Gewalt gegen Demonstranten: Polizeiprügel kommt vor Gericht
Zwei Polizisten schlugen 2009 auf einen Radfahrer auf der "Freiheit statt Angst"-Demonstration ein. Nun wird Anklage erhoben. Viel zu spät, moniert Amnesty.
BERLIN taz | Das Video sorgte für wochenlange öffentliche Diskussionen: Tausende Menschen protestieren am 12. September 2009 in Berlin auf der "Freiheit statt Angst"-Demonstration gegen Datenspeicherung. Eine Demonstrantin wird festgenommen, ein Mann in blauem T-Shirt und mit Fahrrad fragt deshalb einen Polizisten nach dessen Dienstnummer - und wird weggeschickt. Daraufhin zerrt ihn ein Polizist zurück, ein zweiter schlägt ihm mehrmals mit der Faust ins Gesicht. Die Szene wurde auf Handyvideos festgehalten und zigfach im Internet veröffentlicht. Jetzt, 14 Monate nach der Tat, erfolgt die Anklage gegen zwei Polizisten.
Bisher schweigt die Berliner Staatsanwaltschaft zu der Anklageerhebung. Zuletzt teilte sie nur mit, dass die Ermittlungen kurz vorm Abschluss stünden. Ein Schreiben des zuständigen Staatsanwalts vom 17. November, das der taz vorliegt, hält nun fest, dass gegen die beiden Polizisten "hinsichtlich des Vorwurfs der (gemeinschaftlichen) Körperverletzung im Amt […] Anklage erhoben" wurde. Konstatiert werden "Körperverletzungshandlungen" gegen den Geschädigten, bei denen dieser "nicht unerheblich verletzt wurde".
Laut seinem Verteidiger, Johannes Eisenberg, wurden dem Opfer Ober- und Unterlippe vom Kiefer abgerissen. Eisenberg kritisierte die lange Dauer bis zur Anklageerhebung. "Der Fall war seit November 2009 ausermittelt." Aufgrund der eindeutigen Videobeweise sei eine Anklage seit Längerem zwingend gewesen. Der Verteidiger beklagte zudem, dass die Polizisten nicht dafür belangt werden, dem Radfahrer fälschlich Widerstand gegen seine Festnahme vorgeworfen zu haben. "Das widerspricht offensichtlich den Videos und muss als Lüge geahndet werden", so Eisenberg.
Die Staatsanwaltschaft wertete die Vorwürfe gegen die beiden jetzt angeklagten Polizisten wegen falscher Verdächtigung als haltlos. Die Ermittlungen gegen den Demonstranten wegen des mutmaßlichen Widerstands sind bereits seit Juli eingestellt. Mehr noch: Die Staatsanwaltschaft konstatierte, dass sich der Geschädigte gegen den unrechtmäßigen Einsatz hätte "widersetzen" dürfen.
Bereits verurteilt wurden zwei Polizisten, die im Tumult nach der Radfahrer-Festnahme Demonstranten mit Faustschlägen verletzt hatten. Sie erhielten Geldstrafen von 1.500 beziehungsweise 4.500 Euro.
Monika Lüke, Generalsekretärin von Amnesty International, begrüßte die "endlich erhobene Anklage" gegen die beiden jetzt Beschuldigten, kritisierte aber die lange Ermittlungsdauer. Der Vorfall zeige, wie wichtig eine individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten sei, um Verfahren von Polizeigewalt nicht im Sande verlaufen zu lassen, so Lüke. "Private Videoaufnahmen können nicht die Verantwortung der Polizei ersetzen."
Bodo Pfalzgraf von der Deutschen Polizeigewerkschaft urteilte, seit je stehe die Polizei im Fokus der Öffentlichkeit, auch vor der Verbreitung von Handyvideos. Dazu gehöre auch die "rechtsstaatliche Überprüfung von Einsätzen". Bei den "Millionen von Einsätzen in Berlin" lägen die überprüfenswerten Vorfälle "im Promillebereich", so Pfalzgraf.
Laut Berliner Polizei gab es 2008 626 Ermittlungsverfahren gegen Beamte, 2009 waren es 718 und in diesem Jahr bis September 418. Hochgerechnet auf das ganze Jahr sei dies der niedrigste Wert seit zehn Jahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen