Geschlechterfragen während Corona: Kein Zurück
Frauen und Männer sind durch die Pandemie nicht in alte Rollen zurückgefallen. Sie müssen aber mehr verhandeln, wer welche Aufgaben übernimmt.
Erfahren Frauen durch die Pandemie eine „entsetzliche Retraditionalisierung“? Verlieren wir durch Corona im Ringen um Gleichstellung der Geschlechter drei Jahrzehnte? Diese These steht im Raum, seit die Soziologin Jutta Allmendinger sie in einer Talkshow aufgestellt hat. Aber stimmt sie auch?
Betrachten wir es nüchtern. Corona hat – das zeigen sowohl wissenschaftliche Untersuchungen als auch der Alltag vieler Menschen – offengelegt, was hierzulande schiefläuft, aber seit langem bekannt ist: Frauen waschen häufiger als Männer die Wäsche, sie kümmern sich intensiver um die Kinder und um pflegebedürftige Angehörige, sie kaufen öfter ein, kochen mehr und putzen häufiger das Klo. Mit Zahlen einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung ausgedrückt, klingt das so: Frauen leisten täglich drei Stunden Haus- und Care-Arbeit, Männer zwei.
An dieser Situation hat sich in manchen Familien in den vergangenen Coronamonaten auch nicht viel geändert. Im Gegenteil, insbesondere für Alleinerziehende – das sind vor allem Frauen – hat sich diese Ungerechtigkeit sogar verschärft. Sie leiden derzeit noch stärker an Überarbeitung und Ermüdung als sonst, teilweise bis an den Rand der totalen Erschöpfung. Aber auch Eltern, die gemeinsam Kinder betreuen, sind durch Homeoffice und Homeschooling stärker belastet als gewöhnlich. Trotzdem gibt es Familien, die durch und in der Krise der Pandemie die Care-Arbeit gerechter aufteilen.
Nach einer Untersuchung der Soziologin Michaela Kreyenfeld, Professorin an der Hertie School of Governance, wendeten Frauen zu Beginn des ersten Shutdowns noch doppelt so viel Zeit für die Kinderbetreuung auf als Männer. Aber das änderte sich rasch. Schon im zweiten Shutdown betreuten Eltern ihre Kinder überwiegend gleichermaßen.
Eher eine Umkehr als ein Rückfall
Laut besagter Studie der Hans-Böckler-Stiftung verdoppelte sich während der Pandemie die Zahl der Männer, die den Hauptanteil der familiären Sorgearbeit tragen, von 6 auf 12 Prozent. Auch die Soziologin Anja Steinbach von der Universität Duisburg-Essen kommt nach einer Datenauswertung des Familienpanels „Pairfam“ zu der Erkenntnis, dass Corona „keinen extremen Traditionalisierungsschub gebracht“ hat.
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Ein Grund dafür sind sogenannte Frauenberufe – vor allem im medizinischen und Dienstleistungssektor, die plötzlich systemrelevant sind und mehr denn je gebraucht werden. Es sind hauptsächlich Frauen, die das öffentliche Leben und die medizinische Versorgung gewährleisten, während Männer dem Institut für Arbeits- und Berufsforschung zufolge ihren Job insbesondere in Logistik- und Verkehrsunternehmen verloren haben. Wenn Frauen auf den Coronastationen, in den Pflegeheimen, an der Supermarktkasse, in Kitas während der Notbetreuung arbeiten, müssen Männer nun zu Hause kochen, putzen, mit den Kindern den Schulstoff durchgehen. Die angebliche Retraditionalisierung ist also eher eine (wenn möglicherweise auch temporäre) Umkehr jahrhundertealter Rollenmodelle.
Kreyenfelds Untersuchung hat zudem einen interessanten Aspekt zutage gefördert: Entgegen der Annahme, dass akademische und somit gleichstellungspolitisch aufgeklärte Väter die Geschlechtergerechtigkeit voranbringen, sind es Männer mit niedrigen und mittleren Abschlüssen, die jetzt notgedrungen in eine für sie teils neue Rolle schlüpfen: die des aktiven Vaters.
Während in ärmeren Familien bei der Verteilung der Care-Arbeit die monetäre Frage dominiert, ist es bei den Akademikerfamilien die Angst vor verpassten Karrierechancen. Auch in der Pandemie und vom Homeoffice aus müssen Berichte geschrieben, Teams geleitet, Entscheidungen getroffen werden. Selbst wenn Firmenchef:innen zunehmend Rücksicht auf Eltern nehmen, Stundenreduzierungen zustimmen und flexible Arbeitszeiten genehmigen – am Ende des Tages muss geliefert werden. Da ist es egal, ob eine Frau oder ein Mann in der Pflicht ist.
