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Gesellschaft

Die einen tun, andere strukturieren. Kurz vor der Bundestagswahl gehenviele wieder auf die Straße gegen rechts –auch weil die CDU mit der AfD zu-sammenarbeiten will. In Ravensburg kommen mehr als vor einem Jahr, in Stuttgart feiert das Landesbündnis für Demokratie sich selbst. Wofür eigentlich?

Rekordzahl: Etwa 10.000 Menschen kamen in Ravensburg gegen Rechtsextremismus zusammen. Mehr Bilder per Mausklick Foto: Made Höld

Von Gesa von Leesen und Josef-Otto FreudenreichDer Eine ist 21, der Andere 80. Der Junge organisiert, der Alte spricht. Die Rede ist von Samuel Bosch, dem bekanntesten Klimaaktivisten der Region, und von Wolfram Frommlet, dem politisch rührigsten Schriftsteller in Oberschwaben. Und beide sind mächtig stolz darauf, dass sich 10.000 Menschen in Ravensburg zusammengefunden haben, um „Laut gegen Rechts“ zu protestieren. Nochmals tausend mehr als im vergangenen Jahr, als bekannt wurde, dass AfD-Politiker:innen, Neonazis und nahestehende Unternehmer zum Thema „Remigration“ tagten.

Wieder ist es die junge Generation, die zahlenmäßig überwiegt, das Grau der Älteren auffrischt und muntere Transparente („Lillifee statt AfD“) schwingt. Der Ordnung halber seien aber auch betagtere Demonstrant:innen erwähnt, die Schilder mit schwereren Aussagen trugen: „Wir errichten und erhalten Brandmauern, Herr Merz. Das Handwerk“.

Nun ist Ravensburg keine große Stadt. 51.000 Einwohner, eine konservative Mehrheit mit relevanter grüner Minderheit, ein weiter nach rechts gerutschtes Monopolblatt („Schwäbische Zeitung“), dessen Chefredakteur Gabriel Kords keinen Hehl aus seinen Sympathien macht. Zwei Tage vor der Demonstration lässt dieser sein Publikum noch via Leitartikel wissen, dass sich Friedrich Merz (CDU) sehr wohl eine „politische Mehrheit“ mithilfe der AfD holen könne. Für seine Asylpolitik. Das sei „auch gut so“. Der junge Leiter des „Editorial Boards“ steht an der Spitze der aus dem Osten eingeflogenen Wessi-Truppe, die das Traditionsblatt in Richtung AfD verschiebt.

Wie lange das gut geht, politisch wie wirtschaftlich, vermag derzeit niemand zu sagen, offenkundig ist nur, spätestens seit der Demonstration vom 25. Januar 2025, dass die SchwäZ mit Widerstand zu rechnen hat. Sage und schreibe 161 Organisationen haben den Aufruf unterstützt, vom Alpenverein über die Härle-Brauerei, die katholischen Arbeitnehmer und den DGB, Kreisjugendring und Made Hölds Initiative „Oberschwaben ist bunt“, bis zum Outdoorausrüster Vaude. Die Lautesten sind die jungen Menschen der Antifa, die Hübschesten die Eltern im Piratenkostüm, die mit Kinderwagen und Plakaten („Lifehack: Sei kein Nazi“) Lebenshilfe leisten, der Wortmächtigste wieder einmal ist Wolfram Frommlet.

Auf dem Marienplatz erinnert der Kontext-Autor an die Migration der „Gastarbeiter“, an Max Frisch, der 1965 geschrieben hat: „Ein kleines Herrenvolk sieht sich in Gefahr: man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen. Sie fressen den Wohlstand nicht auf, im Gegenteil, sie sind für den Wohlstand unerlässlich, sie sind keine Gäste, die man bedient. Man fühlt sich überfremdet. Langsam nimmt man es ihnen doch übel.“ Frommlet sagt, 60 Jahre nach Frisch, Ravensburg wäre ärmer ohne sie, könne und wolle nicht auf sie verzichten. Auf Alice Weidel und Björn Höcke sehr wohl.

