Geschichtsrevisionismus im Internet: Der Holocaust als Meme
Rechte und kommerzielle Accounts leugnen oder verherrlichen den Holocaust online. Ein Bericht zeigt, wie groß das Problem ist und was dagegen helfen würde

Offene Holocaust-Leugnung ist in Deutschland verboten. Das wissen auch extreme und neue Rechte. In den sozialen Medien finden sie trotzdem Wege, die Geschichte rund um die Shoah zu verzerren.
Die Gedenkstätte Anne Frank hat zu den digitalen Strategien der Holocaust-Verleugnung, Verharmlosung und Verherrlichung am Dienstag einen Bericht veröffentlicht. „Geschichtsrevisionismus ist auf TikTok ein Massenphänomen“, so eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte. Aber auch auf Instagram und anderen Plattformen sei das Phänomen weit verbreitet.
Dort würden Rechtsextreme Codes und Chiffren nutzen, um eine Löschung ihrer Beiträge zu umgehen. Ihr Ziel sei es, die Geschichtsbildung junger Menschen zu manipulieren. Sie verbreiten mit Techno unterlegte Videos von Hitler-Reden, feiern die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck als „Märtyrerin der Meinungsfreiheit“ oder posten immer wieder Kommentare mit der Zahl 271k. Eine Referenz zu der Verschwörungsgeschichte, die Nationalsozialisten hätten „nur“ 271.000 anstatt sechs Millionen Juden getötet.
Rechtsextreme Influencer und AfD-Politiker
Der Bericht nennt zwei Beweggründe, Geschichte im Internet zu verzerren: Ideologie und Kommerz. Zum einen gebe es die politischen Überzeugungstäter. Sie verharmlosten den Holocaust, machten sich darüber lustig oder glorifizierten den Nationalsozialismus, weil sie den Tätern politisch nahe stünden. Zu dieser Gruppe zählt der Bericht unter anderem rechtsextreme Influencer und prominente AfD-Politiker wie Maximilian Krah, die Deutschland von einem „Schuldkult“ befreien wollen.
„Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher“, sagte Krah in einem TikTok-Video 2023, in dem er junge Menschen dazu auffordert, nachzuforschen, wie ihre Großeltern „gekämpft und gelitten“ hätten. Die von ebendieser Großelterngeneration getöteten Juden und andere verfolgte Gruppen erwähnt er nicht. Als seien die Deutschen die Opfer der Geschichte gewesen, die sich nie etwas zuschulden kommen ließen und deswegen heute eine stolze Nation bilden könnten.
Verhöhnung von NS-Opfern als Geschäftsmodell
Auf der anderen Seite stünden dem Bericht zufolge Menschen, die den Holocaust online verhöhnen oder verharmlosen, um daraus Profit zu schlagen. Inhalte, die besonders viele Reaktionen von Nutzern hervorrufen, werden von den Algorithmen der Plattformen belohnt und weiter verbreitet. Deswegen gibt es einen Anreiz, zu provozieren und Grenzen zu überschreiten. So inszenierten sich Nutzer zum Beispiel als feiernde DJs in Gaskammern.
Aber auch Inhalte, die ohne böse Absicht hochgeladen werden, zum Beispiel um NS-Opfern zu gedenken oder geschichtliches Wissen zu vermitteln, könnten instrumentalisiert werden, so die Gedenkstätte Anne Frank. Historische Fakten würden von KIs oder Laien oft falsch wiedergegeben und Stereotype reproduziert.
Gedenkstätte sieht Täter-Opfer-Umkehr bei Posts zum Nahostkonflikt
Vor allem seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 07. Oktober 2023 spiele auch der Nahostkonflikt eine große Rolle in der Geschichtsumdeutung im digitalen Raum. So würden massiv Inhalte verbreitet, in denen Israel mit dem NS-Regime gleichgesetzt wird. Ein Meme etwa zeigt einen israelischen Soldaten, der seine Waffe auf eine Frau mit Kopftuch richtet und im Spiegel einen Nazi erkennt, der auf einen KZ-Häftling zielt.
Die Gedenkstätte sieht darin eine typische Täter-Opfer-Umkehr, die in diesem Kontext weitverbreitet sei. „Eine demokratische, menschenrechtsorientierte Erinnerungskultur verlangt, historische Kontexte klar zu unterscheiden – ohne dabei das Leid gegenwärtiger Opfer unsichtbar zu machen“, heißt es in dem Bericht.
Forderung nach mehr Bildungsangeboten online
Junge Menschen zeigten ein starkes Interesse an Geschichte und es sei nachvollziehbar, dass sie sich eine Ansprache im digitalen Raum wünschen. Diese werde allerdings weitestgehend von den falschen Akteuren geboten.
Um Geschichtsumdeutung entgegenzuwirken, müssten hochwertige Bildungsangebote auf den sozialen Medien ausgebaut und gleichzeitig wirksame Sanktionen bei geschichtsverfälschenden Inhalten eingerichtet werden. Da Meta, der Mutterkonzern von Facebook und Instagram, erst Anfang des Jahres angekündigt hat, Faktenchecker abzuschaffen, sieht es dafür allerdings schlecht aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Neuer Innenminister will Pushbacks
Dobrindt lässt Asylsuchende zurückweisen
Kanzlerwahl von Friedrich Merz
Wer hat ihn verraten?
NS-Geschichte und Appeasementpolitik
Hätte der Zweite Weltkrieg verhindert werden können?
Ex-Kanzler Olaf Scholz
Er wird als Zwischenfigur in die Geschichte eingehen
Israels Pläne für Gaza
Es hängt an Netanjahu
Nach der Bundeskanzlerwahl
Beschluss zur Unvereinbarkeit weicht auf