Gewaltwelle nach Wahlbetrug: Viele Kikuyu oder Luo, aber wenige Kenianer
Mit dem Streit über die Präsidentschaftswahlen brechen in Kenia alte Konflikte zwischen den großen ethnischen Gruppen wieder auf.
BERLIN taz Wer einen Kenianer nach dessen Herkunft fragt, bekommt als Antwort meist keine geografische Angabe genannt, sondern den Namen einer Ethnie. Man ist Kikuyu, Luo oder gehört zu einer anderen der rund 40 Bevölkerungsgruppen des Landes. Kenias Politik und Gesellschaft sind ethnisch extrem fragmentiert. Der zunehmende Einfluss des Tribalismus, also des Denkens in ethnischen Kategorien, auf das öffentliche Leben wurde vor den Wahlen im Dezember im Land selbst weithin beklagt - aber nicht ernst genug genommen, um vorbeugende Maßnahmen gegen erneute Konflikte zu treffen.
Historisch standen die Kikuyu, Kenias größte Bevölkerungsgruppe und im Zentrum des Landes beheimatet, an vorderster Front des Widerstands gegen die britische Kolonialmacht. Die Kikuyu hatten viel Land an weiße Siedler verloren, sie rächten sich mit dem blutig niedergeschlagenen Mau-Mau-Aufstand der 50er-Jahre. Jomo Kenyatta, der nach der Unabhängigkeit im Jahr 1963 zum ersten Präsidenten wurde, war ein Kikuyu. Zunächst regierte er in einer Allianz mit der zweitgrößten Ethnie des Landes, den Luo aus dem Westen. Der Luo Oginga Odinga, Vater des heutigen Oppositionsführers Raila Odinga, wurde Vizepräsident.
Aber Odinga hatte wenig zu sagen, 1966 wurde er entlassen, und wenige Jahre später gab es blutige ethnische Konflikte. Als Kenyatta 1978 starb, übernahm sein Stellvertreter Daniel arap Moi von der kleinen Gruppe der Kalenjin die Macht. Viele hofften damals, dass dies die ethnischen Konfrontationen des Landes entschärfen würde. Aber Moi favorisierte systematisch seine eigene Ethnie und benachbarte Bevölkerungsgruppen um seine Geburtsstadt Eldoret in den fruchtbaren Bergen des Rift Valley. Kikuyu und Luo fanden sich in der Opposition wieder.
Als 1991 das Mehrparteiensystem eingeführt wurden und im Jahr darauf die ersten freien Wahlen stattfanden, organisierten viele mächtige Politiker ihren Wahlkampf als Krieg: Die Mehrheit im eigenen Wahlkreis sicherte man sich dadurch, dass man Angehörige anderer Ethnien verjagte. Im Rift Valley vertrieben regierungstreue Kalenjin-Milizen zwischen 1991 und 1993 300.000 Menschen, zumeist zugezogene Kikuyu, aber auch Luo und andere. Die "Rift Valley Clashes" forderten über 1.000 Tote. Neue Unruhen ähnlicher Art gab es seitdem regelmäßig. Es geht um Landrechte - und um Mehrheitsverhältnisse.
Inzwischen ist fast die gesamte Bevölkerung des Rift Valley und Westkenias bewaffnet. Kenia ist mit illegalen Kleinwaffen überschwemmt. Es ist das Transitland für das meiste Rüstungsmaterial in den Kriegen Somalias, Äthiopiens, Sudans, Ugandas und des Afrika der Großen Seen, und vieles bleibt hängen. Im Rift Valley haben die seit den Neunzigerjahren berüchtigten "Kalenjin Warriors" ihre Waffen behalten. In Nairobi und Umgebung hat die Kikuyu-Miliz "Mungiki" in den letzten Jahren viele Jugendliche angeworben.
2002 verlor Moi nach 25 Jahren eine Wahl, und die Kikuyu kehrten mit Mwai Kibaki an die Macht zurück. Für ihn war das die späte Korrektur einer historischen Ungerechtigkeit. Dass Kenias größte Bevölkerungsgruppe auf demokratischem Wege die Macht verlieren könnte, scheint für viele Kibaki-Anhänger unbegreiflich. Kibaki hielt es vor den letzten Wahlen auch nicht für nötig, seine früheren Alliierten aus anderen Ethnien bei der Stange zu halten. Stattdessen ging Luo-Führer Odinga, der Kibaki zunächst unterstützt hatte, in die Opposition und baute ein breites Bündnis auf, das bis zum Lager des ehemaligen Diktators Moi reicht und nur einen gemeinsamen Nenner hat: Kibaki muss weg. Für viele Militante heißt das heute: Die Kikuyu müssen weg.
Für eine demokratische Entwicklung ist das Gift. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die systematischsten Übergriffe jetzt in und um Eldoret stattfinden, die Heimat Mois. Wieder werden Kikuyu gejagt - unter dem Vorwand des Kampfs gegen Wahlfälschung.
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