In Stuttgart lobt sich das Bündnis

Aufgerufen zur Demo in Ravensburg hatte ein breites Bündnis, das sich für den Demo-Tag vereint hatte. Ein eher lockeres und anlassbezogenes Zusammenspiel also, das möglich wurde, weil sich immer mehr Menschen bedroht fühlen von der AfD und deren rechtsradikaler, menschenfeindlicher Politik.

Nachdem voriges Jahr Millionen bundesweit auf die Straßen gegangen waren, stellte sich die Frage: was nun? Was kann jede und jeder tun? Eine häufige Antwort waren Bündnisse. In Baden-Württemberg gab der Landes-SPD-Chef Andreas Stoch den Anstoß und schon Ende Januar erklärte das „Bündnis für Demokratie und Menschenrechte Baden-Württemberg“ seine Gründung. Es machten viele mit: SPD natürlich, aber auch die Landesgrünen, die CDU, die FDP, Naturschutzverbände, Organisationen, die sich sowieso mit rechten Umtrieben beschäftigen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Verkehrsclubs, Wohlfahrtsverbände, Kirchen.

Nun, am vergangenen Montagabend, feierte das Bündnis sein Einjähriges. Dafür versammelten sich im Haus der katholischen Kirche in Stuttgart um die 80 Männer und Frauen. Zunächst hörten sie Reden von Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne), Clemens Stroppel, Generalvikar der Diözese Rottenberg-Stuttgart und DGB-Landeschef Kai Burmeister, in denen der Rechtsruck verurteilt, vor der Gefahr durch die AfD gewarnt und die Wichtigkeit solcher Bündnisse betont wurde. Etwas konkreter wurde es beim Programmpunkt „Einblick in regionale Aktivitäten“. Felix Polianski aus Ulm erzählte, dass die große Demo in Ulm (Kontext berichtete) im vorigen Oktober gegen die AfD-Landesparteitag geklappt habe, „weil wir keine komplizierten Gremien aufgebaut haben, sondern über die Message ‚Ulm ist schön, weil es eine bunte Stadtgesellschaft hat‘ viele überzeugen konnten.“ Der Stuttgarter Sebastian Hoch von der Organisation Pulse of Europe engagiert sich im Stuttgarter Ableger des Bündnisses, das Aktionen in der Landeshauptstadt auf die Beine stellt, aus Karlsruhe gab es eine Videobotschaft. Die Vertreter:innen des dortigen Bündnisses konnten nicht nach Stuttgart kommen, weil sie selbst eine Lichterkette organisiert hatten anlässlich des Gedenktages an die Befreiung des KZ Auschwitz. 800 Menschen erhellten den Karlsruher Marktplatz.

Bei der Stuttgarter Geburtstagsfeier bezogen sich immerhin eine der Moderatorinnen und Vikar Stroppel auf die Verfolgung der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus, auf Überlebende und auf Widerstandskämpfer. Eine der Moderatorinnen stellte gar die Frage: „Sind auch wir eine Widerstandsorganisation?“

Landes-DGB-Chef Kai Burmeister behauptete, das Bündnis hätte in einem Jahr viel erreicht. Tatsächlich? Frage an Laura Streitbürger von der AWO, die für die Liga der Wohlfahrtsverbände im Lenkungskreis des Landesbündnisses sitzt: Warum hat man ein Jahr lang nichts von dem Bündnis mitbekommen? Sie lächelt so halbfroh. „Wir haben uns frühzeitig zu sehr in Strukturfragen verzettelt. Besser wäre gewesen, einfach zu machen.“

