Gericht missbilligt Justizbehörde: Schwatzanwälte gerügt
Mit Plaudereien und erotischen Fantasien zum „Bamf-Skandal“ haben Ermittler laut Verwaltungsgericht Bremen die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten verletzt.
Mindestens ein Vertreter der Behörde hat laut Verwaltungsgericht durch seine Äußerungen „unzulässig in die Privatsphäre“ von Ulrike B. eingegriffen, der ehemaligen Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Die Erzählungen würden zudem „eine Vorverurteilung darstellen“, heißt es im am Donnerstag veröffentlichten Beschluss vom 7. Mai.
Darin geht es um zunächst von „Zeit online“ publizierte, dann von „Focus online“, dem Weser-Kurier und Presseagenturen freudig weiter verbreitete Plaudereien eines bislang unbenannten Mitglieds der 36-köpfigen Ermittlungsgruppe im vermeintlichen Bamf-Skandal.
„Wir haben keinen abschließenden Überblick, wer das noch aufgegriffen hat“, heißt es aus der Kanzlei des Berliner Anwalts Jony Eisenberg, der Ulrike B. in medienrechtlichen Auseinandersetzungen vertritt. Immer wieder habe sich die Staatsanwaltschaft einschlägig in TV und Zeitungen ausgelassen. Dem ist nun ein Riegel vorgeschoben: „Es steht außer Frage, dass wir den Beschluss so akzeptieren werden“, teilte Marius Loeber, der Sprecher des Justizsenators mit.
Das Ressort halte zwar das Ermittlungsverfahren durch die öffentlichen Äußerungen nicht für korrumpiert. „Auswirkungen auf das sich eventuell anschließende Strafverfahren können jedoch nicht ausgeschlossen werden“, so Loeber zur taz. Das zu entscheiden sei indes Sache der zuständigen Gerichte.
Befangen können nur Richter sein
Zwar kennt die Strafprozessordnung für Staatsanwälte keine Besorgnis der Befangenheit, trotzdem könnten verleumderische und ehrenrührige Äußerungen von für den Fall zuständigen Staatsanwälten – die Informanten haben durch die Angabe von internen Aktenzeichen ihre Zugehörigkeit zur Ermittlungsgruppe verraten – deren Ergebnis beeinträchtigen.
Ob man nicht mindestens den fraglichen Dezernenten vom Fall abziehen sollte, sei „Gegenstand der internen Prüfung“. Wer hier so offensiv in die Medien gedrängt war und der geschassten Behördenleiterin eine ehrenrührige Lovestory mit einem Hildesheimer Anwalt angedichtet hatte, sei „selbstverständlich bekannt“.
Bislang hatte sich die Staatsanwaltschaft in der Frage offenbar wenig kooperativ gezeigt: Sie „verweigerte die Namhaftmachung“, so die Kanzlei Eisenberg. Sinngemäß habe es geheißen, „das würde uns alles nichts angehen“. Auf die Beschwerde hin habe dann die Generalstaatsanwaltschaft erklärt, „von der ganzen Sache nicht zu wissen“. Das dürfte sich mittlerweile geändert haben.
Ohne Tat keine Täter
Ulrike B. wird als Beschuldigte geführt im aktuell einzigen bundesweiten Ermittlungsverfahren zum Vorwurf der „Gewerbs- und bandenmäßigen Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung“. Das läuft seit über einem Jahr. Die öffentliche Anteilnahme war anfangs extrem, hat sich aber verläppert.
Das hat Gründe: Die von der Bremer Behörde ausgestellten Bescheide haben sich nämlich bei intensivster Prüfung als überdurchschnittlich korrekt erwiesen. Sprich: Der Informant breitete in „Zeit online“ seinen Glauben daran aus, „Beweise für eine kriminelle kollusive Zusammenarbeit“ zu haben, die zu einer Haftstrafe führen könnten und würzte die mit einer vermeintlichen tiefen emotionalen Bindung. Faktisch gibt es jedoch nichts, was auf eine Vergehen hindeuten könnte, insbesondere keine nennenswerte Zahl fälschlich ausgestellter Asylbescheide.
Marius Loeber, Sprecher des Justizsenators
Das gilt ausdrücklich auch für die an Mandanten des Hildesheimer Anwalts ergangenen Bescheide, wo die Zahl dem Konstrukt der Staatsanwaltschaft zufolge doch besonders hoch sein müsste: Auf ganze elf Zweifelsfälle beläuft sie sich dort, woraus südwester, die Witzrubrik der taz.nord, einen Rausch der Leidenschaft von 0,846 Promille der überprüften Fallakten errechnete.
Umgekehrt sind die Äußerungen des Staatsanwalts selbst strafrechtlich relevant – und angezeigt worden. Zwar gebietet das öffentliche Interesse am vermeintlichen Bamf-Skandal, ausführlich über die Ermittlungsfortschritte Auskunft zu geben – und JournalistInnen sollen auf die Angaben der Behörde vertrauen können. Insofern durfte der Ermittler berichten, dass sich keine Hinweise auf Bestechlichkeit von Ulrike B. ergeben hatten.
Seine „Mutmaßungen“ über Liebesbeziehungen gingen „die Öffentlichkeit nichts an und sind in diesem Detailgrad insbesondere nicht zur Meinungsbildung erforderlich“, stellt das Verwaltungsgericht klar. Sie könnten den Straftatbestand „Verletzung von Privatgeheimnissen“ erfüllen, vielleicht aber sogar als öffentliche Verleumdung gewertet werden. Darauf steht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Ermitteln muss die Staatsanwaltschaft Bremen.
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