Gestohlene Stolpersteine: Rückkehr nach Zeitz
Am 7. Oktober klauten Unbekannte die zehn Stolpersteine der Stadt Zeitz in Sachsen-Anhalt. Dank vieler Spenden konnten sie nun alle ersetzt werden.
![Die neuen Stolpersteine für die Familie Mendelsohn in der Kramerstraße liegen bereit um verlegt zu werden. Sie liegen auf einem Stehtisch, der mit einer roten Decke drapiert ist Die neuen Stolpersteine für die Familie Mendelsohn in der Kramerstraße liegen bereit um verlegt zu werden. Sie liegen auf einem Stehtisch, der mit einer roten Decke drapiert ist](https://taz.de/picture/7385189/14/37117011-1.jpeg)
Das Datum – genau ein Jahr nachdem die Hamas in Israel rund 1.200 Menschen ermordete – legt einen politischen Hintergrund nahe. Aber bislang gibt es keinen Hinweis auf die Täter:innen. Die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) hat die Ermittlungen eingestellt.
Sollte das Motiv der Täter:innen gewesen sein, die Namen und Geschichten der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Zeitz verschwinden zu lassen, hätten sie das Gegenteil erreicht. Der Fall bekam bundesweit Aufmerksamkeit und mehr als tausend Spender:innen gaben insgesamt 53.000 Euro, um die Steine zu ersetzen.
Hergestellt wurden sie vom Künstler Gunter Demnig, der das Stolperstein-Projekt vor etwa dreißig Jahren ins Leben gerufen hat. In Zeitz verlegen an diesem Donnerstag zwei Arbeiter der Stadt die Gedenksteine. Um die beiden herum hat sich eine kleine Menschentraube aus Bürger:innen und Medienvertreter:innen gebildet. Der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich (CDU), ist ebenso gekommen wie der Zeitzer Oberbürgermeister Christian Thieme (CDU).
53.000 Euro an Spenden
In einer kurzen Ansprache betont Thieme: „Wir können es eben nicht dulden, dass das Gedenken beseitigt wird.“ Danach bedankt er sich bei Landrat Ulrich für die Idee, Spenden zu sammeln.
Auf Nachfrage erklärt Götz Ulrich der taz, natürlich hätten Landkreis und Stadt die Steine auch mit eigenen Geldern ersetzen können. Doch die Spenden seien ein starkes Symbol: „Wir müssen jetzt gemeinsam was tun, um diese Stolpersteine wiederherzustellen.“ Dass mehr als 53.000 Euro dabei zusammenkommen würden, damit habe er nicht gerechnet. Für die Steine selbst brauche die Stadt nur einen kleinen Teil davon.
Was passiert mit dem Rest des Geldes? Schon von Beginn an war klar: Was nicht für die Stolpersteine gebraucht wird, geht nach Weißenfels an das Simon-Rau-Zentrum, einen Verein mit dem Ziel, die Erinnerung an die ehemalige jüdische Gemeinde der Stadt Weißenfels zu wahren. Dessen Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender, Enrico Kabisch, steht am Donnerstag auch in der Kramerstraße. Als „sehr würdevoll“, bezeichnet er die Neuverlegung der Stolpersteine. Allerdings hatte Kabisch gehofft, dass mehr Bürger:innen kommen würden. „Vielleicht liegt es an der Uhrzeit, so unter der Woche.“
Mit den rund 50.000 Euro, die sein Verein nun voraussichtlich bekommt, soll eine neue Ausstellung zu jüdischem Leben im Burgenlandkreis finanziert werden. Dazu möchte Kabisch mit anderen Vereinen und Initiativen im Landkreis zusammenarbeiten.
178 antisemitische Taten in einem Jahr
Vielleicht hilft das dabei, den Antisemitismus in Sachsen-Anhalt einzudämmen. Laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in Sachsen-Anhalt gab es im vergangenen Jahr 178 antisemitische Vorfälle im Bundesland. Die Taten hatten allerdings unterschiedliche Hintergründe: Teilweise gingen sie auf Rechtsextreme zurück, standen im Zusammenhang mit Verschwörungserzählungen oder bezogen sich auf den Staat Israel.
In 15 Fällen registrierte Rias 2023 Antisemitismus an Gedenkorten, die an die Shoah und nationalsozialistische Verbrechen erinnern. Dabei handelte es sich laut Jahresbericht vor allem um Sachbeschädigungen.
Die Zahlen für 2024 wird die Informationsstelle im kommenden Frühjahr veröffentlichen. Doch im Gespräch mit der taz heißt es von Rias jetzt schon: In Sachsen-Anhalt etabliere sich zunehmend israelfeindlicher Aktivismus. Diese Tendenz sei besonders in den Großstädten Halle und Magdeburg wahrnehmbar. Wobei Rias nicht sagen kann, wie ausgeprägt der Antisemitismus im ländlichen Raum ist. Das sei eher ein „Dunkelfeld“. Die Informationsstelle hat dort kaum Quellen.
In Zeitz verlegen die Arbeiter am Donnerstag auch die restlichen sieben Stolpersteine neu. Allerdings: Schon bei der zweiten Station, den Steinen von Lydia und Hermann Blumenthal, sind fast nur noch ein paar Medienvertreter:innen dabei.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links