Politische Bündnisarbeit ist mühsam: Jede Organisation will berücksichtigt sein, Weltanschauungen gehen auseinander, es gibt Eitelkeiten, Zauderer, Kleinkrämer, Ungeduldige, Schlafmützen. In einem Bündnis mit 140 Mitgliedsorganisationen dürfte vieles noch viel schwieriger sein. Die Selbstverständniserklärung des Bündnisses ist so offen angelegt, dass letztlich jeder dazu „Ja“ sagen kann. „Wir stellen uns gemeinsam gegen jegliche Form von Extremismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Menschenfeindlichkeit und verteidigen die Grundwerte unserer Demokratie. (…) Wir erheben gemeinsam unsere Stimme gegen Verfassungsfeinde“, heißt es unter anderem. Die Partei AfD wird nicht genannt, stattdessen heißt es stets Rechtsextremismus. Die Offenheit – wer ist schon gegen Demokratie? – ermöglicht es konservativen, bürgerlichen Parteien und Organisationen beizutreten. So sind CDU, FDP, Arbeitgeberorganisationen dabei und müssen nicht befürchten, explizit linken Gruppen, gar organisierten Antifaschistisch:innen zu begegnen, die sich – der Mitgliederliste nach zu urteilen – dem Bündnis nicht angeschlossen haben.

Diese Offenheit setzt dem Bündnis allerdings politisch sehr enge Grenzen. Das war auch den Reden anzumerken, die über allgemeines kaum hinausgingen, geschweige denn Überlegungen anstellten, warum die AfD Zuspruch findet und ob das eventuell mit der Politik der vergangenen Jahre zusammenhängen könnte. Lieber nicht, da könnte ansonsten irgendein Bündnismitglied sauer werden.

Politisch wird‘s vor Ort

Aber über das Demokratiebekenntnis hinaus will das Bündnis auch nicht auftreten. Für Streitbürger fungiert es als Brücke: „Das Bündnis ist dann gut, wenn sich darüber Partner finden, die bisher nicht miteinander gearbeitet haben.“ Sie selbst habe beispielsweise als AWO zusammen mit den Landfrauen eine Veranstaltung auf die Beine gestellt, in der das beste Rezept für die Demokratie gesucht wurde. „Es ist einfacher, wenn ich irgendwo anrufen und sagen kann: Ihr seid doch auch in dem Bündnis, lasst uns was zusammen machen.“ So bestehe die Chance, auch an Leute außerhalb der eigenen Bubble zu kommen. Mehr als eine Großdemo im Jahr könne man vom Bündnis nicht erwarten, sagt Streitbürger. Die nächste ist erst nach der Bundestagswahl geplant, aktuell konzentriert man sich auf die Landtagswahl im Frühjahr 2026.

Vor Ort sieht‘s anders aus. In vielen Kommunen rufen noch vor der Neuwahl am 23. Februar kleine Gruppen oder breite Bündnisse zu Demos auf. Zum Teil haben sie mit dem Landesbündnis zu tun, so griffen manche lokale Initiativen auf dessen Selbstverständnis und Logo zurück, zum Beispiel in Stuttgart, Karlsruhe, Esslingen, Tübingen, Ulm – sie findet man auch auf der Webseite des Landesbündnisses. Manche Initiative vergisst vielleicht, sich dort zu melden. Denn am Ende sind es ja meist die ein, zwei Handvoll Aktive in Städten und Gemeinden, die zu Treffen einladen, Protokolle schreiben und verschicken, im Rathaus Demos anmelden, potentielle Partner anschreiben, Kerzen für Lichterketten kaufen, Lautsprecheranlagen besorgen, die Kabeltrommel mitbringen, Flyer schreiben, layouten und in Druck geben, Musiker:innen suchen, Ordnerbinden verteilen, Mahnwachen am AfD-Infostand auf die Beine stellen, die Lokalzeitung informieren, Instagram bedienen und so weiter.

Auf der Webseite demokrateam.org dagegen finden sich bundes- und landesweit zahlreiche Aktionen, von Workshops über Vorträge bis hin zu Demos. Letztere nehmen aktuell zu, wohl auch, weil CDU-Spitzenkandidat Friedrich Merz sich nun doch mit der AfD einlassen würde, um die Grenzen für Flüchtlinge noch dichter zu machen. Das regt eine Menge Leute auf. So gibt es Kundgebungen gegen rechts an diesem Samstag in Stuttgart, Walldorf und in Bad Krotzingen und nächsten Samstag unter anderem in Baiersbronn, Offenburg und Konstanz.

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