Gewalt: Clan vor Gericht
Das Landgericht verhandelt gegen zwei Brüder des kurdischen M.-Clans. Einer soll einem Discobesucher das Auge zertreten haben. Die Anwälte kritisieren die Medien.
Unter schweren Sicherheitsvorkehrungen begann gestern am Landgericht der Prozess gegen die Brüder Halil und Ali M. Die beiden sollen am 1. Mai dieses Jahres vor dem NFF-Club in der Katharinenpassage zwei andere Gäste schwer verletzt haben.
Der 23-jährige Halil soll einen am Boden liegenden Mann so stark gegen den Kopf getreten haben, dass er drei Brüche im Schädelbereich erlitt und auf einem Auge erblindete. Der 22-jährige Ali soll zunächst einen anderen Discobesucher mit einem Messer angegriffen haben. Als dieser sich gegen die Attacke wehrte, soll der Angeklagte ihm einen Standaschenbecher so in den Rücken geworfen haben, dass ein Teil eines Lendenwirbels abgerissen wurde.
Ali M. war 2007 im Zusammenhang mit der Discomeilen-Schießerei wegen Beihilfe zum versuchten Totschlag zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und 10 Monaten verurteilt worden, die etwa nach der Hälfte zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Zu Beginn der Verhandlung griffen die Verteidiger Medien und Politik scharf an. Alis Rechtsanwalt Horst Wesemann forderte das Gericht auf, "sich nicht den Anforderungen der Politik zu beugen". Er wolle sich "nicht verkneifen, zu Protokoll zu geben, dass auch ein M. Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren hat". Sein Kollege Carsten Scheuchzer sagte, es sei "angesichts der Berichterstattung geboten darauf hinzuweisen, dass in einem Strafprozess kein Platz für einen Feldzug der Behörden" gegen die bekannte kurdisch-libanesische Familie sein dürfe. Die Kammervorsitzende wies den Verdacht der Voreingenommenheit zurück. "Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns von sowas nicht beeinflussen lassen," so die Richterin. "Wir kennen alle die veröffentlichte Meinung in der Stadt," entgegnete ihr Wesemann.
Die Anwälte spielten vor allem darauf an, dass die Bild-Zeitung im September auf ihrer Bremer Lokalseite ein fast seitenfüllendes Foto von Polizeipräsident Holger Münch druckte. Dies war überschrieben mit den Worten "Polizeipräsident erklärt den M.s den Krieg" - im Original war der Familienname ausgeschrieben. Doch das vermeintliche Zitat hat die Bild erfunden: Er habe "diese Aussage niemals getätigt, noch habe ich mit der Bild-Zeitung gesprochen", sagt Münch. Ebenso wenig wie ein leitender LKA-Beamter, der ebenfalls ausführlich zitiert wird. Weil man über die Methoden schwer verärgert war, würden seither Interviewanfragen der Bild-Zeitung von der Bremer Polizei verweigert. Zuvor allerdings hatte der Weser-Kurier - ebenfalls ganzseitig - von einer Herbstoffensive der Polizei gegen die Familie berichtet. Diese Darstellung sei jedoch "okay" gewesen, sagt ein ranghoher LKA-Beamter.
Die Polizei rechnet dem M.-Clan in Bremen 2.600 Personen zu, die allerdings verschiedene Nachnamen tragen. Eine hohe Zahl der Männer falle immer wieder wegen schwerer Straftaten wie Drogenhandel oder Erpressung und bisweilen sogar Tötungsdelikten auf, so das LKA. Kurz nach Erscheinen des Bild-Artikels stellte die Polizei fest, dass Angehörige der Familie begonnen haben, in der Öffentlichkeit mit T-Shirts herumzulaufen, die ein umkränztes "M" zeigen, darunter der Aufdruck "Das goldene M.". Die erfundene Kriegserklärung hat offenbar identitätsstiftende Wirkung auf den Clan gehabt.
Gestern fochten die Verteidiger die Besetzung der verhandelnden Kammer an und beantragten, Ali M. für die Dauer des Prozesses aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Rund 20 Freunde und Verwandten der Angeklagten verfolgten den Prozess im Gerichtssaal. Bis Ende Januar sind noch 13 Verhandlungstermine angesetzt.
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