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Gestohlene StolpersteineRückkehr nach Zeitz

Am 7. Oktober klauten Unbekannte die zehn Stolpersteine der Stadt Zeitz in Sachsen-Anhalt. Dank vieler Spenden konnten sie nun alle ersetzt werden.

Dank Spenden: Die neuen Stolpersteine für Familie Mendelssohn und andere Opfer der Shoah konnten nach Diebstahl neu verlegt werden Foto: Heiko Rebsch/dpa

Zeitz taz | Nach wenigen sanften Schlägen mit dem Gummihammer sind die Namen der Mendelssohns zurück in Zeitz: Emma Esther, Bertha-Pess und Siegfried. Kalter Wind fegt Laub an diesem Donnerstag durch die Kramerstraße der Stadt in Sachsen-Anhalt. Hier lebte die Familie Mendelssohn, bis die Nazis sie 1940 zum Umzug nach Halle zwang. Weil sie Juden waren. Die Mendelssohns starben etwas später durch die deutsche NS-Diktatur. Daran erinnern die drei Stolpersteine – wieder. Denn wie alle zehn Stolpersteine in Zeitz wurden auch die der Mendelssohns vor fast zwei Monaten, in der Nacht zum 7. Oktober, von Unbekannten herausgerissen und geklaut.

Das Datum – genau ein Jahr nachdem die Hamas in Israel rund 1.200 Menschen ermordete – legt einen politischen Hintergrund nahe. Aber bislang gibt es keinen Hinweis auf die Täter:innen. Die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) hat die Ermittlungen eingestellt.

Sollte das Motiv der Tä­te­r:in­nen gewesen sein, die Namen und Geschichten der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Zeitz verschwinden zu lassen, hätten sie das Gegenteil erreicht. Der Fall bekam bundesweit Aufmerksamkeit und mehr als tausend Spen­de­r:in­nen gaben insgesamt 53.000 Euro, um die Steine zu ersetzen.

Hergestellt wurden sie vom Künstler Gunter Demnig, der das Stolperstein-Projekt vor etwa dreißig Jahren ins Leben gerufen hat. In Zeitz verlegen an diesem Donnerstag zwei Arbeiter der Stadt die Gedenksteine. Um die beiden herum hat sich eine kleine Menschentraube aus Bür­ge­r:in­nen und Me­di­en­ver­tre­te­r:in­nen gebildet. Der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), ist ebenso gekommen wie der Zeitzer Oberbürgermeister Christian Thieme (CDU).

53.000 Euro an Spenden

In einer kurzen Ansprache betont Thieme: „Wir können es eben nicht dulden, dass das Gedenken beseitigt wird.“ Danach bedankt er sich bei Landrat Ulrich für die Idee, Spenden zu sammeln.

Auf Nachfrage erklärt Götz Ulrich der taz, natürlich hätten Landkreis und Stadt die Steine auch mit eigenen Geldern ersetzen können. Doch die Spenden seien ein starkes Symbol: „Wir müssen jetzt gemeinsam was tun, um diese Stolpersteine wiederherzustellen.“ Dass mehr als 53.000 Euro dabei zusammenkommen würden, damit habe er nicht gerechnet. Für die Steine selbst brauche die Stadt nur einen kleinen Teil davon.

Was passiert mit dem Rest des Geldes? Schon von Beginn an war klar: Was nicht für die Stolpersteine gebraucht wird, geht nach Weißenfels an das Simon-Rau-Zentrum, einen Verein mit dem Ziel, die Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde der Stadt Weißenfels zu wahren. Dessen Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender, Enrico Kabisch, steht am Donnerstag auch in der Kramerstraße. Als „sehr würdevoll“, bezeichnet er die Neuverlegung der Stolpersteine. Allerdings hatte Kabisch gehofft, dass mehr Bür­ge­r:in­nen kommen würden. „Vielleicht liegt es an der Uhrzeit, so unter der Woche.“

Mit den rund 50.000 Euro, die sein Verein nun voraussichtlich bekommt, soll eine neue Ausstellung zu jüdischem Leben im Burgenlandkreis finanziert werden. Dazu möchte Kabisch mit anderen Vereinen und Initiativen im Landkreis zusammenarbeiten.

178 antisemitische Taten in einem Jahr

Vielleicht hilft das dabei, den Antisemitismus in Sachsen-Anhalt einzudämmen. Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in Sachsen-Anhalt gab es im vergangenen Jahr 178 antisemitische Vorfälle im Bundesland. Die Taten hatten allerdings unterschiedliche Hintergründe: Teilweise gingen sie auf Rechtsextreme zurück, standen im Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen oder bezogen sich auf den Staat Israel.

In 15 Fällen registrierte Rias 2023 Antisemitismus an Gedenk­orten, die an die Shoah und nationalsozialistische Verbrechen erinnern. Dabei handelte es sich laut Jahresbericht vor allem um Sachbeschädigungen.

Die Zahlen für 2024 wird die Informationsstelle im kommenden Frühjahr veröffentlichen. Doch im Gespräch mit der taz heißt es von Rias jetzt schon: In Sachsen-Anhalt etabliere sich zunehmend israelfeindlicher Aktivismus. Diese Tendenz sei besonders in den Großstädten Halle und Magdeburg wahrnehmbar. Wobei Rias nicht sagen kann, wie ausgeprägt der Antisemitismus im ländlichen Raum ist. Das sei eher ein „Dunkelfeld“. Die Informationsstelle hat dort kaum Quellen.

In Zeitz verlegen die Arbeiter am Donnerstag auch die restlichen sieben Stolpersteine neu. Allerdings: Schon bei der zweiten Station, den Steinen von Lydia und Hermann Blumenthal, sind fast nur noch ein paar Me­di­en­ver­tre­te­r:in­nen dabei.

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1 Kommentar

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  • Gute Nachricht. Auf dass die mutmaßlich Antisemitischen Diebe doch noch gefasst werden können.