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Gewalt in der PflegeMachtmissbrauch im Altenheim

Wohlfahrtsverbände und Beratungsstellen sind sich einig: Verstärkte Heimaufsicht hilft nicht gegen Gewalt in Altenheimen - verstärkte Prävention hingegen schon

Nicht immer wird mit Senioren so pfleglich umgegangen. Wie oft es zu Übergriffen kommt, ist unklar. Bild: DPA

Hätte der Sohn einer 85 Jahre alten Bewohnerin des Bremer Pflegezentrums „Forum Ellener Hof“ nicht illegal gehandelt – die Altenpflegerin, die seine Mutter gequält hat, würde wohl noch heute in ihrem Beruf arbeiten. Er hatte der demenzkranken Frau lange keinen Glauben geschenkt, als die mehrfach erzählte, sie würde im Heim geschlagen. Dann installierte er in ihrem Zimmer heimlich eine versteckte Kamera, und die zeichnete auf, wie die Pflegerin seine Mutter anschrie und an den Haaren zog.

Wie oft es zu gewalttätigen Übergriffen kommt, weiß niemand genau. Die Dunkelziffer ist hoch. Ein Grund dafür ist, dass gerade Demenzkranken oft zu wenig Glauben geschenkt wird: „Das ist ein riesengroßes Problem“, sagt Arnold Knigge, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (LAG FW). „Angehörige sollten jeden noch so kleinen Hinweis ernst nehmen und das Gespräch mit der Heimleitung suchen“, sagt der Ex-Sozialstaatsrat. Daneben gebe es Beratungsstellen – in Bremen seien das die LAG-eigene Demenz-Informations- und Koordinationsstelle (DIKS) oder die Unabhängige Patientenberatung Bremen (UPB). „Eine versteckte Kamera“, so Knigge, „kann keine Lösung sein – da muss es andere Wege geben.“

Die kennen viele Angehörige jedoch nicht, und auch bei der LAG FW scheint man nicht so ganz auf dem neuesten Stand zu sein: „Wir haben mit dem Thema Pflege eigentlich gar nichts mehr zu tun“, sagt Adele Ihnen von der UPB. „Dafür sind seit 2009 die Pflegestützpunkte zuständig.“ Sigrid Hartmann arbeitet beim Bremer Stützpunkt und empfiehlt, bei einem Verdacht die Heimaufsicht, die Pflegekassen und den medizinischen Dienst der Krankenkasse zu kontaktieren: „Ich möchte aber ganz klar sagen, dass wir wirklich tolle Pflegeheime haben und dieser schreckliche Fall als Einzelfall betrachtet werden muss.“ Unter der dadurch losgetretenen Debatte würden nun alle Heime leiden.

Das sieht Heinz Küpper anders. Er arbeitet bei der „Help-Line“, einer bei der DIKS angesiedelten Telefonberatung für pflegende Angehörige. Obwohl ihm persönlich kein Fall von Gewalt in der Pflege bekannt ist, sei ihm bewusst, dass es sie gebe, nicht nur in Heimen: „Die Strukturen sind vergleichbar mit denen bei Kindesmisshandlungen: Da stehen sich ein mächtiger und ein ausgelieferter Mensch gegenüber. Und die ausgelieferten Menschen verraten den Täter oft nicht.“ Tun sie es doch, „wird ihnen vielfach nicht geglaubt.“

Alle sind sich einig: Es gibt zu wenig PflegerInnen, von denen zu viele zu schlecht qualifiziert sind. Das führe zur Überlastung und zur Überforderung – und vielleicht auch zu gewalttätigen Übergriffen. Aber: Alle sind sich auch einig, dass das Problem vielschichtiger und eine Verstärkung der Heimaufsicht keine Lösung ist.

„Es fehlt vielmehr an präventiven Maßnahmen“, so Arnold Knigge, „an besserer Kommunikation, an regelmäßigen Fortbildungen und an der Sensibilisierung bereits in der Ausbildung.“ In der Sozialdeputation, die sich in ihrer morgigen Sitzung mit dem Thema befassen wird, will die LAG eine entsprechende Fachtagung anregen.

Heinz Küpper wünscht sich indes eine Stärkung der ambulanten Pflege und Fürsorge: „Heim bedeutet immer: Institution und Abhängigkeit.“

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5 Kommentare

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  • I
    Irmi

    Würden Familienangehörige, die ihre alten Eltern pflegen wollen von den Kassen ordentlich bezahlt, müßten nicht so viele in Pflegeheime gebracht werden.

    Meine Freundin bekommt jetzt für die Pflege ihrer Mutter 250 € im Monat und sie ist reichlich beschäftigt, in einem Heim zahlt man heute mindesten 3.500 €. Wer soll das bezahlen ? Dann geht man an deren Kinder ran und nimmt denen weg, das ihnen das Minimum bleibt ?

     

    Das man dann alte Menschen für das viele Geld auch noch misshandelt ist ein echter Skandal. Man sollte solchen "Pflegeangestellten" die selbe Behandlung zuteil werden lassen, damit sie erfahren wie sich das anfühlt

     

    Die Heimleitungen müssen mehr Personal einstellen und nicht nur an ihren Profit denken.

