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Geschwätzigkeit hilft nicht

Vom Geheimnis einer kargen, wortlosen Liebe: Michael Thalheimer inszeniert Franz Molnars Liliom am Thalia Theater  ■ Von Petra Schellen

Es gibt Menschen, die sind mit dem Leben nicht kompatibel. Franz Molnars Liliom im gleichnamigen Stück ist so einer: Er sucht und sucht – und findet doch keinen Ort in dieser Welt; er schweigt und schlägt, auch seine schwangere Geliebte Julie – und findet doch weder Erleichterung noch den Hauch einer Antwort. Ein Schweiger ist Liliom auch in Michael Thalheimers Inszenierung am Thalia Theater. „Diese Liebe zwischen Liliom und Julie birgt ein großes Geheimnis“, sagt der Regisseur, der an dem 1909 uraufgeführten Stück am meisten die operettenhafte Geschwätzigkeit fürchtet und deshalb kargst dagegen aninszenieren will. „Liliom und Julie verbinden ähnliche Energien“, sagt Thalheimer, „das ist ein physikalisches Phänomen, vermutlich am ehesten erklärbar durch das gemeinsame Schweigen – vielleicht aus tiefer Weisheit, vielleicht aber auch aus schlichtem Instinkt“.

Denn tatsächlich begreifbar ist die Beziehung des Ringelspielausrufers und des Dienstmädchens nicht, verstehen kann auch im Stück keine der umliegenden Figuren, warum Julie (Fritzi Haberlandt) beim schlagenden, im Privaten so schweigsamen Liliom (Peter Kurth) bleibt. „Ich will Julie auf keinen Fall als Opfer inszenieren“, betont Thalheimer. „Und Fragen nach Gründen für ihr Ausharren treffen nicht den Kern dieser Beziehung, in der der Satz ,Ich liebe dich' nie ausgesprochen wird – weil die Figuren vielleicht Angst haben, dass das Wort die Liebe töten könnte“.

Aber die Figuren handeln aus Liebe, sagt er – etwa Liliom, der sich nach einem misslungenen Überfall ersticht, weil er keinen anderen Ausweg sieht. Wie ein Blutstrahl sprüht im Moment des Sterbens nochmals ein an Julie gerichteter Erklärungsmonolog aus ihm heraus, als hätte das Messer, das er sich in den Körper rammt, auch diesen Schweigeschorf – zu spät – verflüssigt.

Keinen Frieden allerdings findet der ambivalent mit Sympathien ausstattbare Liliom. „Dieser Mensch wird nicht in Ruhe gelassen“, betont Thalheimer, „weder vom Leben noch vom Tod, denn selbst im Himmel bekommt er Fleißaufgaben und wird gedrängt zu bereuen, dass er die schwangere Julie sitzen ließ.“ „Ich wollte ja nur Geld ranschaffen“, würde Liliom in einer zeitgenössischen Talkshow stammeln und nicht begreifen, dass ein Überfall ebenso ein Akt der Fürsorge wie der Verantwortungslosigkeit sein kann.

„Die Figuren kommen mit einer bestimmten Disposition auf die Welt, leben und gehen wieder“, erklärt Thalheimer, „sie können sich nicht ändern, weil sie nicht einmal die Möglichkeit spüren“. Und letztlich seien solch statische Verhaltensmuster sehr wohl als Spiegel unserer Gesellschaft geeignet: „Die meisten Handlungen – in jeder sozialen Schicht – sind instinktgesteuert, egal, wieviel wir drumrum schwätzen“, betont Thalheimer, und Molnars Liliom frage auch den Zuschauer, ob sein Leben wirklich so reich an Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten sei, wie er glaube. „Vielleicht sind viel mehr Verhaltensmuster vorhersehbar – wie in Molnars Stück, dessen Mathematik der Vorhersehbarkeit ich schätze – und es gibt nur wenige Augenblicke, in denen Veränderung möglich ist.“

Benennen kann der Regisseur sie nicht, will vielleicht auch nicht – und verweist stattdessen auf die in der Inszenierung eingesetzten Piktogramme: „Ein Maximum an Information in ein Minimum an Zeichen zu pressen – das ist es doch, was Julie und Liliom praktizieren; sie haben es nicht nötig zu quatschen, sich zu erklären.“ Und unterscheiden sich, da ist Thalheimer sicher, deutlich von der Gesellschaft, die durch SMS-Kürzel nicht etwa tiefsinniger und auf Wesentliches konzentrierter geworden sei: „Diese Messages ersetzen nicht das Dauergequassel, sondern ergänzen es noch.“ Sie ermüden vielmehr die Sprache und hetzen sie zu Tode, pressen Worte und Laute aus, bis denen nur noch bleibt, in die Sinnlosigkeit abzutauchen.

Wohin? Ausweglos. Ausweglos wie das Dasein Lilioms, für den in Thalheimers Inszenierung die Bahn immer enger wird. Gestrichen hat der Regisseur etliches, hinzugefügt weniges, von dem er noch weniger verrät. Fürs erste nur so viel: „Die Handlung läuft von Anfang an auf einen Fluchtpunkt zu und wird immer beklemmender.“ Schneller werde die Inszenierung dadurch nicht: „Das Spiel wird schleppender“, sagt Thalheimer. Als wollten sich die Figuren wie in Kafkas Geschichte von Katz und Maus wider besseres Wissen sträuben gegen den spitz zulaufenden Winkel.

Premiere Sonnabend, 20 Uhr, Thalia Theater

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