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GesellschaftBegrenztes Denken ist eine Gefahr

Wildbienen sind rar, der Igel ist vom Aussterben bedroht, intensive Landwirtschaft laugt die Böden aus, der Klimawandel führt zu Überschwemmungen und Dürre – doch im Wahlkampf spielt das alles keine besondere Rolle. Da braucht es Menschen, die hartnäckig dranbleiben am Natur- und Klimaschutz. Solche wie Gerhard Bronner und das Biberacher Bio-Bauernpaar Paula und Josef Weber.

Ein Herz für gesunden, fruchtbaren Boden: „Er ist das wertvollste Kapital auf diesem Planeten“, sagen die Webers. Fotos: Julian Rettig

Von Gesa von Leesen

Der 67-jährige Josef Weber steht auf dem Acker, die grünen Spitzen des Winterweizens schauen ein paar Zentimeter hervor. Der Weizen wurde Mitte Oktober gesät, vorher wuchs hier Raps. „Wir säen in weitem Abstand, damit wir im Frühling besser dazwischen hacken können, um den Boden aufzulockern.“ Der Landwirt stößt die Grabegabel in den Boden, hebt eine Handvoll Erde auf. „Schauen Sie, wie locker und fein die ist! Und riechen Sie mal! Das ist unglaublich.“ Er strahlt, wird dann wieder ernst. Ungefähr 30 Jahre dauere es, bis man einen intensiv bewirtschafteten Boden wieder zur Humusbildung gebracht habe. „Das ist eine Generationenaufgabe“, ergänzt Ehefrau Paula Weber.

Dieser Aufgabe hat sich das Ehepaar vor mehr als 30 Jahren gestellt. Etwa zehn Jahre nachdem Josef Weber den Hof in Biberach von seinen Eltern übernommen hat, beschlossen er und seine Frau, anders zu wirtschaften: Sie stellten auf Öko-Landbau um. Mittlerweile hat der ältere Sohn den Familienhof übernommen, der jüngere bewirtschaftet in der Nähe 180 Hektar mit Kühen, Paula Weber führt den Hofladen. Gemeinsam sind sie die Biohof Oberschwaben GbR. Damit sind die Webers einer von 36.680 Biohöfen in der Republik, was 14 Prozent aller Höfe ausmacht, die 11 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Fläche bewirtschaften.

Mit ihrer von Bioland zertifizierten Landwirtschaft tragen die Webers zu weniger Treibhausgasemissionen bei und sorgen für gesunde Böden, in denen sich nicht nur Regenwürmer tummeln. Gesunder Boden wiederum erzeugt gesunde Nahrungsmittel für Mensch und die hofeigenen Tiere. Grünstreifen geben Insekten und Kleintieren Lebensraum und selbstverständlich gehört eine Biogasanlage zum Betrieb.

Abholzen für Windräder

Solche Betriebe dürften Gerhard Bronner erfreuen. Der Vorsitzende des Landesnaturschutzverbands ist einer der obersten Naturschutz-Lobbyisten im Südwesten. Ihm liegt die Biodiversität am Herzen. „Heute sind ein Drittel aller bei uns lebenden Arten bedroht.“ In den vergangenen Jahrzehnten seien zwar Fortschritte im Naturschutz gemacht worden, aber „das Niveau der vergangenen 20, 30 Jahre ist nicht gehalten worden.“ Für Artenschutz braucht es Flächen, die nicht bebaut oder intensiv bewirtschaftet werden. Äcker, auf denen hektarweit und dauernd nur Mais oder nur Weizen wächst, sind da genauso wenig hilfreich wie trockengelegte Moore oder Waldabholzungen. Letztere aber gibt es laut Bronner gerade gehäuft in Baden-Württemberg, und zwar für Windräder. Weil es hier auch unter einem grünen Ministerpräsidenten lange nicht voranging, würden die nun vor allem in Staatswäldern gebaut – da muss kein Eigentümer gefragt werden. „Uns geht es da nicht um die Fläche für das Windrad an sich, da muss für Zuwege gerodet werden, und zwar dauerhaft. Unserer Ansicht nach gibt es geeignetere Gebiete, also eher das Hohenlohische als den Schwarzwald.“

Die Webers haben zwar keinen Wald, aber immerhin eine Streuobstwiese – bekanntlich ebenfalls ein guter Ort für vielerlei Insekten. „Erinnern Sie sich noch, wie früher die Windschutzscheiben vom Auto voll mit Insekten waren? Und heute? Fast nichts mehr.“ Josef Weber ist sichtlich traurig. Diese Verarmung sei furchtbar. Und bedrohlich für alle Pflanzen, die fremdbestäubt werden. Die Gedanken des Bauern bleiben kurz in der Vergangenheit. „Wir haben früher Fasane und Rebhühner gesehen. Heute? Nichts mehr.“ Weil den Tieren die Lebensräume fehlen.

