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Geschlechtervielfalt in BerlinMorgen ein Zimmer im trans* Kiez

Der Nollendorfkiez richtet sich primär an ein schwules Publikum. Wie wäre es, wenn sich hier vor allem trans* Personen Freiräume aufbauen könnten?

Im Eldorado wurde in den 1920ern mit Geschlechts­identität experimentiert Foto: Prismatic Pictures/Bridgeman Images

Berlin taz | Als ich im Mai durch den Nollendorfkiez spazierte, war die Gay-Bar Blond an der Eisenacher Straße Ecke Fuggerstraße weg. Meine erste Bar im „Regenbogen-Kiez“! Damals, frisch in Berlin, hoffte ich, hier im Kiez einen queeren Hafen zu finden. Hafen: joa. Queer: na ja.

Geschichtlich gilt der Nollendorfkiez als Ort queerer Befreiung. In den Goldenen Zwanzigern wurde hier früh in geschützten Räumen mit Geschlecht und Sexualität experimentiert, während draußen der Faschismus erstarkte. SA und SS zerstörten schließlich diese ihnen verhassten Freiräume. In der Nachkriegszeit herrschte dann Armut. Bis die lesbisch-schwule Bewegung ab den 70er-Jahren begann, den Kiez mit ihrer Vision zu bereichern.

Illustration von Ali Arab Purian
Die taz total utopisch

🐾 Von der Kneipe an der Ecke bis zum solidarischen Garten in Bogotá: Junge Au­to­r*in­nen haben sich auf die Suche nach utopischen Ideen begeben. Die dabei entstandenen Artikel haben sie in einer Sonderausgabe der taz veröffentlicht.

Jetzt, scheint mir, schwingt er zwischen Stagnation und Gentrifizierung. Deshalb wünsche ich mir eine neue Vision. Ich selbst trage gerne ein Kleid – lieber aber im Club als hier im Nollendorfkiez. Wie könnte es aussehen, wenn sich hier besonders trans* Personen entfalten?

2027: Toni wacht morgens in deren Zimmer auf, vierter Altbaustock. Die Wohnung teilt dey sich mit Freund*innen: einer pansexuellen Frau, Hao, einem Transmann, Ed, und seinem Kind Mo, für das alle gemeinschaftlich sorgen. Dank eines kommunalen Angebots für trans*, inter* und nichtbinäre Personen konnten sie die Wohnung über einen Kredit zu vergünstigten Konditionen kaufen. Arbeit in und um den Kiez zu finden, ist kein Problem. Diverse Perspektiven werden mehr wertgeschätzt und nachgefragt.

Aktzeichnen diverser Körper

Im Shop unten hört der cute Besitzer wieder laut die elektronische Musik von Arca. Er vermietet tageweise Outfits für jeden Genderanlass – gratis. Beste Beratung! Aber der Kiez ist mehr: Es gibt Automaten auf der Straße, an denen Geschlechtshormone als Gels, Pflaster und Tabletten erhältlich sind.

Wobei diese Hormone helfen können, weiß selbst ein Kind wie Mo – wegen der vielfältigen Bildung an Schulen. Trans*­freund­li­che Medizin im Kiez allgemein: Easy. Und es gibt ein Café mit vielen Workshops, etwa zum Aktzeichnen diverser Körper oder mehrteilige für Allys von trans* und BIPoCs (immer ausgebucht!).

Toni kann auch ohne Konsum hier abhängen, etwa im konsensualen Kuschelspace. Oder zur Datenight für neue Bekannte, Lover oder Partner*innen. Für Trauerfälle gibt es eine Gruppe, in der dey vor einem Jahr viel Halt erfuhr. Unweit des Cafés steht ein barrierearmer Club mit safen All-Gender-Dark­rooms, in denen Personen jeden Alters gerne feiern. Daneben das Eiscafé Cunnilingus – open all night long.

Eine weitere Besonderheit ist ein Rat, dessen Ver­tre­te­r*in­nen gefährdete trans* Personen weltweit schnell im Kiez in Sicherheit bringen können. Das passiert in Kooperation mit dem (existierenden) Transgender District in San Francisco. Ein Kiezverein kümmert sich um Anklagen gegen digitalen Hass. Regelmäßig gibt es dort auch gratis Therapiesitzungen. Diese Ideen fänden Personen vielleicht unabhängig der Geschlechtsidentität gut.

Progressiv muten nur die Drag-Shows an

Zurück zur Realität: Das Blond ist seit Juli in die Motzstraße umgezogen, laut Website ins „Nachbarhaus des ehem. Eldorados“. Das Eldorado war im Berlin der 1920er und frühen 30er eines der legendären Trasvestielokale. Hier tanzte die queere Zukunft.

Heute priorisiert das Dutzend existierender Bars ein schwules Cis-Publikum: Viele beschreiben sich bieder als „Men Only“, das neue Blond: „Gay-Cocktailbar“. Progressiv muten höchstens mal Drag-Shows an. Befreundete trans* Männer treffen sich lieber woanders, lesbische Freun­d*in­nen dürfen häufig nicht oder nur früh in die Bars. Schade, finde ich. Weltweit gibt es nur wenige Kieze mit diesem Potenzial, dieser Größe.

Ein paar Lichtblicke gibt es: Zum Beispiel hat der Buchladen Prinz Eisenherz eine trans* Auswahl oder das Mutschmanns nun Sexpartys „for all Genders“. Der Nollendorfkiez sollte sich öffnen, um zukunftsfähig zu werden. Will jemand was starten im alten Blond? Nähe Eldorado!

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