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Gerhard Schick über grüne Wirtschaftspolitik"Wir meinen einen anderen Wohlstand"

Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen erklärt, wie "Wohlstand für alle" gehen soll. Von den Reichen erwartet er mehr Bereitschaft zum Verzicht.

Grüne Politik lohnt sich für alle. Bild: dpa
Interview von S. Kosch und M. Lohre

taz: Herr Schick, die Grünen erreichen in den Wahlumfragen derzeit Werte von bis zu 24 Prozent. Sie sind in der bürgerlichen Mitte angekommen. Sind Sie noch ein linker Politiker?

Gerhard Schick: Ja, wir Grünen stehen für Ökologie und Gerechtigkeit, für Bürgerrechte und Emanzipation. Das ist nach wie vor eine Programmatik der linken Mitte.

Das alles sind Ziele, denen sich auch die FDP verpflichtet fühlt. Muss eine linke Partei nicht mehr die Systemfrage stellen?

Bild: dpa
Im Interview: 

Gerhard Schick geboren 1972. Er studierte VWL in Bamberg, Madrid und Freiburg im Breisgau und promovierte 2003 über den "Doppelten Föderalismus in Europa". Von 2001 bis 2004 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin. 2004 wechselte er als Projektmanager zur Bertelsmann Stiftung in Gütersloh. Seit 1996 ist er Mitglied der Grünen und seit 2005 Mitglied des Bundestages. Seit September 2007 ist er ihr finanzpolitischer Sprecher.

Das tun wir doch, zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik. Unsere derzeitige Art zu wirtschaften hat uns ökonomisch, ökologisch und sozial in die Sackgasse geführt. Das zeigen die Wirtschafts- und Finanzkrise, der Klimawandel und die schwindende Artenvielfalt. Dieses Wirtschaftssystem ist für Milliarden Menschen nicht in der Lage, die grundlegenden Bedürfnisse zu decken, und verschärft die Spaltung zwischen Arm und Reich. Diese soziale Schieflage ist gefährlich.

Aha, Zeit für eine Revolution?

Nein, Zeit für eine Transformation. Der Sozialstaat ist wie ein bewohntes Haus. Auch wenn viel umgebaut wird, muss es immer bewohnbar bleiben. Es gibt viel zu viele Menschen, die von sozialen Leistungen abhängig sind. Deswegen wäre es gefährlich und unsozial, auf Crash und Neuanfang zu setzen. Es kann also nur um Transformation gehen, damit diejenigen, die Hilfe brauchen, sie auch immer bekommen.

Was soll am Ende stehen?

Ein Wirtschaftssystem, das die ökologischen Ressourcen unserer Erde und die sozialen Beziehungen unserer Gesellschaft nutzt, aber keinen Raubbau daran betreibt. Die dafür nötige Transformation schaffen wir nicht, indem wir nur an zwei oder drei Rädchen drehen. Wir brauchen einen Green New Deal.

Auch Vertreter der Industrie beschwören einen milliardenschweren neuen Green-Tech-Markt mit vielen Arbeitsplätzen. Letztendlich folgt dieser aber auch dem Zwang zum Wirtschaftswachstum. Und auch Solarkraftwerke und Windparks verbrauchen riesige Flächen und knappe Rohstoffe.

Und dennoch kann ich nicht sagen, wir wollen jetzt Null-Wachstum. Die wenigen Jahre ohne wirtschaftliches Wachstum hatten bislang zwei Effekte: Die CO2-Emissionen sanken - das ist positiv. Zugleich stiegen aber Armut, Überschuldung und Arbeitslosigkeit. Im jetzigen Wirtschaftssystem Nullwachstum anzustreben, wäre sozial unverantwortlich. Es ist aber richtig, das Sozialsystem und den Arbeitsmarkt so umzubauen, dass wir immer weniger abhängig werden vom Wirtschaftswachstum.

Zum Beispiel durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Hier ist Ihre Partei zerstritten.

Wir Grünen in Baden-Württemberg haben uns deutlich für die Einführung eines Grundeinkommens ausgesprochen. Auf dem Bundesparteitag in Nürnberg waren dann rund 60 Prozent der Delegierten dagegen. Das ist die Beschlusslage, an die ich mich halte. Jetzt müssen wir uns aber wieder daran machen, unsere sozialpolitische Position weiterzuentwickeln.

