Wirtschaftsregion Berlin auch unabhängig von der Hauptstadtfunktion zu entwickeln, soll im Januar eine Kampagne zum Standortmarketing und zur Imageförderung gestartet werden. Meisner will dabei die Vorteile Berlins als Wissenschafts- und Forschungsstandort in den Vordergrund rücken. Mit diesem Pfund wurde zwar bereits Anfang der achtziger Jahre gewuchert, damals konnte es jedoch, so Meisner, nicht verfangen, weil die Wirtschaft aufgrund der Berlinförderung nur an flacher Produktion interessiert war. An der Kampagne, die auf fünf Jahre angelegt ist, soll sich auch die Wirtschaft beteiligen.
Kurzfristig wird sich die Wirtschaft der Stadt kaum nennenswert nach oben entwickeln. Meisner rechnet für 1994 mit einer Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um 1,5 bis 2 Prozent. Vor allem die Anhebung der Mineralölsteuer und die höheren Beiträge zur Rentenversicherung werden sich dämpfend auswirken. Deshalb werde die Beschäftigtenzahl im kommenden Jahr um die gleiche Marge zurückgehen. Die Arbeitslosenzahl werde sich auf dem Vorjahresniveau halten.
Die Konjunkturschwäche schlug sich vor allem in der Westberliner Wirtschaft nieder und war hier mit weitreichenden Umstrukturierungsmaßnahmen und Rationalisierungen verbunden. Dies drückte sich in der gestiegenen Rate von Arbeitslosen (12,5 Prozent gegenüber 11,1 in 1992) und in der massiven Zunahme von Kurzarbeitern aus. Deren Zahl stieg gegenüber 1992 um 4.000 auf 10.500. Sie sind vor allem in den Bereichen Elektrotechnik, Fahrzeug- und Maschinenbau zu finden. Hingegen spielt die Kurzarbeit in Ostberlin mit 3.700 Betroffenen kaum noch eine Rolle. Aus dem Ostteil der Stadt vermeldete Meisner auch die einzige Spitzenposition Berlins innerhalb der bundesdeutschen Wirtschaft. Hier sank die Arbeitslosenquote im November gegenüber dem Vorjahresmonat um 10 Prozent, in Gesamtberlin um 0,2 Prozent. Im Bundesdurchschnitt ist sie hingegen um 19,8 Prozent gestiegen. Dieter Rulff
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