Gerichtsverfahren um Halberstadt-Überfall: Die Polizei hat versagt
Im Sommer 2007 schlug eine Gruppe Rechtsradikaler die Mitglieder einer Theatergruppe krankenhausreif. Jetzt steht der Prozess vor dem Aus - wegen Schlamperei der Polizei.
MAGDEBURG taz Gerade hatte die erste Zeugin ihren Stuhl zurechtgerückt, da musste sie den Gerichtssaal auch schon wieder verlassen. Man wolle einen Antrag stellen, hatte Anwältin Franziska Nedelmann zuvor gesagt.
Was dann folgte, war eine Abrechnung. "Dieses Verfahren gibt nur noch vor, rechtsstaatlichen Belangen zu genügen", sagte Nedelmann. Deshalb beantragten die Nebenkläger im Prozess um den Überfall auf eine Theatergruppe im sachsen-anhaltinischen Halberstadt das Ende der Beweisaufnahme. Nedelmann hält wie die anderen Anwälte der Opfer "eine weitere Sachaufklärung geradezu für ausgeschlossen".
Das saß. "Unverschämtheit" warfen die Verteidiger Nedelmann vor und dass sie den Prozess "für die eigene Profilierung" nutze. Die beiden Staatsanwälte saßen wie versteinert da und schwiegen. Erst in der folgenden fünfzehnminütigen Pause gaben sie halblaut flüsternd ihre Meinung kund: "Schwachsinn", und "diesen Schuh ziehen wir uns nicht an". Konzeptloses Handeln hatte ihnen Nedelmann vorgeworfen und dass sie "seit Monaten ihre eigene Anklage nicht mehr vertreten".
In dem Prozess vor dem Landgericht Magdeburg sind vier Männer im Alter von 22 bis 29 Jahren aus der örtlichen rechtsradikalen Szene angeklagt. Sie sollen bei einer Gruppe Männer dabei gewesen sein, die 14 Theaterschauspieler in der Nacht vom 8. auf den 9. Juni 2007 angegriffen und geschlagen haben. Seit dem Beginn der Ermittlungen gab es eine Reihe von Pannen. So wurden dem Richter beispielsweise erst Anfang Januar 2008 relevante Akten vorgelegt, welche auf Ermittlungen aus dem Sommer 2007 beruhten.
Als sich eine Staatsanwältin eine Woche nach dem Überfall das Lokal "Spucknapf" in der Nähe des Tatorts anschaute und mit möglichen Zeugen sprach, wurde das nicht dokumentiert. Und in der Nacht des Angriffs nahmen die herbeigerufenen Polizisten nicht die Personalien von Tatverdächtigen auf, obwohl sich diese noch in der Nähe befanden und die überfallenen Schauspieler die Beamten auf diese Personen hinwiesen.
Ein interner Bericht bescheinigt der Polizei denn auch "Gesamtversagen". Sachsen-Anhalts Polizeibehörden stehen seit geraumer Zeit für ihren eigenwilligen Umgang mit Rechtsextremismus in der Kritik. Ob die Beweisaufnahme tatsächlich nicht mehr fortgesetzt wird, entscheidet das Gericht beim nächsten Termin am 28. März. Bis dahin wollen Staatsanwaltschaft und Verteidigung eigene Stellungnahmen abgeben.
Die Schauspieler wollen den Prozess jedenfalls so schnell wie möglich hinter sich bringen. Viele empfinden die schlampigen Ermittlungen und die Behandlung durch die Staatsanwälte als Verhöhnung. "Teilweise hat uns die Staatsanwaltschaft so hingestellt, als hätten wir Mitschuld an dem, was passiert ist", sagt Franziska, eine Tänzerin. "Wir wollen uns nicht weiter demütigen lassen." Wie ihre Kollegen hat auch sie Angst, den Angreifern wieder zu begegnen.
Sie und ein anderer Tänzer sahen deswegen nur einen Ausweg. Sie haben gekündigt und ziehen weg. DANIEL SCHULZ
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