Der Landesvorsitzende der Grünen in NRW hat sich kürzlich für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 850 Euro ausgesprochen, Claudia Roth hat in der Debatte um die Hartz-IV-Sätze gerade mal 420 Euro gefordert. Ist die Basis weiter als die Parteispitze?

Es ist nicht realistisch, von jetzt auf gleich ein Grundeinkommen von 850 Euro einzuführen. Ein Grundeinkommen kann nur aus dem bestehenden System heraus in einzelnen Schritten entwickelt werden. Wir Grünen verfolgen mit der Kindergrundsicherung ein erstes Projekt in diesem Sinne, 330 Euro für jedes Kind unabhängig vom Einkommen der Eltern. Diese Summe muss aber versteuert werden, sodass bei denen, die wenig verdienen, mehr übrig bleibt als bei den einkommensstarken Familien.

Wollen das denn die von der CDU Enttäuschten, die Ihre Umfragewerte gerade so hochtreiben?

Natürlich hat nicht jeder, der uns bei Antiatomdemonstrationen unterstützt, das Grünen-Wahlprogramm gelesen. Aber es wächst die Bereitschaft, unseren Argumenten zuzuhören, den Flyer mit unseren Programmpunkten nicht wegzuwerfen, sondern durchzulesen. Das ist eine Chance für uns, auch in anderen Bereichen: Wir können wahrgenommen werden als diejenigen, die unangenehme Wahrheiten aussprechen und glaubwürdige Lösungen anbieten.

Die Begeisterung für unangenehme Wahrheiten endet schnell, wenn es ans eigene Portemonnaie geht.

Ich mache die Erfahrung, dass unsere gerechtere Steuer- und Abgabenpolitik zwar nicht Begeisterung, aber doch Zustimmung selbst bei reicheren Menschen findet, die deutlich mehr zahlen müssten. Weil es einleuchtet, dass es nicht akzeptabel ist, dass mehr als die Hälfte dieser Gesellschaft in den letzten Jahren von der wirtschaftlichen Entwicklung nicht profitiert hat. Trotzdem dauert es etwas länger, für manche Ideen Zustimmung zu finden. Bei Stuttgart 21 haben wir 15 Jahre lang gesagt: Das ist falsch. Heute setzt sich das durch. Und wenn wir jetzt für Inhalte, von denen wir überzeugt sind, noch keine Mehrheiten haben, dann werden wir dafür werben. Das ist Politik.

Sie werben für etwas, was viele Bürger Geld kostet…

Einige spannende Fakten werden in Deutschland bislang kaum wahrgenommen: Die Vermögensbesteuerung ist, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, in Großbritannien und den USA etwa drei- beziehungsweise fünfmal so hoch wie hierzulande. Diesen Anteil, den dort Vermögende bestreiten, um staatliche Leistungen zu zahlen, müssen in Deutschland allein die Arbeitnehmer bezahlen. Wenn wir solche Schieflagen korrigieren, können wir statt Wohlstand für wenige wieder Wohlstand für alle schaffen.

Die Grünen folgen Ludwig Erhard? Der wollte auch "Wohlstand für alle"…

…hatte aber einen anderen Wohlstandsbegriff. Wir meinen nicht das Geld für den Zweit- oder Drittwagen. Wir sind die Partei der öffentlichen Güter und denken an öffentlichen Verkehr, an bessere Bildungs- und Kulturangebote nicht nur für die Elite, sondern für alle.

Klingt gut. Aber welche unangenehmen Wahrheiten würde man von einem Bundesfinanzminister Gerhard Schick 2013 hören, der die Schuldenbremse ja auch einhalten will?

Das ist ganz schön viel Konjunktiv. Für jeden Finanzminister gilt aber: Um die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen, brauchen wir neben strikter Ausgabenkontrolle mehr Einnahmen. Wir wollen eine Vermögensabgabe, um Staatsschulden abzubauen. Und um die Anhebung des Hartz-IV-Satzes auf 420 Euro zu finanzieren, wollen wir den Spitzensteuersatz anheben. Im Gesundheitssystem wollen wir eine Bürgerversicherung einführen, in die alle, auch die jetzt noch privat Versicherten, einzahlen und bei der alle Einkommensarten berücksichtigt werden.

