Geschichte der bayerischen Biergärten: Im Schatten der Kastanie

Vor 200 Jahren erließ Bayerns König eine Biergärten-Verordnung: Bier ausschenken erlaubt, Speisen anbieten verboten. Das ist heute ein entscheidender Vorteil.

War schon vor 200 Jahren angesagt: Draußen sitzen, trinken, essen. Bild: dapd

MÜNCHEN taz | Es war ein heißer Sommer, dieser Sommer des Jahres 1811, und unter Münchens Gastwirten brodelte es. Denn die Kundschaft war wieder einmal ausgeblieben und trank ihr Bier lieber unter den schattigen Kastanien am Ufer der Isar. Dort zapften es die Töchter der hier ansässigen Brauer in die tönernen Maßkrüge.

Direkt unter ihnen, in tiefen Kellern, lag in Holzfässern genug Nachschub bereit. Frischer konnte man Bier nicht bekommen. Doch als die Brauer nun auch noch begannen, unter ihren Kastanien Essen zu servieren, war für die Gastwirte die Maß voll. Dies durfte der König nicht erlauben, hier musste sich etwas ändern. Mit einem Streit begann so vor 200 Jahren die Geschichte der bayerischen Biergärten.

Tatsächlich hatten die Brauereien des Landes bisher ganz besonders von der liberalen Wirtschaftspolitik unter Bayerns erstem König, Maximilian I. Joseph, profitiert. Der hatte es Napoleon nachgemacht und die Zunftordnung gelockert. Erstmals durfte mit Bier frei im ganzen Land gehandelt werden, das war die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufstieg der Münchner Brauereien.

Die Gastwirte konnten da nicht mithalten. Dabei hatten diese Gastwirte ihren König Max bei seinem Einzug in die Residenzstadt noch voll Vorfreude begrüßt. Der Kaltenegger-Wirt, manche meinen auch, dass es der Wirt des Pschorr-Bräu war, soll sich sogar an seine Kutsche gedrängt und gerufen haben: „Weilsd nur grad da bist, Maxl!“ Denn der erste König Bayerns galt als „kommod“, als gemütlich und lebensfroh.

Schon bald sagte man ihm nach, dass er öfter auf der „Schranne“, so etwas wie einem Vorläufer des Viktualienmarkts, zu sehen sei als auf dem Kasernenhof. König Max war ein Genussmensch und ein Politiker, der hin- und hergerissen war zwischen dem modernen napoleonischen Frankreich und dem in konservativen Traditionen erstarrten Österreich.

Zum Bier gibt’s nur Brot

Und genau hier setzten die erzürnten Gastwirte an. Am 4. Januar 1812 unterzeichnete ihr Maxl die Verordnung über die bayerischen Biergärten. Es war ein Dokument des Ausgleichs, so etwas wie ein Vorläufer von Stoibers „Laptop mit Lederhose“: Die Brauereien durften in ihren Kastaniengärten zwar weiterhin Bier ausschenken, doch außer Brot keine Speisen mehr anbieten. Dies blieb den Gastwirten vorbehalten. So herrschte wieder Frieden im Land.

In diesem Sommer feiert Bayern das 200. Jubiläum der königlichen Biergarten-Verordnung, und es scheint, als hätte diese nichts von ihrem Reiz verloren. Oder eher dazugewonnen. Denn das, was einst als Einschränkung gedacht war, wurde zum entscheidenden Vorteil der Biergärten: die Freiheit, das eigene Essen mitzubringen. Nicht auf das Angebot der Wirte angewiesen zu sein, sondern daheim das Beste in den Brotzeitkorb packen zu können. Einen selbst gemachten Obazden – zerdrückter Camembert mit Frischkäse – oder einen Wurstsalat aus Regensburgern mit viel roten Zwiebeln.

