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Gesundheitsrisiko LeistungssportAuf dem Altar der Selbstoptimierung

Leistungssportler betreiben Schindluder mit ihrem Körper. Eine Studie zeigt, dass meist jene früher sterben, die bei Olympia hoch hinaus wollen.

Hat sich selbst geopfert: Florence Griffith-Joyner Foto: PCN/imago

S portler werden nicht älter, sie sterben nur gesünder, sagen jene, die sich nicht bewegen mögen, und wenn sie auf die neue Studie des Koblenzer Sportökonomen Lutz Thieme schauen, dann dürfte sich die Sport-ist-Mord-Fraktion bestätigt fühlen. Die Ergebnisse sind eindeutig: Leistungssport im Extrembereich verkürzt das Leben.

Man hatte das ja schon immer irgendwie geahnt, spätestens seit dem sehr frühen Tod von Florence Griffith-Joyner, dreimalige Olympiasiegerin im Sprint, die mit 38 Jahren im Schlaf erstickte. Griffith-Joyner lief die 100 Meter in 10,49, die 200 Meter in 21,34 Sekunden. Ihre Weltrekorde sind schon fast so alt, wie sie selbst geworden ist: 31. Die US-Amerikanerin versuchte, mit überlangen Fingernägeln und reichlich Schminke ihre weibliche Seite zu betonen, doch ihr von Dopingsubstanzen deformierter Körper sagte etwas anderes: Ich habe mich auf dem Altar der Selbstoptimierung geopfert, ich habe alles getan, um schnell (alt) zu werden.

Leistungssportler, mithin Olympioniken treiben nun mal Schindluder mit ihrem Körper. Sie nehmen den Raubbau in Kauf, um in ihren Zwanzigern und Dreißigern auf den Olymp zu steigen, und den Rest ihres Lebens humpeln sie von diesem Sehnsuchtsziel hinab in ein, nun ja, Tal der Schmerzen. Verletzungen sind schon in jungen Jahren ein ständiger Begleiter, der Verschleiß der Sehnen und Gelenke setzt früher ein.

Man muss nur an Boris Becker, Olympia-Goldmedaillengewinner im Tennis-Doppel, denken, dessen Hüften und Knöchel Stoff für etliche Orthopädie-Seminare hergeben. Manche gehen mit einer Ibuprofen-Niere in den Ruhestand, andere mit einer Anabolika-Leber, Dritte mit vierfacher Kreuzband-Knie-OP. Die Wenigsten überstehen ihre Karriere unbeschadet und scheinen wie Medikamententester Lance Armstrong fit wie eh und je zu sein.

Olympisches Risiko

Olympioniken, sagt Thieme, sind besonders hart betroffen. Ob sie jemals ihre Rente genießen können, ist nicht gewiss. Der ehemalige Schwimmer des SC Turbine Erfurt hat Daten der Olympischen Spiele von 1956 bis 2016 ausgewertet und sich die Mortalitätsrate von 6.066 deutschen Olympiateilnehmern angeschaut (1.959 Frauen und 4.107 Männern). Ein Ergebnis: Olympia-Teilnehmer aus der alten Bundesrepublik haben im Alter zwischen 35 und 64 Jahren ein nahezu doppelt so hohes Sterberisiko wie die gleichaltrige Durchschnittsbevölkerung. 400 Sportler, darunter 138 Medaillengewinner, waren zum Stichtag 1. Juli 2019 bereits verstorben.

Der olympische Erfolg stelle „ein lineares Risiko für die Überlebenswahrscheinlichkeit dar“, sagt Thieme. Wer also aufs olympische Podium steigt, stirbt früher. So beträgt das Sterberisiko eines Silbermedaillengewinners 93 Prozent im Vergleich zu einem Olympiasieger. Weitere Ergebnisse: Männer sind schlechter dran als Frauen, und Wessi-Sportler schlechter als Ossis. Ein interessanter Befund, lässt er doch erahnen, wie üppig der Wildwuchs im Dopingdickicht der BRD war. Und er wirft die Frage auf, ob nicht auch Sportlerinnen und Sportler aus Hamburg oder Bochum ein Anrecht auf eine Entschädigung als Dopingopfer haben.