Welche Rolle Erwerbstätigkeit trotz Elternschaft spielt, zeigt eine Umfrage der Universität Bamberg unter sogenannten Regenbogenfamilien, Familien also, bei denen die Eltern zum Beispiel schwul oder lesbisch sind. „Ihre Berufstätigkeit bedeutet für sie Spaß, Selbstverwirklichung, Selbstbestätigung, Sicherung des Lebensstandards und/oder finanzielle Unabhängigkeit“, heißt es in der Studie. Die ist allerdings vor Corona entstanden, aber dennoch ein Gradmesser für die Bedeutung von Erwerbsarbeit bei Eltern. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei homosexuellen Paaren zunächst nicht von den klassischen Rollenklischees und -zuschreibungen ausgegangen werden kann, das simple Frau-bleibt-zu-Hause-Muster zieht an dieser Stelle nicht.
79 Prozent der Männer finden Gleichstellung wichtig
Das lässt sich durchaus übertragen auf heterosexuelle Paare in der Zeit nach Corona. Nach eineinhalb Jahren Pandemie mit Homeoffice, Homeschooling und einem auf ein Minimum heruntergefahrenen Dasein ohne Kultur, Gastronomie und öffentlichem Leben sehnen sich die Menschen danach, „raus“ zu können. Auch raus aus dem Homeoffice und rein ins Büro. Umfragen haben hier keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern feststellen können. Nach der Pandemie sind die meisten froh, zu ihren Kolleg:innen zurückkehren zu können und persönliche Kommunikation gegen Zoom-Runden zu tauschen. Warum sollten Frauen weiterhin freiwillig zu Hause bleiben, wenn Kitas und Schulen wieder geöffnet sind? Warum sollten sie, wenn sie vorher zufriedenstellend gearbeitet haben, sich das wieder nehmen lassen?
Und warum sollten junge Frauen, die in dem Bewusstsein groß geworden sind, dass sie beides gleichermaßen haben können – Kinder und Karriere – zu einem Leben zurückkehren, das ihre Eltern zur Zeit des Mauerfalls geführt haben? Damals arbeiteten im Westen 83 Prozent der Männer und 58 Prozent der Frauen. In den neuen Bundesländern hingegen gab es bekanntermaßen eine „ungebrochen hohe Erwerbsneigung der ostdeutschen Frauen“, um den damaligen sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf zu zitieren. Diese „ungebrochen hohe Erwerbsneigung der ostdeutschen Frauen“ sorgte mit dafür, dass heute bundesweit 73 Prozent der Frauen erwerbstätig sind.
Berufstätigkeit von Frauen gehört heute zum Standard. Viele Frauen wollen nicht nur einen Job, um finanziell unabhängig zu sein, sie wollen Karriere machen, Führungspositionen einnehmen. So wie viele junge Männer heute weit davon entfernt sind, in die einstige Ernährerrolle zu schlüpfen. Sie wollen weder allein für das finanzielle Wohl der Familie sorgen müssen noch vorrangig für familiäre Entscheidungen zuständig sein.
Heute finden laut Umfragen 79 Prozent der Männer Gleichstellung wichtig, es ist immer häufiger von „fürsorglicher Männlichkeit“ die Rede. Vier von zehn Vätern nehmen heute Elternzeit. Das ist immer noch zu wenig und es sind meist auch nur zwei Monate, die die Männer ausschließlich ihren Babys widmen. Aber die Zahl der Väter, die ihre Arbeitszeit wegen der Kinder reduzieren, beträgt dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut zufolge mittlerweile 16 Prozent.
Reflektiert und selbstständig
Rückfall in längst überholte Rollenmuster? Nein. Die Gesellschaft ist längst viel weiter. Und sie lässt sich das durch Corona nicht nehmen.
Trotzdem bleibt ein Problem, das weniger ein strukturelles als ein individuelles ist: Paare müssen Verantwortlichkeiten in der Sorge- und Hausarbeit immer wieder neu aushandeln, mitunter täglich. Das können schon mal harte Kämpfe zwischen Eltern und Lebenspartner:innen sein. Nicht selten werden diese Kämpfe zum Nachteil von Frauen entschieden. Manche Frauen seien eher bereit, weiß Milan Renner, Sprecher der Berliner Initiative „Eltern in der Krise“, „sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen und aufzuopfern“. Das sei der beste Weg in den Burnout. Um ihn zu vermeiden, sollten Männer „reflektiert selbstständig Verantwortung übernehmen“. Auch wenn es bequemer sei, in die klassische Rollenverteilung zu verfallen. Was hilft? Renner hat eine Idee: „Ein Arschtritt der Frau.“
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