Und dennoch hat sich etwas in den Biergärten verändert, das Wichtigste: das Bier. Um dies zu verstehen, muss man sich eine andere bayerische Verordnung anschauen. Eine Verordnung, die noch einmal fast dreihundert Jahre älter ist und vorschrieb, dass in Bayern Bier nur zwischen dem Tag des heiligen Michael am 29. September und dem Tag des heiligen Georg am 23. April gebraut werden durfte.

Kein Sommer ohne Bier

Denn damals trank man untergäriges Bier – heute kennt man es als Pils oder Helles –, und dafür darf die Temperatur beim Gären nicht über 15 Grad Celsius steigen. Da sich die Münchner einen Sommer so ganz ohne ihr traditionelles Bier aber nicht vorstellen wollten, kreierten sie einen Sud, der so lange haltbar sein sollte, dass man damit die braufreie Zeit zwischen April und September überbrücken konnte.

Dieses neue Bier leuchtete wie dunkler Bernstein, schmeckte nach Malz, war süß und süffig und hatte einen Stammwürzgehalt von 15 Grad. Damit lag der Anteil der aus Hopfen und Malz gelösten Stoffe vor der Gärung um einiges höher als bei heutigen Bieren mit bis zu 12 Grad Stammwürze. Dieses Bier hatte deshalb nicht nur 5, sondern 6 Prozent Alkohol.

Um seine Haltbarkeit noch weiter zu verlängern, gruben die Brauer neben ihren Brauereien bis zu zwölf Meter tiefe Keller in die Erde. In diesen lagerten sie das Bier und bedeckten es mit Eis, das sie im März aus den noch gefrorenen Flüssen und Seen geschlagen hatten. Weshalb sie ihr neues Bier Märzen nannten. So zumindest eine Erklärung. Andere Brauer meinen, dass das Bier den Namen Märzen erhielt, weil es nur im März gebraut wurde.

Und genau dieses Märzen gibt es in bayerischen Biergärten heute (fast) nicht mehr. Was, so der Braumeister Christoph Dahncke, mit den modernen Trends im Biergeschmack zusammenhänge. Statt dunkel trinke man heute hell, statt süßlich muss es herb sein, statt nach Malz nach Hopfen schmecken. Auch wenn dies viele deutsche Brauer nicht gerne hören, der Trend geht hin zum US-amerikanischen Dünnbier. Ein Bier, das nicht nur weniger Alkohol, sondern damit eben auch weniger Geschmack hat. Märzenbier werde, so Hacker-Pschorr-Brauer Dahncke, meist nur noch auf dem Oktoberfest angeboten.

Treue zum Märzen-Bier

In Bayern existieren allerdings noch einige kleine Familienbrauereien, die sich dem Modegeschmack nicht angepasst haben und Märzenbier herstellen. Flötzinger Bräu aus Rosenheim zählt dazu, Löwenbräu aus Bräunlingen oder Juliusbräu aus Neuburg an der Donau. Das vielleicht beste Märzen kommt jedoch vom Bodensee: Denn die Kronen-Brauerei in Tettnang verwendet den traditionellen Tettnanger Aromahopfen.

Eine ganz besondere Spezialität gibt es schließlich bei „Schlenkerla“ in Bamberg. Dort, wo man selbst in den Gastraum seine Brotzeit mitbringen darf, zapft man ein Rauchmärzen, das eine Stammwürze von 13,5 Grad hat. Selbst die Tradition, Bier nicht im klimatisierten Kühlraum, sondern mit Eisblöcken zu kühlen, wird inzwischen wiederbelebt. Beim Pschorr am Münchner Viktualienmarkt ist man der Ansicht, dass in Holzfässern gelagertes Bier besser schmeckt, und verwendet daher selbst hergestelltes Stangeneis, um die Fässer feucht zu halten.

Und vielleicht kommt ja auch das traditionelle Märzenbier wieder. Brauer Dahncke jedenfalls hat erlebt, dass beim 200. Jubiläum des Oktoberfestes 2010 ein Bier der Renner war, das genauso hergestellt wurde wie zu der Zeit, als Max König von Bayern war.

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