Geschichte des Begriffs „Mainstream“: Anarchopunks und Frei.Wild

Das Wort „Mainstream“ kam als rebellische Kampfvokabel in die Welt. Heute wird es vor allem von rechts attackiert.

Bühne mit Lichtinstallation und Band im Hintergrund leuchtet der Schriftzug "Rivalen"

Die Band Frei.Wild – ein vermeintliches Opfer des linksliberalen Mainstreams Foto: Eibner/Daniel Lakomski/imago-images

Es ist vielsagend, dass das Wort „Mainstream“ heute im Wesentlichen durch sein Gegenteil definiert ist. Der Duden definiert den Begriff als: „(oft abwertend) vorherrschende gesellschaftspolitische, kulturelle o. ä. Richtung: sich vom Mainstream absetzen“. Weiterhin wird dort auf die Herkunft des Begriffs aus der Popkultur des 20. Jahrhunderts verwiesen, auch dort wurde der Mainstream – erst im Jazz, später im Pop – als das zu Glatte, Unwiderständige zumeist negativ definiert: Als das, mit dem man nichts zu tun haben wollte also.

Bei den Verschwörungstheorien ist oft von den Mainstreammedien die Rede. Dabei ging es ursprünglich darum, der Marktkonzentration im Mediensektor etwas entgegenzusetzen. Die Ablehnung der Massenmedien steht seit der Nachkriegszeit in durchaus linker Tradition: Von den Untergrund-Magazinen der Counterculture bis zu NGO-Blogs von heute könnte man von einer stetigen Zunahme linker Alternativmedien sprechen. Auch die taz ist – zu einer Zeit, in der es in der BRD drei Programme gab und weit weniger überregionale Medien – aus dem Geist heraus gegründet worden, Gegenöffentlichkeit herzustellen.

Heute aber gibt es den medialen Mainstream in dieser Form gar nicht mehr. Wer oder was sollte das auch sein? Die knapp eine Million Instagram-Follower des Influencers Rezo? Die 4 Millionen, die abendlich das „heute-journal“ schauen? Die 479.000 Youtube-Abonnenten von eines Ken Jebsen?

Medien sind hierzulande heute partikularer, pluraler und dezentraler als je zuvor, und gleichgeschaltet sind sie allein deshalb nicht, weil die Aufmerksamkeitsökonomie die Prinzipien Rede und Gegenrede, These und Gegenthese quasi ständig einfordert. Falls es doch noch so etwas wie einen medialen Mainstream gibt, so kann der heute in Echtzeit überprüft werden – und wird dies auch. Natürlich gibt es auch heute noch starke Verlagshäuser, aber an Gegenöffentlichkeit mangelt es keineswegs.

Einen gesellschaftlichen Mainstream kategorisch abzulehnen, ist dagegen schon deshalb unsinnig, weil dieser ja ständig im Wandel ist. Der Mainstream an sich ist nichts Böses, im Gegenteil. Irritierend wäre es eher, wenn jemand politische Ideale hätte und nicht dafür einträte, dass sie irgendwann den Mainstream erreichen sollen. Heute ist es zum Glück – mehr oder weniger – Common Sense, dass die Erde keine Scheibe ist, dass der Klimawandel vom Menschen verantwortet wird, dass Homosexualität keine Krankheit ist und Feminismus auch nicht.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Kein Wunder, dass ein solcher Mainstream heute vorrangig von rechts attackiert wird. Die Schlachten um die Deutungshoheit des Begriffs zeigen sich auch in der Popkultur: Im Punk richteten sich einst noch anarchistische und linksradikale Bands wie Crass gegen den Mainstream, warfen Gruppen wie The Clash vor, viel zu sehr im Mainstream aufzugehen. Punkbands arbeiteten sich am männlichen, weißen Mainstream-Rock ab.

Heute hingegen ist der Mainstream im (internationalen) Pop fast flächendeckend divers, queer, vielfältig – und Rechte arbeiten sich daran ab. So gerieren sich Künstler wie Andreas Gabalier („Man hat es nicht leicht auf dieser Welt, wenn man als Manderl noch auf Weiberl steht“) und Frei.Wild als vermeintliche Opfer des linksliberalen Mainstreams. Wie fragil der Terminus ist, zeigt sich dann auch wieder dadurch, dass diese selbst wiederum Massen erreichen.

Was in jüngster Zeit gesellschaftlicher Mainstream war? Nun, es war Mehrheitsmeinung, seine eigenen Grundrechte zurückzustellen, um eine schwächere Bevölkerungsgruppe zu schützen. Solidarität war Mainstream. Dagegen ist erst mal wenig einzuwenden.

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