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Bewegung

Gerichtsprozesse gegen Feminist:innen Angeklagt und eingestellt

Dutzende Menschen sitzen wegen Nötigung auf der Anklagebank, weil sie den Marsch für das Leben blockierten. Die Reaktion einer Richterin gibt Anlass zur Hoffnung.

Diese Blockade hat den Fundis wohl nicht so gut gefallen. Bild: dpa

von Jordi Ziour 

Was sich am Donnerstagnachmittag im Saal des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin abspielte, ereignet sich nicht aller Tage. Line Baum wurde wegen Nötigung angeklagt, das Verfahren eingestellt, ohne Auflagen. Im September 2019 blockierte sie mit rund 100 weiteren Aktivist:innen den sogenannten Marsch für das Leben, eine jährliche Demonstration von Abtreibungsgegner:innen in Berlin.

Sie ist wütend, weil ihr physische Gewalt vorgeworfen wird. Dabei habe sie viel häusliche Gewalt gegen Frauen und Queers erlebt, die nie angeklagt werde, erzählt sie und findet das ungerecht. Auf ihrem Mund-Nasen-Schutz prangt ein roter Blitz, das Zeichen der polnischen Bewegung, die sich aktuell für die Legalisierung von Abtreibungen einsetzt. Vor Gericht wird Baum sich nicht einschüchtern lassen, im Gegenteil. Sie wird eine Erklärung verlesen, um ihr Engagement zu begründen – dass selbst die Richterin nicht kalt lässt.

Laut dem Bündnis What the Fuck! haben rund 100 Aktivist:innen Strafbefehle bekommen. “Wir wissen aber von über 70 Angeklagten, die Staatsanwaltschaft schreibt in der Anklage von einer Nötigung, gemeinschaftlich handelnd mit über 100 weiteren Personen“, so die Pressesprecherin des feministischen Bündnisses What the Fuck!, Lily Kramer. „Wenn die alle zusammen addiert ergibt das eine summe im fünfstelligen Bereich, was eine krasse Einschüchterung und Kriminalisierung des feministischen Protest bedeutet“.

Ob Sitzblockaden unter dem Delikt der Nötigung verhandelt werden können, wie im Fall von Baum, ist unter Jurist:innen seit Jahrzehnten kontrovers umstritten. Der Anwalt von Baum, Lukas Theune, erklärt auf taz-Nachfrage: „Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Sitzblockaden, die es schon gibt, haben zu einer Stärkung des Demonstrationsrechts geführt. Die haben nämlich gesagt, dass man das nicht als Gewalt ansehen kann, wenn man sich irgendwo hinsetzt und etwas blockiert.“

Die politische Dimension der Sitzblockade

Es werde gar nicht die politische Dimension der Sitzblockade als Gegenversammlung erkannt, kritisiert Theune. „Die Polizei hat einfach gesagt, wir behandeln sie als einzelne Teilnehmer dieser Lebensschützerversammlung und schließen sie aus dieser Versammlung aus ohne überhaupt zu verstehen, dass die Sitzblockade eine eigene, eine Gegenversammlung dargestellt hat.“ Theune findet die Missachtung der Versammlungsfreiheit der Blockierenden skandalös.

Baum sei das dritte Gerichtsverfahren von der das Bündnis What the Fuck! wisse. Sie begleiten und unterstützen die Angeklagten. So auch heute: Vor dem Gerichtsgebäude in der Kirchstraße 7 Moabit versammeln sich ab 14 Uhr rund 35 Menschen, um sich solidarisch zu zeigen. Im ersten Prozess wurde das Verfahren gegen eine Auflage von 150 Euro eingestellt, so das Bündnis auf Twitter. Im zweiten Prozess wurde die Angeklagte Person wegen Nötigung zu einer Strafzahlung von 675 Euro verurteilt, bestätigte das Gericht der taz.

Die Presssprecherin des Bündnis, Kramer, erklärt, dass die Angeklagte Person die Einstellung des Verfahrens gegen Strafzahlung nicht akzeptiere, um in der zweiten Instanz einen Freispruch zu erwirken. Aber ob das gelingt, ist unklar. Baum hatte diese Option auch in Betracht gezogen, sich dann aber dagegen entschieden. Sie erzählt, dass sie momentan befristet an einer Universität arbeite. Sie befürchtet mit einer Vorstrafe nicht wieder eingestellt zu werden.

Im Gerichtsaal beginnt Baum, ihre Erklärung zu verlesen. „Ich stehe heute hier wie viele Mitstreiter:innen vor Gericht, weil ich Nein sage, zu christlichem Fundamentalismus, weil ich für das einstehe, was sich Generationen von Feminist:innen hart erkämpft haben: die Möglichkeit über den eignen Körper und das eigene Leben zu entscheiden.“ Die Angeklagte spricht ruhig, bestimmt und schaut immer wieder die Richterin Noack und die Staatsanwältin an. Noack lehnt ihren Kopf leicht zur rechten Seite, wendet ihren Blick nicht von der Angeklagten. Anders die Staatsanwältin, die kaum Baums Blick standhalten kann und immer wieder auf den Boden schaut. „Abtreibungen müssen legal, kostenlos, sicher und zugänglich für alle sein“, schließt Baum ihre Erklärung. Stille.

„Als Repräsentantin fällt es mir nicht leicht, darauf zu antworten. Als Frau danke ich Ihnen“, sagt die Richterin Noack und stellt das Verfahren ein, ohne Auflagen. Die Kosten trägt die Staatskasse.