: Gesetzte Herren?
■ Vom lästigen Erbe des Postrock und anderen gescheiterten Entwürfen: Jullander präsentieren ihr Debütalbum
Die Bezugnahme auf den Jazz gehört seit dessen weitgehender Kanonisierung – als Genre, das dem Pop die musikalische Ernsthaftigkeit bishin zur Überambition, der akademischen „E-Musik“ wiederum so manche Freiheit voraushat – zum Instrumentarium von Musikschaffenden, wollen sie ihre Reife demonstrieren, ohne in gänzlich uncoole Bereiche zu verfallen (und zum Beispiel Prog-Rock zu machen). Andernorts profilieren sich dieser Tage Elektronika-Produzenten durch die Ironisierung dieser Erkenntnis gegenüber dem Gros ihrer Zunft (etwa Jan Jelineks Loop-Finding-Jazz-Records); dass sie dabei des Ironisierten dringend bedürfen, um wirksam zu werden, den Jazz also nicht ohne weiteres durch „Soul, Funk – oder Pop“ (Jelinek in Groove £68) ersetzen können, ist eine andere Geschichte.
Auch die im weitesten Sinne Hamburger Band Jullander – in noch weiterem Sinne traditionell dem Indierock zugehörig – hat etwas mit Jazz zu tun. Und das nicht, weil Sänger und Gitarrist Andi Schoon gelegentlich mit anekdotischen Perlen aus der Genre-Geschichte aufwartet, oder weil seit geraumer Zeit mit Philip Andernach ein durchaus versierter Saxophonist für entsprechende Soundverweise sorgt. Musikalisch spielen Jullander am ehesten über die Bande Chicago mit dem Genre, was sich auch auf ihrem soeben fertiggestellten Album John Symmes' Welt nicht geändert hat; Chicago hierbei verstanden als Metapher für den dort besonders bedeutsamen Postrock, der etwa ab Mitte der 90er Jahre eins der großen Reformprojekte für manchen Vertreter des Indierock war – und eben vielfach die Übernahme von dem Jazz unterstellten Arbeitsweisen (Improvisation, „exotische“ Takte und Instrumentierungen) bedeutete.
Jullander haben ihre früheren Stärken, den Emo-Core und Auswüchse à la Karate oder June of 44 weiter geölt – sehr zum Gefallen übrigens so mancher der eigenen Vorbilder, in deren Vorprogramm die Band verschiedentlich bereits konzertierte. Vielleicht, um einer übermäßigen Erstarrung in den formalen Regularien des bisher bea-ckerten Feldes vorzubeugen, wie sie sich in vereinzelten Äußerungen ausdrückte, schraubte und feilte man am anderen Ende der musikalischen Interessen: Dort nämlich, wo die cleveren Erzählweisen von Brüllen oder vielleicht auch Kante zu Hause sind. Und so entfalten Jullander 2001 ganz große Emo-Qualitäten mit frappant treffsicher geratenen Texten über scheiternde Fußballidole („Libuda“), die Klüngeleien des (Hoch-)Kulturbetriebes („Alte Meister“) oder – als titelgebend übergreifende Idee – auch den heute aus skurril anmutende Hohlwelttheorien des John Symmes. Alexander Diehl
mit Age.Cee: Sonnabend, 22 Uhr, Astra Stube; John Symmes' Welterscheint bei Beau Rivage
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