     

    In Kongo z.B. gibt es keinerlei Sozialhilfe, dennoch werden die Elten von ihren Kindern versorgt. Seit ein paar Jahren gibt es sogenannte Altenheime, wenn die Alten keine Kinder haben und andere die Pflege nicht übernehmen wollen.

     

    Da sieht ein "Altenheim" dann so aus, es gibt einen Raum wo die Frauen schlafen und einen wo die Männer schlafen. Wer kann hilft einer dem anderen Heimbewohner. Essen kommt nicht vom Staat, das sind Spenden die wildfremde Leute vorbeibringen. Ansonsten sitzen die alten Leutchen auf einem Plastikstuhl im Hof und harren der Dinge die da so kommen mögen.

  • HB
    Heinz Boxan

    Woran liegt es, dass es in den Pflegeheimen nicht immer menschenfreundlich zugeht?

     

    Wer das Problem kennt, Betreuung, Pflege und Umgang mit demenzkranken Menschen, weiß wie sehr das physisch und psychisch belastend ist. Ein Ausrasten darf dennoch nicht sein, weil die armen Menschen nichts dafür können, dass der Verstand schwindet und das Verhalten sich total ändert. Wir kommen vielleicht selbst dort an.

     

    Abhilfe kann nur erfolgen, wenn weitaus mehr Pflegepersonal zur Verfügung steht und es zu einer Überlastung mit den folgenden Auswüchsen nicht kommen kann. Da herrscht großer Mangel. Durch wesentlich bessere Bezahlung und Ausbildung könnte das Übel beseitigt werden.

     

    Ich weis wovon ich schreibe, denn Meine Frau und ich pflegen unsere demente Mutter seit sieben Jahren. Eine Katastrophe, die wir geduldig, nachsichtig und tolerant ertragen müssen. Das ist unglaublich schwer, doch ein Abschieben ins Heim kommt nicht in Frage.

  • L
    lilalaunetante

    Hallo, erst vor wenigen tagen habe ich in der einrichtung in der ich arbeite beobachtet, wie ein bewohner von einer pflegefachkraft geschlagen wurde. ich war in dem moment sehr erschrocken, habe deshalb erstmal nichts gesagt, wenig später dann mit einem vertrauten kollegen gesprochen. am tag darauf bin ich dann damit zur pflegedienstleitung und diese hat ein gespräch mit allen beteiligten veranlasst. da die fachkraft das schlagen des bewohners abstreitet, konnte der heimleiter keine entscheidung treffen und damit war die sache für alle beteiligten abgeschlossen, ich war geschockt, es soll also keine konsequenzen geben, weil der bewohner krankheitsbedingt nicht in der lage ist sich dazu zu äußern und weil aussage gegen aussage steht. dazu muss ich sagen, dass mir nichts daran gelegen wäre eine nette und freundliche kollegin zu verlieren, aber unter diesen umständen denke ich erst an die sicherheit meiner bewohner. aber dies scheint wohl die heimleitung nicht zu interessieren, denn am folgenden tag wurde ich zum chef zitiert und ich wurde inständig auf die schweigepflicht hingewiesen, da ich mit einem zuvor angegeben hab, dass ich einen kollegen angesprochen habe, ebenfalls wurde geäußert, dass man enttäuscht von mir wäre im zusammenhang damit, dass ich während des gesprächs meine tränen kaum zurückhalten konnte und dies wohl so gedeutet wurde, dass ich mit der entscheidung des chefs unzufrieden sei. unterschwellig hatte ich das gefühl, dass ich mir für die zukunft doch besser vornehmen sollte nicht mehr so viel staub aufzuwirbeln, ich wusste nicht ob ich weinen oder lachen sollte. heute ist mein freier tag und ich recherchiere den ganzen tag, welche möglickeiten mir bleiben, bisher leider ohne erfolg. vielleicht hat jemand einen rat für mich. bisher bleibt allerdings ein gefühl der ratlosigkeit und der traurigkeit und ich hoffe inständig, dass ich niemal alt werde und in einer einrichtung mit solch einer mitarbeiterin lande.

  • AS
    Arglosigkeit schafft Gequälte

    Zitat "... Sigrid Hartmann ... „Ich möchte aber ganz klar sagen, dass wir wirklich tolle Pflegeheime haben und dieser schreckliche Fall als Einzelfall betrachtet werden muss.“ ..."

     

    Klar, wenn sich Frau Sigrid Hartmann nicht dafür interessiert, DASS die eine (in der taz berichtete) Züchtigung der alten Dame mit Demenz eben NICHT die einzige Züchtigung in dem Heim gewesen sein kann, dann lebt es sich als 'Sozial'arbeiterin ganz prächtig: Nichts tun, den gesamten Tag Beamten-Mikado 'Wer sich zuerst bewegt, hat verloren') spielen und Geschäftigkeit vorgeben. Frau Sigrid Hartmann ist damit beruflich fehl am Platze!

  • WB
    Wolfgang Banse

    Menschen kommen in statioären Einrichtungen zu SchadenDem muss entgegengewirkt werden.Auch Mensceh n in statiönäre Einrichtungen besitzen eine Würde und behalten diese bis zum Tode.Sie sollten auch mit Würde behandelt werden.