■ Gesundheit: Die Schwindsucht galoppiert ins nächste Jahrtausend: Das Ende der Ausreden
Man stelle sich vor, Aids könnte geheilt werden. Nicht durch sündhaft teure High-Tech-Medikamente, sondern durch eine simple, aber 16 Wochen dauernde kombinierte Antibiotika-Behandlung, die 25 Dollar kostet. Danach wäre der Patient gesund, der Erreger verschwunden. Man stelle sich weiter vor, daß trotz dieser leicht verfügbaren, billigen und effektiven Therapie die Epidemie ungebrochen grassierte, ja sogar noch zunähme, so daß Jahr für Jahr Millionen Menschen an Aids stürben und die Epidemie zum weltweit größten Killer aufrückte. Die Krankenzahlen explodierten weiter, weil einige Länder das Problem ignorierten, andere zwar Atombomben zündeten, aber die Kranken nicht vernünftig behandelten. Wieder andere hätten solch chaotische Gesundheitssysteme, daß auch dort die TB-Zahlen zunähmen. Stopp! Man muß sich dieses Szenario nicht länger phantasievoll ausmalen. Man muß nur hingucken. Die Phantasie ist Realität: Die weltweite Situation der Infektionskrankheit Tuberkulose ist genau so.
Diese Woche hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alarm geschlagen. Sie tut dies drei- bis viermal im Jahr mit immer neuen Zahlen, die das Unheil beschreiben. Die WHO hat inzwischen den Welt-Tuberkulose-Tag eingerichtet, sie organisiert internationale Meetings, und sie hält ständig neue Superlative parat, um die Weltgemeinschaft aufzuwecken – alles sichere Indizien dafür, daß die Dinge schlecht laufen.
Inzwischen nennt die WHO aber Roß und Reiter. Sie scheut nicht mehr davor zurück, Länder mit einer katastrophalen TB-Politik beim Namen zu nennen. Seit den Erfolgen von Tansania, von Vietnam und Bangladesh in der Bekämpfung dieser Krankheit gibt es keine Ausreden mehr. Es ist eben keine Frage von Arm oder Reich, keine Frage des Geldes, diese Krankheit zurückzudrängen. TB ist zwar weiterhin die Krankheit des Elends, aber auch die ärmsten Länder können sie abwehren.
Wer wie Indien und Pakistan mit Atombombenexplosionen militärische Muskeln zeigt, aber ungerührt Hunderttausende der Schwindsucht opfert, der zeigt eindrucksvoll, daß die TB-Bekämpfung vor allem eine Frage des politischen Willens und der Prioritätensetzung ist. Die beiden neuen „Atommächte“ gehören übrigens zu jenen Ländern, die bei der WHO unter dem Stichwort „Shambles“ registriert sind. Das Oxford Dictionary bietet zwei Übersetzungen an: Trümmerhaufen, Schlachthaus. Manfred Kriener
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