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bannmeileGeschichte, in Leder gebunden: In den Sitzungsprotokollen des Bundestags stehen lustige Sachen

„Kikeriki, ich bin schon da“

Die Präsenzbibliothek des Bundestages befindet sich im Reichstag, und der Reichstag liegt mitten in Berlin. Aber der Weg hinein ist für einen Kulturredakteur schon eine kleine Expedition. Vielleicht ging deshalb auch gleich der Start daneben. Allerdings hat der Pförtner der Wilhelmstraße 65 den Weg zum Presseservice des deutschen Bundestages auch ziemlich vernuschelt beschrieben. Jedenfalls betrat ich im ersten Stock forsch ein Büro, auf dessen Schild irgendwas mit deutschem Service draufstand, und erklärte der jungen Berliner Blusendame mein Anliegen. Tagesakkreditierung für den Reichstag, Minireportage über die Präsenzbibliothek etc. Ganz irritiert rief sie erst mal ihren Chef, der sich alles auch noch mal geduldig anhörte, dabei aber komisch guckte. Dann sagt er mir, dass ich aus Versehen beim Reiseservice der Deutschen Bundesbahn gelandet sei. Wie behält man in solchen Augenblicken die journalistische Würde und den Elan für eine kleine Parlamentskolumne?

Im Pressebüro zwei Stockwerke drüber ging dann alles zack, zack. Den Pförtner im Reichstag fragte ich aber lieber nichts mehr. Dafür stehen ja die viel schickeren Parlamentsdiener im Gehrock und mit blank gewichsten Schuhen rum. Ein besonders distinguierter, grau melierter Herr führte mich schnurstracks zur Präsenzbibliothek. Da schlug er dann mit durchgedrücktem Rücken stolz die Hacken zusammen: „Fuffzig Jahre, Mensch, in den Dingern is allet drinne.“

Die Dinger, das sind 199 breite, in Leder gebundene Buchrücken. 199-mal viele hundert Seiten detailliert protokollierte Bundestagssitzungen, niedergeschrieben von zwei Generationen von Stenotypisten. Beim Blättern durch die eng bedruckten Seiten springen sofort die Zwischenrufe beziehungsweise Saalbeschreibungen ins Auge. Eigentlich lesen sie sich wie Regieanweisungen eines fünfzig Jahre dauernden Theaterstückes. Bei der ersten Sitzung des Deutschen Bundestages am 7. 9. 49 eröffnete Löbinger als ältester Mensch im Saal die Sitzung und stellte erst mal fest, dass sich das deutsche Volk großteils sehr wohl gegen Hitler zur Wehr gesetzt habe. Die Stenotypisten notieren nacheinander: (Händeklatschen), (Unruhe), (große Heiterkeit), (allgemeine Heiterkeit), (Zuruf von der KPD: Denkste! Denkste!). Überhaupt fällt im Laufe der Jahrzehnte auf, dass man sich früher viel mehr Mühe gab, die Saalreaktionen genau zu differenzieren, etwa: (Beifall bei den Kommunisten/Lachen rechts), (Sehr wahr rechts, sehr richtig links). In der Ära Kohl hingegen, in fast liturgischer Langeweile wiederkehrend: (Beifall bei den Regierungsparteien).

Was die Abneigungsbekundungen betrifft, gibt es durchaus parteiliche Konstanten. Absoluter All-time-Favourite in der CSU-Ecke: „So ein Schmarren!“. Die SPD bringt bis in die Achtziger noch viele Pfui-Rufe und wird mit der Zeit etwas ruhiger.

Abgesehen von den übergreifenden Stimmungsschwankungen des manchmal wie ein dickes, schläfriges, berechenbares Haustier wirkenden Parlaments (Unruhe), (Heiterkeit), (große Heiterkeit im ganzen Hause), gibt es auch eine überraschend anarchische Tradition der Einzelintervention. Ewig ungeschlagener Zwischenruf-König war natürlich Herbert Wehner. In den Siebzigern wurde er nach seiner „Arschloch“-Aktion ganz offensichtlich auch zum Liebling der Parlaments-Stenotypisten, die für seine Ausfälle eine liebevolle Ausdrucksvielfalt entwickelten (Der Abgeordnete Wehner macht hämische Geräusche), (Der Abgeordnete Wehner grummelt abwertend). Aber auch andere taten sich hervor. Der SPD-Abgeordnete Dr. Emmerlich zum Beispiel, wie dank der fleißigen Stenotypisten nachzulesen ist. Bei einer Sitzung zur Neuordnung des Betäubungsmittelgesetzes am 26. Mai 1981 rief er, gerade als über den Cannabis- und Kokainverbrauch debattiert wurde, völlig unvermittelt: „Kikeriki, ich bin schon da.“ KATJA NICODEMUS

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