Gesetze aus der NS-Zeit, die bis heute gelten: Wo Adolf noch regiert

Vom Ehegatten-Splitting über die Stellplatzpflicht bis zur Mord-Definition stammen viele noch heute gültige Gesetze aus der NS-Zeit. Das hat nicht nur symbolische Bedeutung sondern auch konkrete Konsequenzen

Bekannteste, aber nicht die einzige Hinterlassenschaft des Nazi-Regimes: die Autobahn Bild: dpa

BREMEN taz | 68 Jahre nach Hitlers Tod und dem Ende des „Dritten Reiches“ sind noch immer zahlreiche Gesetze und Verordnungen in Kraft, die vom „Führer“ und dessen Reichsregierung erlassen wurden. Auch in den aktuell gültigen Ländergesetzen sind diverse NS-Relikte zu finden – insbesondere in Norddeutschland, dem Besatzungsgebiet der Briten und US-Amerikaner. „Die Franzosen und Sowjets haben in ihren Zonen strenger durchgegriffen“, sagt der Bremer Völkerrechtler Gerhard Stuby.

Wer in Hamburg Lotto spielt oder in Bremens Kleingärten seine Hecke kurz hält, tut dies nach den Regeln des NS-Staates. Das „Gesetz über den Grunderwerb für die Kanalisierung der Mittelweser“ – ein rotes Tuch für niedersächsische Umweltschützer – stammt von 1936. Und wer sich etwa in Schleswig-Holstein über Sonderrechte der Jäger ärgert, für die Teile des Tierschutzgesetzes nicht gelten, verdankt das den NS-Jagdbestimmungen. Auch schwerere juristische Kaliber wurden aus dem NS-Staat übernommen. So der „Tätertypus“-orientierte Mord-Paragraf oder auch das Ehegatten-Splitting – das die geringfügige berufliche Tätigkeit von Ehefrauen steuerlich belohnt.

Trotz der „Unrechtsbereinigungs-Gesetze“ von 2002 und 2009, die endlich die „Volksschädlingsverordnung“ und die Deserteurs-Verurteilungen aufhoben, sind nach Auskunft des Bundesjustizministeriums noch 29 NS-Gesetze auf Bundesebene unmittelbar gültig. Zudem wurde bei vielen umformulierten Gesetzen „die Rechtssubstanz im Wesentlichen beibehalten“, sagt der Bremer Staatsrechtler Dian Schefold. Gab es nach dem Krieg keine Diskussion um eine juristische „Stunde Null“, eine pauschale Aufhebung aller im NS-Staat gesetzten Rechtsnormen? „Durchaus“, sagt Schefold – „allerdings kaum unter Juristen.“ Denn die seien in ihrer großen Mehrheit selbst Teil der NS-Justiz gewesen.

Und die Besatzungsmächte? Deren Alliierter Kontrollrat hob auf Reichsebene zwar einige der schlimmsten NS-Gesetze auf, entschied sich aber aus pragmatischen Gründen gegen ein grundsätzlicheres Vorgehen. Ein solcher Einschnitt jedoch, meint Schefolds Kollege Stuby, wäre „die richtige Antwort auf den einmaligen Zivilisationsbruch durch die Nationalsozialisten“ gewesen.

1990 war man konsequenter

Beim Systemwechsel 1990 gingen die Deutschen deutlich radikaler zu Werk: Während die BRD schlicht die Rechtsnachfolge des „Dritten Reiches“ angetreten hatte, wurde die Eliminierung des DDR-Rechts im Einigungsvertrag festgeschrieben. Die Folge: Aus der NS-Zeit blieb alles erhalten, was nicht ausdrücklich aufgehoben wurde – von der DDR nur das, was die BRD explizit übernahm. Und das war wenig.

Für Helmut Kramer, der in Wolfenbüttel das Internetportal „Justizgeschichte“ betreibt, ist auch „das Fortwirken von Auslegungskonstruktionen und Denkfiguren“ eklatant. Der frühere Richter am Oberlandesgericht Braunschweig verweist auf die im Dritten Reich ins Strafgesetzbuch eingeführte Sicherungsverwahrung, die derzeit stufenweise ausgeweitet werde. Kramer: „Man kann sich je nach Opportunität aus dem Steinbruch der NS-Gesetze bedienen.“

Bei den Anwaltskammern landauf, landab gibt es an gültigen NS-Gesetzen kaum Interesse – entsprechende Anfragen bleiben meist unbeantwortet. Hartmut Scharmer, Geschäftsführer der Hamburger Standesvertretung, erläutert: „Der mögliche Fortbestand solcher Gesetze hat für mich weder symbolische noch praktische Relevanz.“ Sein Vergleich: „So, wie nicht jedes 1968 geborene Kind links ist, ist nicht jedes Gesetz aus der NS-Zeit rassistisch.“

Heilpraktikergesetz und Vogel-Beringung

Für die Bremer Verordnung zur wissenschaftlichen Vogel-Beringung von 1937 trifft das sicher zu – zumal sie nicht zwischen fremd- und inländischen Vögeln unterscheidet. Und ja: Die von den Nazis eingeführte Kilometer-Pauschale wollen viele nicht missen. Dem seit 1939 gültigen Heilpraktikergesetz sieht man nicht an, dass es ursprünglich auch den Ausschluss jüdischer Ärzte bezweckte.

Wie aber steht es mit offen diskriminierenden Regelungen gegen andere Bevölkerungsgruppen, wie dem 1935 verordneten Meisterzwang im Handwerk? Wann wird das Hamburger Gesetz über Wohnwagen aufgehoben, das deren Aufstellung genehmigungspflichtig macht? Es wurde vom Senat zwar erst 1952 verkündet – tradiert jedoch Rechtssetzungen der Vorgängerregierung, deren Stoßrichtung gegen das „Fahrende Volk“, also Sinti und Roma, leicht erkennbar ist. Auch Wagenplatz-Leute müssen sich heute mit diesen restriktiven Vorschriften herumschlagen.

Nun wäre der Eindruck verkehrt, jede gesetzlich festgeschriebene Bösartigkeit sei von den Nazis erfunden. Beispielsweise gab es bereits in den 20er-Jahren in einigen US-Bundesstaaten Euthanasie-Gesetze – und entsprechende Entwürfe auch in der Weimarer Republik. Man könnte ferner drauf verweisen, dass Österreich, Spanien und Italien größere juristische Hinterlassenschaften der faschistischen Diktaturen zu verdauen haben als Deutschland. Trotzdem bleibt festzustellen: Selbst 2013 ist die Gesellschaft noch bereit, Teile von Hitlers legalistischen Setzungen hinzunehmen: Happy Birthday, "Führer"!

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