: Gespannte Ruhe in Albanien
Anschläge auf Mitglieder der Demokratischen Partei fehlgeschlagen/ Demonstrationen in Tirana/ Shkoder nach gewaltsamen Auseinandersetzungen zum Teil verwüstet ■ Von Roland Hofwiler
Belgrad (taz) — Nach dem Urnengang am Sonntag kommt Albanien nicht zur Ruhe. Am Dienstag abend fielen aus einem Gebäude der kommunistischen Partei in Tirana mehrere Schüsse auf Demonstranten, die den Kommunisten einen Wahlsieg durch Betrug vorwarfen; danach löste eine Sondereinheit der Polizei die Versammlung auf. Nach dem amtlichen Endergebnis erhielten die Kommunisten 64,5 Prozent der Stimmen und 162 von 250 Sitzen im Parlament, die Demokraten kamen auf 27 Prozent und 65 Sitze. In Tirana war die Lage am Mittwoch vormittag gespannt. Am Sitz der Demokraten, wo sich nahezu tausend Menschen versammelt hatten, wurde ein starkes Polizeiaufgebot zusammengezogen. Im Botschaftsviertel wurden verstärkte Sicherheitsvorkehrungen beobachtet.
Auch in Shkoder herrschte gespannte Ruhe. Dort sollte am Nachmittag Arben Broci, führendes Mitglied der Demokraten vor Ort, beigesetzt werden. Am Vortag hatten Polizisten nach dem Sturm auf das KP- Hauptquartier mindestens vier Menschen getötet; aus den Krankenhäusern wurden 50 Verletzte gemeldet.
Am Tag danach bot Shkoder ein gespenstisches Bild: ausgebrannte Busse, geplünderte Geschäfte, zerstörte Wohnhäuser. Große blumengeschmückte Holzkreuze erinnerten an die Opfer des Polizeieinsatzes. Für die Einwohner sind es Märtyrer: vor allem der 28 Jahre lang für sozialdemokratische Bestrebungen inhaftierte Broci und der charismatische Priester Simon Jubani, das inoffizielle Oberhaupt der neuerwachten katholischen Kirche Albaniens.
Shkoder ist eine Art Gegenstück zum rumänischen Temeswar. Die einstige Ferienresidenz wohlhabender Mitteleuropäer erinnert auch in ihrem Stadtbild an den Einfluß der Habsburger Monarchie. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts rief die Lokaldynastie der Bushati, von den türkischen Sultanen weitgehend unbehelligt, den Paschalik-Freistaat aus.
Die ersten revolutionären Arbeitervereine Albaniens wurden hier 1905 gegründet, ebenso wie 1936 die erste KP-Organisation. Shkoder war aber auch der Hauptsitz aller demokratischen Widersacher des Stalinisten Enver Hodscha. Sein Handlanger: der ausgerechnet aus gutem Shkoderer Elternhause stammende Rechtsanwalt Ramiz Alia. Der heutige Staatschef will freilich an diese Zeiten nicht mehr erinnert werden. Doch sein jüngster Appell für einen historischen Kompromiß zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen ist bei den Hauptfiguren der demokratischen Opposition in Shkoder, Arben Broci und Simon Jubani, ungehört geblieben.
Wenn Tausende Shkoderer „Es lebe die freie Republik Shkoder“ skandieren, so signalisiert dies einen Unmut der Einwohner, der über das Verlangen nach mehr Demokratie deutlich hinausgeht: Ganz in der Unabhängigkeitstradition ihrer Stadt wollen sie raus aus dem untergehenden Schiff des kommunistischen Albaniens. Die Medien Tiranas machen jetzt „Terrorbanden“ und „Rowdies“ in Shkoder dafür verantwortlich, daß Albanien im Chaos zu versinken drohe. Ein Kommentar des ZK-Organs der KP stellt die unverblümte Frage: „Die Welt erkennt die Wahlen als frei und demokratisch an, soll man da Hooligans und Terroristen nachgeben?“
Indessen hat ein Sprecher der Demokratischen Partei über einen vereitelten Bombenanschlag auf das Parteibüro in Elbasan berichtet. In der Wohnung des Parteivorsitzenden in Saranda sei ein weiterer Sprengsatz hochgegangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen