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■ Gestern jährte sich der Tag, an dem Stalin die tschetschenische Bevölkerung deportieren ließ. 400.000 Menschen starben damals. Der 23. Februar ist zum Symbol des Widerstands gegen die russsische Gewaltherrschaft gewordenRusslands ewiger Todesstreifen

„Wer nie im Kaukasus gewesen, hat Kummer nicht erfahren“, verdichtet ein Sprichwort der Donkosaken das unendliche Leid, das die Völker des Kaukasus, aber auch ihre russischen Eroberer, im 19. Jahrhundert ertragen mussten. Eingang in die Politik des Moskauer Kolonialherrn fand die Einsicht der Kosaken freilich nicht. Auch im folgenden Jahrhundert ließ der Bezwinger des Kaukasus im Umgang mit den freiheitsliebenden Bergvölkern keine Gnade walten. Auf Mord, Raub und Verletzungen der Menschenwürde mussten Kaukasier jederzeit gefasst sein. Auch die UdSSR, die sich die internationale Völkerfreundschaft auf die Fahne geschrieben hatte, machte keine Ausnahme. Im Gegenteil: Diktator Stalin interpretierte den bolschewistischen Internationalismus auf recht eigenwillige Weise. Am 23. Februar 1944 ließ er die Tschetschenen über Nacht zusammentreiben und in Viehwaggons nach Kasachstan transportieren. Wer gebrechlich war oder sich weigerte, wurde erschossen, ertränkt oder samt Haus verbrannt. An die vierhunderttausend Tschetschenen kamen auf dem Weg in die Verbannung ums Leben. Nur die Hälfte des Volkes erreichte die Steppen Mittelasiens lebend.

Sieben kaukasischen Ethnien widerfuhr das gleiche Schicksal, unter ihnen die Balkaren und Inguschen. Seit ihrer Rückkehr aus der Verbannung 1957 begehen die Tschetschenen den 23. Februar als einen inoffiziellen Gedenktag. Der russische Kolonialherr, der im letzten Jahr wieder mit Waffengewalt einmarschierte, um „terroristische Banden zu bekämpfen“, versetzte die Sicherheitsorgane landesweit in erhöhte Alarmbereitschaft. Angeblich wollte Moskau Hinweise erhalten haben, tschetschenische Rebellen planten Anschläge im russischen Kernland. Doch es blieb ruhig. Die Warnungen aus dem Kreml dienen vor allem dem Zweck, der russischen Wählerschaft Sorge, Wachsamkeit und Tatkraft vorzugaukeln – Eigenschaften, die bei russischen Politikern gewöhnlich selten zu finden sind. Interimspräsident Wladimir Putin ist es erstaunlich lange gelungen, durch das rigide Freund-Feind-Schema Politik zu simulieren. Vorstellungen, wie es im gesamten labilen Kaukasusraum weitergehen soll, hat der Kreml bis dato nicht vorgelegt. Das Freund-Feind-Schema hat sich besonders gut im Umgang mit den Kaukasiern bewährt, die seit je unter dem alltäglichen Rassismus in Russland zu leiden haben. Der russische Volksmund nennt sie „tschernye“ – Schwarze. Das Denken in Kategorien von Freund und Feind ist einerseits Ersatz für konstruktive Politik, andererseits schafft es erst die Voraussetzung, Politik umzusetzen. Durch den Entwurf öffentlicher Feindbilder kann der Kreml undemokratische Maßnahmen nach innen, wie sich gerade im Umgang mit der Presse zeigt, legitimieren und dabei noch auf das Verständnis der Bevölkerung bauen.

Das Vorgehen des Kreml heute ist nicht weit von Stalins Praktiken entfernt. Der georgische KPdSU-Generalsekretär ließ die Völker in den 40er-Jahren unter dem Vorwand deportieren, sie hätten mit den deutschen Invasoren kollaboriert. Verbannt wurden indes gerade jene Völker, die sich entweder den Faschisten verweigert hatten oder – wie die Tschetschenen – nie mit ihnen in Kontakt gekommen waren. Der öffentliche Diskurs des demokratischen Russland hat diese Frage nie ernsthaft aufgegriffen und den Opfern Wiedergutmachung widerfahren lassen. Ein Beweis, wie wenig es dem Zentrum um die Menschen im Kaukasus geht. Der Region kommt im russischen Denken lediglich eine geostrategische Bedeutung zu.

Eine makabre Koinzidenz: Auch die russische Armee begeht am 23. Februar offiziell ihren „Ehrentag“. Rücksichtnahme gegenüber den Gefühlen der kleinen Völker gehörte weder zum Repertoire der poststalinistischen noch der Ära Boris Jelzin.

Die neue russische Regierung unter Wladimir Putin setzte zwar einen Menschenrechtsbeauftragten für Tschetschenien ein. Und dieser, Wladimir Kalamanow, sicherte Anfang der Woche zwar zu, alle Vorwürfe genau zu prüfen. Allerdings wird in Kreisen der NGOs stark bezweifelt, dass der ehemalige Chef des russischen Migrationsdienstes sein Versprechen einlösen kann. Selbst wenn er wollte, heißt es, sei er nicht mit den Kompetenzen ausgestattet, sich den Interessen der Sicherheitsorgane zu widersetzen. Viele halten seine Ernennung lediglich für ein Täuschungsmanöver des Kreml, der mit Blick auf die Entscheidung über den Ausschluss Russlands aus dem Europarat, die im April ansteht, nun Kompromissbereitschaft simulieren möchte. Noch in der letzten Woche hatte Russland der UN-Flüchtlingskommissarin Mary Robinson den Zutritt zu der besetzten Region verweigert.

Klaus-Helge Donath, Moskau

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