Die Umsiedlung der S-21-Eidechsen war unsinnig

Der Erhalt von Lebensräumen hat Bronner früher auf die Straße getrieben. „Als Jugendlicher war ich beim BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz), habe gegen die Zerstörung von Biotopen und gegen Bauprojekte gekämpft.“ Irgendwann stellte er fest, dass Protest alleine nicht reicht, man muss an die Politik ran. Und wie geht das? „Der erste Schritt ist, zu verstehen, warum der Gegenspieler so und so handelt. Dann die Argumente nachvollziehen und überlegen, wie kriege ich ihn dazu, anders zu handeln.“ Das ist das berühmte Bohren dicker Bretter. Doch über die Jahre habe es etwas gebracht. Heute, sagt Bronner, gebe es eigentlich ganz gute rechtliche Werkzeuge und Rahmenbedingungen für den Naturschutz.

So sei die Zahl der Mitarbeiter in den Naturschutzbehörden in Baden-Württemberg in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt worden. Bronner seufzt leicht. „Leider ist auch der Naturschutz ein Opfer der Bürokratie geworden.“ Die vielen Leute würden sich allzu oft mit dem Ausfüllen von Formularen befassen anstatt mit praktischem Naturschutz. „Da werden rechtliche Aspekte wichtiger als sachliche.“ Ein Beispiel? Bronner lacht. „Ja klar. Die Eidechsenumsiedlung für Stuttgart 21. Da wurden Millionen ausgegeben, die dem Naturschutz null Komma null bringen.“ Und den Eidechsen übrigens auch nicht. Zumal es sich um italienische Mauereidechsen gehandelt habe, also eine invasive Art, die wiederum die heimische Zauneidechse verdränge. „Die Bahn wollte unbedingt Klagen vermeiden.“ Die Sinnhaftigkeit der Aktion dagegen wurde nie bedacht.

Apropos Sinn: Wie unsinnig intensive Landwirtschaft auf lange Sicht ist, haben die Webers in den 1970er- und 1980er-Jahren gelernt, als die Debatten über Umweltschutz losgingen. Vor allem die jungen Leute diskutierten, wie ihre Zukunft aussehen würde, wenn es so weitergeht. „In der Landjugend gab es den Grünen Kreis – noch vor den Grünen. Da haben wir uns die Köpfe heißgeredet“, erzählt Weber. „In der Landwirtschaftsschule hast du ja auch immer nur gelernt: produziert, produziert, produziert!“ Für jedes Problem gab es eine chemische Lösung. „Klar“, sagt Weber. „Wenn das Getreide zu eng steht, weil mehr Ertrag rausgeholt werden soll, dann geht der Wind nicht mehr durch die Halme und dann kommt der Mehltau.“ Am Ende dieser Agrarpolitik gab es Milchseen, Butterberge, einbrechende Preise für die Bauern, ausgelaugte Böden, mit Antibiotika vollgestopfte Tiere, nach Fischmehl schmeckende Eier.

Als sich 1980 die ABL, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft gründete, war Weber gleich mit dabei. „Ich habe noch eine Zeitlang gedacht, ich könnte im Bauernverband etwas bewegen – aber da ging nichts. Wir sind dann auch ausgetreten.“ Umwelt und Klimaschutz habe dort keine Chance gehabt. Obwohl schon damals, wie sich Weber erinnert, ein Meteorologe aus der Nachbarschaft gewarnt habe: „Es ist fünf vor zwölf“, habe er immer gesagt. „Damals!“

Auch wenn Bronner in erster Linie für den Naturschutz unterwegs ist, betont er, wie wichtig der Klimaschutz ist. „Das Zwei-Grad-Ziel können wir uns abschminken, das schaffen wir nicht mehr. Aber es macht einen unendlichen Unterschied, ob es drei oder vier Grad wärmer wird. Da sind Millionen von Menschen betroffen.“ Wir in Deutschland könnten in einem Klima wie heute in Süditalien zwar noch leben, woanders auf der Welt ginge das aber nicht mehr. „Das bedeutet, die Migrationsströme werden noch größer und es wird noch mehr Kriege um Wasser geben.“ Das begrenzte Denken, das er heute in vielen – nicht nur – parteipolitischen Kreisen beobachtet, sei eine echte Gefahr.

