Gesellschaftsordnung in Indien: Auf die Kaste kommt es an

In Indien bestimmen Kastenidentitäten wieder stärker die politischen Kalküle. Das zeigen jüngst die Wechsel an der Spitze zweier Bundesstaaten.

Charanjit Singh Channii und andere Männer.

Auch dank Kastenidentität gewählt: Pandschabs neuer Regierungschef Charanjit Singh Channi Foto: Hindustan Times//imago

MUMBAI taz | Der jüngste politische Neuzugang an der Spitze eines indischen Bundesstaats heißt Charanjit Singh Channi. Der 58-jährige Dalit ist neuer Ministerpräsident in Indiens Brotkorb-Bundesstaat Pandschab. Mit Channi deutet alles darauf hin, dass die Kastenpolitik weite Teile Indiens dominiert.

Im nordindischen Pan­dschab sind über 30 Prozent der Bevölkerung Dalit (veraltet: Unberührbare). Sie werden im Alltag oft diskriminiert. Lange wurden sie gesellschaftlich durch die traditionelle hinduistische Kastenhierarchie ausgeschlossen und sind politisch weniger in hohen Positionen vertreten.

Der neue Ministerpräsident Channi von der Kongress-Partei gehört zudem wie die meisten Pandschabi der Religionsgemeinschaft der Sikh an. Zuvor trat sein Vorgänger Amarinder Singh, der aus einer Fürstenfamilie stammt, zurück.

Channi wird kaum Zeit bleiben, um sich im Amt zu beweisen. Schon im Februar und März stehen Regionalwahlen im Pandschab an. Inzwischen haben dort mehrere Parteien angekündigt, Kandidaten aus der untersten Kaste ins Rennen zu schicken.

Überraschende Wahl

„Die Kongresspartei hat das jetzt schon direkt umgesetzt“, sagt der politische Beobachter und Aktivist Sanam Sutirath Wazir aus Pandschab. Doch Channi sei kein politischer Neuling, er verteidigt die neue Spitze Pan­dschabs. „Ich bin der festen Überzeugung, dass einige sein Potenzial als Ministerpräsident nicht richtig einschätzen.“ Kurz nach Channis Ernennung hätten die Demütigungen gegen ihn zugenommen. „Dass es einen Kastenaspekt bei seiner Ernennung gab, kann ich nicht verneinen“, sagt Wazir.

Die Umfragewerte seines Vorgängers waren gesunken. Wazir begrüßt, dass jemand, der sich politisch hochgearbeitet hat und nahbar ist, jetzt zum Nachfolger wurde.

Dabei sei Channi eine so überraschende Wahl gewesen wie Bhupendra Patel, der kurz zuvor neuer Ministerpräsident in Gujarat wurde. Dort trat Vijay Rupani (65) Mitte September ab. Dabei war die Kritik an seiner Coronapolitik mitentscheidend, dass sein Amt an den kaum jüngeren Patel fiel.

Was aber auffällt ist, dass der scheidende Rupani der einflussreichen religiösen Minderheit der Jain angehört. Ihre Mitglieder gelten als bestens in Wirtschaft und Politik vernetzt und gehören zu Indiens wohlhabendsten Gemeinschaften, stellen selbst aber nur einen Bruchteil der Bevölkerung.

Somit verwundert es nicht, dass der neue Mann, Bhupendra Patel, aus Gujarats dominanter Kaste kommt. Patel gehört einer Bevölkerungsgruppe an, die die regierende BJP vor den Parlamentswahlen im nächsten Jahr beschwichtigen möchte, denn sie sind in wichtigen Bereichen von der Pharma- bis zur Stahlindustrie vertreten.

Auch die Hindunationalisten setzen auf dominierende Kaste

Patel hat nur bis Dezember Zeit, sich als Ministerpräsident zu beweisen, dann wird an die Wahlurne gerufen. Der politische Kommentator Jatin Desai deutet die Neubesetzung inklusive neuer Minister als Zeichen von „Nervosität“.

Die Patels sind wie die Marathas in Maharashtra oder die Reddys in Andhra Pradesh die dominante Kaste in Gujarat. In den vergangenen Jahren bekamen sie ähnlich wie die Marathas eine Quote für Studienplätze und für manche Beamtenjobs.

Die Kastenpolitik spielt in Indien spätestens seit den 1980er Jahren wieder eine große Rolle. Mehrere einflussreiche Parteien, vor allem in einzelnen Unionsstaaten, stützen sich auf die Kastenidentität ihrer Mitglieder. Indiens Ministerpräsident Narendra Modi von der hindu-nationalistischen Volkspartei (BJP) gelangen allerdings in der Vergangenheit kastenübergreifende Wahlsiege. 2022 stehen landesweit voraussichtlich sechs Regionalwahlen an.

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