Der Professor hat seine Studie mit dem Titel „Jung stirbt, wen die Götter lieben?“ überschrieben. Das soll der griechische Dichter Menandros gesagt haben. Der Held, ein Halbgott, hat auf Erden einiges zu ertragen, aber wenn er stirbt, kann er auf dem Olymp mit den Göttern speisen. Nebenan lockt das Paradies, und eine Parzelle weiter tanzen 72 Jungfrauen. Es ist schön dort oben. Aber bis dahin, so sagt es Studienleiter Thieme, müssen die Athleten olympische Karrieren mit dem „Einsatz von Lebenszeit“ bezahlen. Ein teurer Spaß.

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Redakteur
Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • was sagte mal ein Sportprof im DLF zur Tour de France: ein ungedopter kann diese Wattleistung am Berg über einen solch langen Zeitraum niemals erbringen... Abweichung von den besten ungedopten Messungen die er kenne: 20-30%. und selbst dann wäre fraglich ob man so was dann täglich neu schafft.

    George Carlin: if your life gets boring: risk it!

  • Andererseits soll man ja nicht das Leben mit Jahren, sondern die Jahre mit Leben füllen.

    Ich bewundere den Mut und die Ausdauer von Athletinnen und Athleten im Amateurbereich, die OHNE Doping Topleistungen bringen und dabei körperliche, psychische und mentale Erfahrungen machen, die anderen verborgen bleiben.

    Beim kommerziellen Leistungssport sieht es leider anders aus. Da gebe ich dem Bericht recht.

  • Franzi gegen die Schwimmschränke(*) aus China. Erinnere ich noch sehr gut. Geniale Bilder + Schlagzeilen in der Springerpresse damals.

    Franzi ist noch da und gut drauf. Die Schwimmschränke wurden später jahrelang wegen Doping gesperrt, einige starben gar vorzeitig. Da konnte man live sehen was Doping so anrichtet.

    (*) gem. Genderspeak muss es glaube ich Schwimmschränk:Innen heissen. Oder Schwimmschrank:In:nen.

  • "Leistungssportler, mithin Olympioniken treiben nun mal Schindluder mit ihrem Körper. Sie nehmen den Raubbau in Kauf,"

    und die leistungsgesellschaft treibt "Schindluder mit" dem planeten und nimmt "den Raubbau in Kauf"

    zeit das eine wie das andere abzuschaffen oder stark einzuschränken

    die gesundheit und die lebenserwartung der sportler*innen würden strengere dopingkontrollen und eine begrenzung der tage an denen sie trainieren dürfen ,sowie auch eine begrenzung der jahre in denen sie an sportlichen wettkämpfen teilnehmen dürfen und eine begrenzung der zahl der medaillien die sie gewinnen dürfen schützen

    gegen die exzesse der leistungsgesellschaft helfen ein bedingungsloses grundeinkommen ,eine allgemeine arbeitszeitverkürzung,eine progressive einkommenssteuer und eine vermögensobergrenze

  • Jetzt bloß nicht über Marathonveranstaltungen nachdenken,



    oder Triathlon.



    Wer so was schreibt entzieht ja einer ganzen Industrie die Geschäftsgrundlage. Oder Fragen sie mal Orthopäden was sie von Yoga halten. Analogie.



    Dr. med. Max Otto Bruker sagt: "Essen und trinken Sie nichts, wofür Werbung gemacht wird".

  • Pervers

    Leistungssport ist genau so pervers wie schwerer Alkoholimus.

  • Als Schlagobers - die nie widerlegte umfängliche Studie:



    “If you want to build character? Try something else.“



    Von Ogilvie/Tutko.

    unterm——



    Als alter Leistungssportler/Rudern(mit 20 - 4 DM) - schmunzel ich immer wieder:



    Die taz von - “Leibesübungen“ - to - “Sport“ - still going strong! - 😱 -