Den Klimawandel erfahren die Webers am eigenen Leib, beziehungsweise an Land und Tier. Paula Weber: „Wir holen mittlerweile das Jungvieh und die Ammenherden erst im Advent von der Weide. Das gab es noch nie.“ Früher sei ab 1. November Schluss gewesen. Mitte bis Ende Oktober haben sie früher das letzte Gemüse aus dem Boden geholt. Heute wächst es zum Teil den ganzen Winter über. Wenn es nun im Februar friert, besteht die Gefahr, dass das Getreide erfriert oder vertrocknet. Konnte man einst Ende März säen, geht das heute oft schon früher. Oder es regnet – wie im vorigen Jahr – dauernd im August, was die Getreideernte erschwere. Oder der April ist heiß, dann vertrocknet alles. „Die Wetterextreme nehmen einfach zu“, sagt Paula Weber.

Und was ist mit dem Rülpsen?

Bei schlechten Wetterbedingungen könne man in der konventionellen Landwirtschaft immer noch irgendwas draufwerfen, sagt Josef Weber und meint Chemie. Das kommt für die Biobauern nicht in Frage. Er ist sichtlich stolz, dass seine beiden Söhne bei der biologischen Landwirtschaft mitmachen und die Mischung aus Ackerbau und Milchvieh sich gegenseitig im Kreislauf ergänzen. Das wichtigste, wiederholt Weber immer wieder, ist der Boden: „Der Boden ist das wertvollste Kapital auf diesem Planeten. Davon leben wir alle.“

Für einen gesunden und fruchtbaren Boden beachten Biohöfe eine hohe Fruchtfolge. Die ersten zwei Jahre Kleegras, um Stickstoff in den Boden zu bekommen. Außerdem dient die Fläche als Weide oder wird gemäht und liefert so Futter. Dann kommt zum Beispiel Raps, dann Winterweizen, dann Sommergerste, nochmal Weizen, anschließend Hafer oder Ackerbohnen, dann Dinkel oder Roggen, die beide fast keine Nährstoffe brauchen, erklären die Webers. So geht es reihum. „Wir laugen den Boden nicht aus“, sagt Paula Weber.

Paula und Josef Weber.

Der Biohof Oberschwaben hat auch Kühe. Sind die nicht klimaschädlich? Weber winkt ab. „Wir brauchen Wiederkäuer, die das Grünfutter verwerten, damit wir das Kleegras nutzbringend wegbringen.“ Und die Wiese mit dem Kleegras sei nun mal die Mutter des Ackerbaus. Kühe wiederum sind gut, weil sie Milch, Käse und Butter liefern und eben auch Fleisch. Aber was ist denn mit dem Rülpsen, das Methangas in die Atmosphäre bringt? „Quatsch. Es kommt darauf an, was dem Tier gefüttert wird. Insgesamt ist das vernachlässigbar. Ob das Kleegras nun auf dem Boden vergärt oder durch den Kuhmagen geht, ist egal.“

Kurz vor der Wahl sind die Webers wenig hoffnungsfroh, was die Politik bringt. „Nichts Gutes“, glaubt Paula Weber. Agrarpolitik wird zudem maßgeblich in der EU bestimmt. Das Wichtigste sei, Ausgleichszahlungen an ökologische Maßnahmen zu koppeln. Aber danach sieht es angesichts des Rechtsrucks in vielen Ländern und auch in der EU nicht aus. Als Grünen-Gemeinderat in Biberach wünscht Josef Weber sich zudem, dass in seiner Partei das Thema Klima wieder nach vorne gerückt wird. „Gerade spielt es kaum eine Rolle, dabei ist es elementar.“

Trotz allem will Weber optimistisch bleiben: „Wir haben den Boden in der Hand. Wir können zeigen, wie es geht.“ Und auch Gerhard Bronner wirft nicht hin. „Der Weltuntergang steht nicht zur Debatte. Es geht um die Frage, wie wir Menschen in Zukunft leben können. Und wollen.“

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