Geschlechterverhältnisse im Recht: Justitias Tochter

Dana-Sophia Valentiner ist in die Rechtswissenschaft eher so reingerutscht. Ihre preisgekrönte Diss übers Sexualrecht zeigt: Es ist eine Art Berufung.

Dana-Sophia Valentiner

Forscht zum Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung: Die Juristin Dana-Sophia Valentiner Foto: privat

HAMBURG taz | Das Jurastudium sei für sie eigentlich eher eine Verlegenheitswahl gewesen, erzählt die 32-jährige Dana-Sophia Valentiner. „Ich hatte nach der Schule keine Ahnung, was ich machen will.“ Die Lübeckerin bewirbt sich für viele verschiedene Studiengänge. Dass sie sich für Jura in Hamburg entscheidet, betrachtet sie heute als eine Art Fügung.

Eine glückliche: Inzwischen hat sie für ihre Dissertation „Das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung“ den erstmals überhaupt vergebenen Elise-Reimarus-Preis der Akademie der Wissenschaften Hamburgs erhalten – benannt nach einer Hamburger Gelehrten, Dichterin und Übersetzerin des 18. Jahrhunderts.

Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Juristinnenbundes. Und sie arbeitet an einem Habilitationsprojekt. Thema: Verkehrswende und nachhaltige Mobilität. Klick hatte es gemacht, als sie begann, als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl ihrer zukünftigen Doktormutter Ulrike Lembke zu arbeiten, wo sie sich vor allem mit Legal Gender Studies beschäftigte.

„Das war überhaupt nicht trocken. Es drehte sich viel um unseren Blick auf die Gesellschaft, den gesellschaftlichen Wandel“, so Valentiner. Vor allem aber sei die Forschungs-Community „sehr neu und noch ziemlich klein, das war spannend“. Schnell steht für sie fest: Sie will promovieren und selbst in die Wissenschaft gehen, am liebsten Professorin werden.

Was ist sexuelle Selbstbestimmung?

Sie wählt Sozialrecht als Schwerpunkt ihres Studiums. „Sobald ich ein Ziel vor Augen hatte, habe ich richtig Lust gehabt und die Zeit ist nur so verflogen.“ Im Studium sei man vom ersten Semester an nur auf das Examen konditioniert worden. „Das war im Schwerpunkt und am Lehrstuhl anders, es ging um wirklich ehrliches und tiefes Interesse.“

Nach dem ersten Staatsexamen beginnt sie mit der Doktorarbeit. Fünf Jahre schreibt sie an der interdisziplinären Studie, in der sie auch philosophische und sozialwissenschaftliche Fragen beleuchtet, um zu analysieren, wie weit das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung auch tatsächlich gewährleistet wird, welche Ansprüche an den Staat es begründet: Denn da bleibt im Gesetz vieles schwammig. Wann ist ein Eingriff ins Grundrecht gegeben, und was ist überhaupt sexuelle Selbstbestimmung?

Persönlichkeitsentfaltung bedeutet in einer Gesellschaft vor allem Selbstbestimmung in der Interaktion mit anderen: Niemand darf zu sexuellen Handlungen gezwungen werden, die er nicht möchte. Die Selbstbestimmung ist gewahrt, wenn sexuelle Handlungen im Konsens der Beteiligten erfolgen. Ein konkreter Eckpunkt des Grundrechts sei aber auch der Schutz vor sexualisierter Gewalt, so Valentiner. Hier sei der Staat in der Pflicht, zum Beispiel den Nein-heißt-Nein-Grundsatz im Sexualstrafrecht zu verankern.

„Im Fokus meiner Arbeit stand die objektiv-rechtliche Dimension des Grundrechts“, erklärt Valentiner. „Ich habe versucht, vor allem ein verfassungsrechtliches Leitbild konsensualer Sexualität zu formulieren.“ In ihrer Arbeit geht es um Geschlechtertheorien und um Autonomiekonzeption, um Sexualität im Wandel der Zeit. Hier hat sich zwischenzeitlich einiges getan: „Früher ging es vor allem darum, ob sexuelles Verhalten den herrschenden Moralvorstellungen genügte, heute geht es viel stärker um Autonomie und um Konsens.“

Dana-Sophia Valentiner über die deutsche Gesetzgebung

„Ein positives Bild insbesondere von einvernehmlicher Sexualität wird nicht vermittelt“

Im Zuge ihrer Forschung hat die Juristin sich auch mit sexueller Bildung in Deutschland beschäftigt und bringt deutliche Kritik daran hervor. „Das ist stark ausbaufähig. Ein positives Bild insbesondere von einvernehmlicher Sexualität wird nicht vermittelt“, bemängelt Valentiner. Der Fokus sei eher bewahr-pädagogisch. „Mir kam das Bild in der Rechtsprechung so vor, als ginge es um unmündige Heranwachsende, die man möglichst nicht mit Sex konfrontieren will.“ In Deutschland stehe vor allem Gefahrenprävention im Vordergrund à la „werd nicht schwanger, hol dir keine Krankheiten“.

Noch immer werde der Mann als drängend und fordernd dargestellt, die Frau hingegen als empfangend und passiv. „Das sind so Stereotype, die einfach aus der Zeit gefallen sind.“ Auch im staatlichen Sexualkundeunterricht sei noch viel Grundlagenarbeit erforderlich.

Für ihre Arbeit wälzt Dana-Sophiae Valentiner Urteile des Bundesverfassungsgerichts seit den 1950ern. Fasziniert habe sie dabei der krasse gesellschaftliche Wandel, der sich in den Entscheidungen niederschlägt. In den 1970ern beispielsweise sei ein richtiger Fortschritt zu beobachten. „Da spürt man ganz klar die Nähe zur sexuellen Revolution.“

Valentiner konturiert in ihrer Arbeit das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Dafür schlägt sie insbesondere eine neue Interpretation des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 des Grundgesetzes vor. Eine, die Bedingungen für sexuell selbstbestimmtes Entscheiden und Handeln in den Fokus rückt. Der Elise-Reimarus-Preis war nicht die einzige Auszeichnung für Valentiners Dissertation. „Das bedeutet mir viel“, sagt sie, „denn die Arbeit ist in einem Fachbereich entstanden, der immer noch oft belächelt wird. Im Mainstream ist das noch nicht wirklich anerkannt.“

Nach dem Referendariat am Oberlandesgericht in Celle ist sie in die Forschung zurückgekehrt, hat eine Junior-Professur in Gießen vertreten und ist inzwischen wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Margarete Schuler-Harms an der Hamburger Bundeswehr-Uni. Außerdem ist sie Host des Podcasts „Justitias Töchter“. Der beschäftigt sich mit allem rund um die Themen Feminismus und Recht.

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