Geschichtsaufarbeitung in Uruguay: Ex-Diktator muss vor Gericht
Gregorio Álvarez wird die Entführung und das Verschwindenlassen von politischen Gefangenen vorgeworfen. Bislang sind alle Militärverbrechen straffrei geblieben.
BUENOS AIRES taz In Uruguay muss sich der ehemalige Diktator Gregorio Álvarez wegen Menschenrechtsverbrechen vor Gericht verantworten. Am Montag hat der zuständige Richter Luis Charles die Eröffnung des Verfahrens gegen Álvarez und gleichzeitig seine Verhaftung angeordnet. Álvarez hatte von 1981 bis 1985 als Präsident der Militärregierung vorgestanden. 1978 und 1979 war er Oberster Heereschef des südamerikanischen Landes. Dem heute 82-Jährigen wird die Beteiligung an der gewaltsamen Entführung von politischen Gefangenen aus Argentinien im Jahr 1978 und deren späteres Verschwinden vorgeworfen.
Im dem Fall geht es um das Verschwinden von 39 Gefangenen der argentinischen Militärdiktatur im Rahmen des "Plan Cóndor". Sie sollen 1978 zu unterschiedlichen Zeitpunkten von Argentinien nach Uruguay verschleppt worden sein. Gesichert ist, dass mindestens zwei von ihnen in beiden Ländern von Mitgefangenen gesehen worden sind. Mit dem "Plan Cóndor" koordinierten die Militärdiktaturen Südamerikas, unter anderem von Uruguay (1973-1985) und Argentinien (1976-1983), die grenzüberschreitende Verfolgung von Regimegegnern.
Mit Álvarez wird dem zweiten ehemaligen Diktator Uruguays der Prozess gemacht. Seit Ende vergangenen Jahres wird bereits gegen den ehemaligen Diktator Juan María Bordaberry in zwei Mordprozessen verhandelt. Bordaberry wird die besonders grausame Ermordung von zehn Menschen während seiner Herrschaft (1972-1976) vorgeworfen. Der 78-Jährige steht wegen seines Gesundheitszustands unter Hausarrest.
Seit der Amtsübernahme des linken Präsidenten Tabaré Vázquez war der Druck auf eine Strafverfolgung wegen Menschenrechtsverbrechen gestiegen. Bisher sind alle Verbrechen der Militärs wegen einer 1986 erlassenen Amnestie mit einer Ausnahme straffrei geblieben. Der jetzt angeordnete Prozess geht auf ein Gesetz aus dem Jahr 2006 zurück, das das "gewaltsame Verschwindenlassen" unter Strafe stellt. Zudem sind Diktaturverbrechen im Ausland nicht vom Amnestiegesetz gedeckt. Bei einer Verurteilung drohen Álvarez bis zu 25 Jahre Haft.
Mitte der 70er-Jahre erlangte Uruguay traurige Berühmtheit als "Folterkammer Lateinamerikas". Insgesamt wurden 40.000 Menschen während der Diktatur verhaftet, die meisten gefoltert und viele ermordet. Über den Verbleib von knapp 200 Personen gibt es bis heute keine Gewissheit. JÜRGEN VOGT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!