Gewalt gegen Frauen in Südkorea: Femizid im U-Bahnhof
In Südkorea wurde erneut eine Frau von ihrem Stalker ermordet. Doch die Gewalt gegen Frauen wird dort weiterhin verharmlost.
Am Mittwochabend lauerte in den Gängen der U-Bahn-Station Sindang ein 31-jähriger Mann seinem Opfer auf. Er wartete 70 Minuten, bis die Angestellte der Metro die Damentoilette aufsuchte. Dort stach er sie nieder. Noch in der Nacht starb die Frau.
Ihr tragischer Tod ist kein Einzelfall. Die linke Tageszeitung Hankyoreh wertete schon Ende 2021 500 Morde an Frauen aus und stellte fest, dass bei über einem Drittel aller Femizide der Täter schon zuvor durch Gewalt aufgefallen war.
Auch beim Mord an der Station Sindang war das der Fall. Täter und Opfer waren einst Arbeitskollegen. Er stalkte die Frau mehrere Jahre und drohte ihr zuletzt damit, illegale Filmaufnahmen von ihr ins Internet hochzuladen, wenn sie sich weiter seinen Annäherungen verweigere.
Die Bedrohte bekam keinen offiziellen Schutz
Die Bedrohte erstattete zweimal Anzeige, doch fand sie keinen Schutz: Denn eine einstweilige Verfügung gegen den Mann wurde stets abgelehnt.
In Südkoreas sozialen Medien stößt der Fall auf große Resonanz. Viele junge Frauen reagieren mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und Wut. Denn seit Jahren prangen nahezu im Wochentakt brutale Femizide auf den Titelseiten der Zeitungen, ohne dass das männliche Establishment der patriarchal geprägten Gesellschaft das Problem wirklich anerkennt.
Auch jetzt argumentieren viele Politiker erneut mit klassischer Täter-Opfer-Umkehr: Ein Abgeordneter sagte etwa im Parlament, der Täter habe so gehandelt, „da die Frau seine Annäherungen nicht erwidert“ habe.
Erst Ende August publizierte die Regierung unter der Ägide des Ministeriums für Gleichstellung eine Studie, nach der jede dritte Koreanerin schon Gewalt erfahren habe. In fast 50 Prozent der Fälle sei der Täter der jeweilige Partner oder Ehemann gewesen.
Ministerium geht verschämt mit Erkenntnissen um
Doch noch beschämender ist der Umgang mit diesen Erkenntnissen: Die Erhebung wurde nur still und heimlich auf der Ministeriums-Webseite publiziert. Die sonst übliche Presseerklärung samt einer Pressekonferenz gab es nicht.
Das dürfte politische Gründe haben. Denn ebenjenes Ministerium für Gleichstellung, das sich für die Belange von Frauen einsetzt, soll unter dem seit Frühjahr amtierenden Präsidenten Yoon Suk Yeol abgeschafft werden.
Der konservative Politiker hatte mit diesem Wahlversprechen gezielt junge Männer angesprochen, von denen viele ihre Ablehnung des Feminismus eint. Die Botschaft verfing: Während knapp 60 Prozent der männlichen Wähler in ihren Zwanzigern für Yoon stimmten, waren es unter den Frauen dieser Altersgruppe nur 33 Prozent.
„Dass Frauen diskriminiert werden, während Männer bevorzugt behandelt werden, gehört der Vergangenheit an“, sagte Yoon zuletzt. Doch das lässt sich leicht falsifizieren: Unter allen OECD-Staaten hat Südkorea das stärkste Einkommensgefälle zwischen den Geschlechtern.
Präsident steht für „schädliche Geschlechterstereotype“
„Yoons misogyne Perspektiven spiegeln die schädlichen Geschlechterstereotype wider, von denen Südkoreas Gesellschaft so durchdrungen ist“, sagte damals Boram Jang von Amnesty International, „Sie basieren auf der Überzeugung, Frauen seien keine vollwertigen Menschen mit denselben Rechten.“
Nicht wenige Frauen in Südkorea sehen darin den politischen Nährboden, in dem die Gewalt toxischer Männer gedeihen kann. Der jüngste Femizid hat nun zumindest eine gesellschaftliche Debatte angestoßen.
Zum Tatort in der U-Bahn-Station Sindang strömen nach wie vor Hunderte Koreanerinnen, um ihre Trauer auszudrücken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen