■ Gestern Morgen konnte noch niemand sagen, wer die CDU am Abend führen würde. Nun ist klar: Wolfgang Schäuble bleibt ihr Vorsitzender. Und Helmut Kohl soll Namen nennen – oder seinen Ehrenvorsitz ruhen lassen: Er geht, bleibt, geht – er bleibt
Drei Flaschen Wasser stehen auf dem Podiumstisch. Hinter einer wird Angela Merkel Platz nehmen, hinter der zweiten Wolfgang Schäuble, soviel läßt sich sagen, denn dort ist statt eines Stuhls Platz für den Rollstuhl des CDU-Vorsitzenden. Doch wer wird hinter der dritten Flasche sitzen? Womöglich ein unbekannter Dritter, ein neuer Mann, ein Nachfolger für den Vorsitzenden der Christlich Demokratischen Union Deutschlands?
Den Nachmittag über haben sich am Rande der Notsitzung der CDU-Gremien die Gerüchte überschlagen. Angeblich will Schäuble hinschmeißen, heißt es mehrmals. Dann bietet sich die Antwort auf einen Blick: Als sich lange, lange nach der anberaumten Zeit die CDU-Pressesprecherin Christiansen hinter der dritten Flasche niederlässt, ist klar – Schäuble bleibt. Seine zentrale Botschaft: Helmut Kohl soll den Ehrenvorsitz ruhen lassen.
Dieser Beschluss von Präsidium und Vorstand entscheidet fürs Erste einen Machtkampf in der CDU. Schäuble, nicht Kohl hat sich durchgesetzt. Mit seinem Rücktritt hat der Parteichef gedroht, so viel wird schnell klar. Die Solidaritätsadresse des Präsidiums lief auf einen „suicide pact“ hinaus, ein Bündnis zum kollektiven Selbstmord: Wenn Schäuble zurücktrete, dann sei das Präsidium als engster Führungskreis der Partei entschlossen gewesen, ihm zu folgen, heißt es hinterher. Nicht nur ließ Schäuble daraufhin seinen Vorsatz endgültig fahren, er nutzte die Unterstützung zum Bruch mit Helmut Kohl. Fast spektakulär gering fiel der Widerstand gegen den Appell an Kohl aus, den Ehrenvorsitz ruhen zu lassen, solange er die Namen seiner Spender verschweigt. Nur zwei Gegenstimmen bei 50 bis 60 Anwesenden – so schwach stand das Kohl-Lager noch nie da. Ein Grund könnte in Schäubles überraschender Einberufung der Gremien liegen. Den Mitgliedern von Präsidium und Vorstand blieben keine 24 Stunden bis zum Beginn der Beratungen.
Dramatisches steht an, so viel ist allen Beteiligten klar, doch selbst die Gremienmitglieder wissen nicht, worauf sie sich einrichten sollen. Was auf der Tagesordnung stehe, wird der Bremer CDU-Landeschef Bernd Neumann gefragt. „Die Lage.“ Rita Süssmuth betritt das Haus. Erwartungen? „Schlimmste Befürchtungen.“ Kein bisschen Hoffnung? „Wenig.“
Knapp fallen die Statements der meisten Christdemokraten an diesem Morgen aus. Trotzdem verraten sie einen Wandel in der Partei, der die spätere Entscheidung gegen Helmut Kohl nicht ganz so überraschend macht. Vor kurzem galten in der CDU selbst schwammigste Einlassungen zu den Vergehen des Ehrenvorsitzenden als mutig, ja nachgerade kühn. „Aufklärung ohne Ansehen der Person“ war solch ein Satz, und Christian Wulff, der CDU-Chef in Niedersachsen, wurde dafür innerparteilich angegriffen. Die Formulierung treibe die Kritik an Helmut Kohl nun wirklich zu weit, fanden viele Christdemokraten. Tempi passati. Wulff nennt die Affäre inzwischen „zum Kotzen“ und Kohls Verhalten offen „parteischädigend“. Sein Parteifreund Horst Eylmann wirft dem Altbundeskanzler „permanenten Verfassungsbruch“ vor. Ole von Beust aus Hamburg fordert schon vor Beginn der Sitzung eine „scharfe Distanzierung von Kohl“. Dass Kohlianer und Aufklärer um die Vorherrschaft in der CDU ringen, leugnet jetzt auch die Parteispitze nicht mehr. „Es gibt einen Machtkampf“, sagt Wulff vor der Präsidiumssitzung.