Und wo wollen Sie sparen?

Unser Haushaltskonzept setzt auf die Abschmelzung ökologisch schädlicher Subventionen und eine effizientere Steuerverwaltung. Wir planen außerdem Einsparungen im Verteidigungsetat und bei einer Reihe von Verkehrsprojekten - zum Beispiel bei Stuttgart 21.

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14 Kommentare

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  • N
    nosferatu

    kleine Anmerkung am Rande: die Stiftung Marktwirtschaft weist klar eine inhaltliche Nähe zur Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft auf.

    (nachzulesen u.a. bei Nicoll, Norbert 2008: "Die ökonomische Rationalität in die Öffentlichkeit tragen" Zur Arbeit und Wirkungsweise der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (2000-2006). Marburg: Tectum Verlag. Hier: vgl.S.155ff.) Beide stehen für die Devise mehr Markt und mehr 'Eigenverantwortung', was letztlich auf eine Entsicherung der sozialen Verhältnisse hinausläuft.

    Eben jenes ökonomisches System, dass zur derzeitigen Krisensituation geführt hat, wird ein wenig grün angestrichen. In eine ähnliche Richtung gingen im übrigen schon 'Konzepte' aus den 1990er Jahren einer grünen und sozialen Marktwirtschaft. Eine reelle Alternative zum Kapitalismus, d.h. das Stellen der Systemfrage, verbindet sich hiermit eben nicht.

     

    Dass Herr Schick darüber hinaus bei der inhaltliche ähnlich aufgestellten Bertelsmann Stiftung tätig ist, verwundert da nicht mehr.

     

    Verwunderlich und ärgerlich ist da eher das unkritische Interview der taz, die sich hier eher wie eine Hofberichterstatterin des wirtschaftsliberalen Teils der Grünen Partei wirkt.

     

    Dabei hat doch gerade die taz mit ihrer ökologischen links-liberalen Ausrichtung ein Interesse daran grüne Konzepte zur Überwindung der multiplen Krisen kritisch zu diskutieren und zu hinterfragen. (@Martin: kann mich ihrer Kritik nur anschließen).

  • M
    Mart

    @Neugierig

    Ich weiß nicht, ob ich es vollständig erklären kann. Aber betrachte mal das Phänomen Jobless-Growth: Wachstum ohne Arbeitsplätze. In Deutschland führt ein Wachstum von 1 Prozent zum Abbau von Arbeitsplätzen, erst bei 1,5 Prozent kippt es langsam zum Aufbau von Stellen. Wenn Arbeitslosigkeit und Armut langsam abnehmen sollten, wären mindestens fünf Jahre drei bis vier Prozent von Nöten. Wenn die Wirtschaft dauerhaft null Prozent Wachstum hätte, würde die Armut und Arbeitslosigkeit drastisch ansteigen. Und nach seriösen Schätzungen gibt es schon 8 bis 10 Mio. Menschen, die arbeiten wollen, aber nicht können, dürfen oder aus anderen Gründen vom Arbeitsmarkt fern gehalten werden.

    Wachstum ist für Wohlstand, Armut und Arbeitsplätze ein Kernfaktor. Außerdem fehlt die Alternative. Der Staat kann gar nicht auf Dauer Arbeitsplätze selber schaffen, um die Arbeitslogigkeit zu beseitigen. Alleine die 1-EURO-Jobs haben vielfach die lokale und regionale Wirtschaft extrem verdreht. Da sind Garten- und Landschaftsbaubetriebe pleite gegangen und die Leuten wurden dann mit einem EURO die Stunde wieder in die gleichen Grünanlagen geschickt.

    Die vollständig freie Marktwirtschaft und die regulierte Wirtschaft sind schwer auf klare Aussagen zu bringen. Wer eine Qualität, Wohlstand und Ökologie will, der muss sein Gehirn arg strapazieren, weil es bislang kein vollständiges und praxiserprobtes Konzept gibt.

