■ Getrost könnte die CDU das U für Union aus ihrem Parteinamen streichen: Unfähig zur Aufklärung des eigenen Finanzgebarens, demonstrieren die Christdemokraten nie gekannte Uneinigkeit. Keiner vertraut den Parteifreunden: Alles rennet, rettet, flüchtet
Es ist Schwindel erregend: Kohls schwarze Konten, der illegale Millionentransfer von der Fraktion zur Partei, Schäubles Geständnis, vom bayerischen Waffenhändler 100.000 Mark kassiert zu haben, und der vorläufige Höhepunkt: die illegalen Schwarzgeldkonten der hessischen CDU in der Schweiz und in Liechtenstein.
Haben CDUler in den vergangenen Wochen noch versucht, mit staatsmännischen Statements abzuwiegeln, herrscht nach dem Hessenskandal Orientierungs- und Fassungslosigkeit: „Mir fällt zu diesem ganzen Thema nichts mehr ein“, faucht in Berlin stinksauer der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz.
Machte es die starke Bindung an Helmut Kohl in der Partei noch irgendwie akzeptabel, dass er ein System von schwarzen Konten nach seinem Gutdünken hatte einrichten lassen, sind die mafiosen Finanzpraktiken des Law- and-Order-Menschen Kanther auch parteiintern nicht mehr zu rechtfertigen. Schon attestiert die ehemalige Präsidentin des Deutschen Bundestags, Rita Süssmuth, ihrer Partei eine „tiefe Glaubwürdigkeits- und Identitätskrise“. Die Menschen hätten sich in „hohem Maße“ mit Personen wie Kohl und Kanther identifiziert, doch diese hätten anders gehandelt, „als wir es von ihnen erwartet haben“.
Generalsekretärin Angela Merkel spricht nun nicht mehr nur von „strukturellen“, sondern auch von „personellen“ Konsequenzen. Und der Hesse Roland Koch legt seinem politischen Ziehvater Kanther nahe, sein Bundestagsmandat zurückzugeben. Die CDU zerfällt in tausend Stücke. Da sind diejenigen, die an Schäuble festhalten, weil sie keine Alternative sehen oder aber weil sie sein Vorgehen zwar nicht für geschickt, aber für juristisch korrekt halten. Andere fordern vehement den Rücktritt des Parteivorsitzenden und halten weiter am „großen“ Helmut Kohl fest. Die Komplott-Theorie macht die Runde, wonach Kohl nun versucht, den untreuen Schäuble zu demontieren, und ihm das mittels getreuer Vasallen im Adenauerhaus und in den Medien auch gelingt. Wie sonst lasse sich erklären, dass seit einer guten Woche nicht mehr Kohl der Böse ist, sondern einzig und allein Schäuble? Merkel spricht von einem „taktischen Spiel, bei dem mit harten Bandagen gekämpft wird“. Dieses Spiel wird Schäuble verlieren. Der Parteivorsitzende ist kaum noch zu halten, egal wie schuldig oder unschuldig er ist. Schon wird geknobelt, wer denn nun das Krisenmanagement betreiben und die Partei besser führen könnte. Annette Schavan, Angela Merkel, Kurt Biedenkopf.
Biedenkopf gilt als Favorit – aber er dementiert. Jürgen Rüttgers wäre auch eine Variante, aber der Spitzenkandidat im NRW-Landtagswahlkampf machte in den letzten Wochen im Zusammenhang mit der Spendenaffäre keine besonders gute Figur. Natürlich lässt es sich die Schwesterpartei CSU nicht nehmen, Edmund Stoiber zu preisen. Unter jüngeren Abgeordneten gebe es Überlegungen, wie es denn nun weitergehen könne, heißt es. Zwar sind sie nicht mehr „jung und wild“, aber sie sind die Nach-Kohl-Generation und könnten für eine Entkohlifizierung der Partei stehen – ganz im Sinne von Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin und SPD-Fraktionschef Peter Struck. Beide haben den gesamten CDU-Bundesvorstand zum Rücktritt aufgefordert. Aber Roland Koch hängt selbst im Sumpf, Peter Müller hat seine Probleme im Saarland, und Parteivize Christian Wulff findet das Ganze zwar „zum Kotzen“, aber mehr auch nicht.
„Jeder gegen jeden“ ist die Devise. Denn man weiß ja nicht, was einer noch zu verheimlichen hat. Und wem soll man noch was glauben? Schäuble oder Koch zum Beispiel. Schäuble behauptet, er sei erst eine Stunde vor der Pressekonferenz von Koch und Kanther informiert worden. Koch bestreitet dies: Er habe Schäuble Donnerstagmorgen angerufen und ihm gesagt, „er soll die Darstellung mit den Erbschaften nicht mehr öffentlich vertreten“. Dann habe er ihn laufend informiert. Lügt Schäuble? Oder Koch?
Es bleibt kaum Raum für weiter gehende rationale Überlegungen, die über das alltägliche Überleben hinausgehen, wie zum Beispiel die des Präsidiumsmitglieds Rainer Eppelmann. „Wir müssen die Vergötterung von Helmut Kohl kritisch hinterfragen. Sonst passiert so was noch mal, bei uns und bei anderen“, sagt er. Eigentlich will das im Moment keiner wissen, so lange nicht, wie sie „an der Fliegenklatsche derjenigen hängen, die den Mund nicht aufmachen“. Deswegen wird ein neuer Parteiname für die CDU auch weiterhin die Runde machen: Cash Dealers United. Karin Nink, Berlin
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