Längst kämpft die Mannschaft des Wolfgang Schäuble um ihr eigenes Überleben. Die Verluste sind gestiegen. Bisher hat die Partei zur Besänftigung der zürnenden Öffentlichkeit nur entbehrliche Gestalten geopfert: Terlinden, Weyrauch, Baumeister und Kanther. Seit sich der Skandal zum Moloch ausweitete, droht er größere Brocken zu verschlingen – doch ob es Kohl trifft oder Schäuble, das ist die Frage, die hier entschieden wird. „Ich weiß nicht, was Sie mit Machtkampf meinen“, sagt Schäuble kühl. Er kann sich Coolness offenbar leisten.
Auffällig ist, wie derzeit die Aufklärer den Ton in der CDU bestimmen. Es wird in der Partei umso mehr auf Kohl geschimpft, je mehr der Spendenskandal zur Affäre Schäuble geworden ist. Dahinter steckt System: Seit Wolfgang Schäuble ins Visier geraten, sind nicht mehr nur Glanz und Gloria der Kohl-Jahre bedroht sind, sondern die neuen Mächtigen in der Partei. Um Schäuble und Merkel, um die Hoffnung und Zukunft der Union zu verteidigen, scheinen immer mehr führende Christdemokraten bereit, Helmut Kohl endgültig vom Sockel zu stoßen. Dass Kohl sich wehrt, lässt sich oft nur erahnen. Von Erpressungsversuchen des Herrschers über das System Kohl munkeln manche. Sein immenses Wissen, seine Kontakte bis tief in das Adenauer-Haus hinein würden ihm erlauben, Schäuble mit belastendem Material zu desavouieren.
Der Schwabe diente dem Pfälzer als Fraktionsgeschäftsführer, als Kanzleramtsminister, als Innenminister und zuletzt als Fraktionsvorsitzender. Schäuble bewegte sich über Jahre derart eng an Kohls Seite, so die Spekulation, dass der Schmutz an Kohls Stiefeln auch ihn besudelt haben muss. Weniger bildhaft ausgedrückt heißt das, Schäuble hatte genau die Positionen inne, in denen man fast zwangsläufig von Kohls Machenschaften erfahren musste. Die Erklärung der CDU von gestern hat die Erpressungstheorie freilich widerlegt. Was auch immer Kohl an Druckmitteln gegenüber seinem Nachfolger in der Hand hatte – es hat nicht ausgereicht. Schäuble hat sich vom möglichen Folterinstrumentarium des Schwarzen Riesen nicht beeindrucken lassen. Stattdessen wird Kohl mit dem Ehrenvorsitz das letzte Insignium seiner innerparteilichen Macht genommen. Ein wenig von der Härte der Auseinandersetzung zwischen beiden Politikern blitzt auf, als Schäuble auf seiner Pressekonferenz erklärt, dass ein Telefonat mit Kohl zum Appell führte, den Ehrenvorsitz ruhen zu lassen. „Das Gespräch hat diesen Beschluss notwendig gemacht“, sagt Schäuble knapp. Leicht haben es sich Schäuble und die Seinen nicht gemacht. Schon die Präsidiumssitzung durchbricht alle angekündigten Schlusszeiten. Kein Sitzungsteilnehmer, kein Funktionär und auch kein Mitarbeiter dringt zu den Journalisten vor. Selbst dem Sprecher eines CDU-Landesvorsitzenden gelingt es nicht, zu seinem Chef durchzukommen.
Wenn es nicht gerade um Leben und Tod geht, redet am Rande von Gremien immer einer. Offenbar ist es heute ernster um die CDU bestellt als je zuvor. Wie in Quarantäne bleiben die Christdemokraten weggesperrt – ganz so, als wären sie von einem Virus befallen. Als die ersten Gestalten die Treppe hinabsteigen, sehen sie aus, als hätten sie den Besuch auf einer Inten-sivstation hinter sich. Zum Zustand des Patienten, zum Verlauf der Operation ist ihnen kein Wort zu entlocken.
Patrik Schwarz, Berlin
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