  • N
    Neugierig

    Nullwachstum

     

    Wer könnte es bitte auf sich nehmen und mir nachvollziehbar erklären, warum der Verzicht auf Wachstum schädlich ist?

     

    Ich glaube, es ist kompliziert und man müßte sich erst einmal einigen, was "Wachstum" ist - größeres BIP?

     

    Zu meiner Motivation: ich sehe viel Konsum, ich sehe sehr viel Abfall, ich sehe große Bemühungen, noch mehr Konsum zu erzeugen - auf der anderen Seite sehe ich Menschen, die sich verausgaben, um am normalen (Konsum-)Leben teilzuhaben, sinkende Lebensqualität, usw.

     

    Wer mir also Hinweise geben könnte - ich würde mich sehr freuen!

     

    Danke im voraus

    Neugierig

  • OP
    Otto Pardey

    In der Regierungsverantwortung waren die SPD

    und die Grünen/B90 nicht anders wie z.B.

    die jetzige Regierung,nämlich nur Lippenbekenntnis

    abzugeben.

    Weiterhin wurde der Arbeiterschaft sowie allen Bürgern in den Rücken gefallen darüber hinaus,

    eine Lohnsklaverei sowie die Weigerung einen

    gesetzlichen Mindeslohn einzuführen,nicht umgesetzt.

    Also ist die kontrollierte Verarmung der Gesellschaft

    durch deutsche Politiker das bestreben,

    was die Arbeiterschaft bzw.alle Bürger nicht wollen.

  • B
    Betrachter

    dieses Interview ist selten deutlich, und ich als Betroffener von staatlichen Leistungen kann für mich nur sagen, das ich bereit wäre etwas sinnvolles für ein Grundeinkommen zu tun. Und ich denke, das dazu auch viele bereit wären, wenn nicht nur die Existenzsorgen das Leben bestimmen. Irgendwann müssen wir ja auch akezptieren, das nicht genug Beschäftigung für alle da ist in diesem System, und sicher auch in Zukunft nicht sein wird, die Automation schreitet voran und macht billige Arbeitsplätze überflüssig.

  • WW
    W. Wacker

    Ob der Herr Schick wohl auch die Einkommensteuersätze an die USA anpassen will? Oder folgt er dem bewährten demagogischen Prinzip: Nimm was du willst, ignoriere den Rest?

  • F
    Farbenseher

    Die Schuldenbremse sollte sofort aus dem Grundgesetz entfernt werden. Sie ist der entscheidende Teil des Erpressungsinstrumentariums, der dafür sorgt, dass die überwiegene Menge der Bevölkerung weder im Auf- noch im Abschwung an den Irrsinnsgewinnen der Industrie partizipiert.

     

    Mal ganz abgesehen davon, dass sie blanker, ökonomischer Irrsinn ist und nur kontraproduktive Effekte nach sich zieht.

  • G
    gmathol

    Abzug aus Afghanistan und Austritt aus der NATO gefolgt von Absenkung des Militaerhaushaltes auf 3% der Steuereinnahmen - wer mehr will kann ja mehr fuer seine Verteidigung zahlen - dann stimmt die Kasse wieder.

     

    Leider hat rot/gruen nicht nur die Hartz IV Armut ermoeglicht sondern Deutschland historisch gesehen zum ersten Mal wieder in militaerische Abenteuer gestuerzt.

     

    Deuschland sollte das Schweizer Modell anstreben, dort zahlen merkwuerdigerweise sogar die Manager in die Arbeitslosenkasse ein!

  • K
    Kleeblattfan

    @Martin: Nein, ist die Taz ganz sicher nicht. Ganz im Gegenteil habe ich den Eindruck, dass ein Großteil der Taz-LeserInnen (und teilweise RedakteurInnen) übertrieben kritisch mit den Grünen umgeht. wie beispielsweise, als auf die Frage, ob die Grünen ihre Ideale verraten hätten, ca. zwei Drittel mit Ja antworteten.

  • SC
    Stephan Clement

    Mir graust vor diesem Programm. Staatsbevormundung in Reinkultur, moralische und ökonomische Besserwisserei (wider besseres Wissen - müsste ein Dr. der VWL eigentliche wissen), grüne ideologische Verblendung.

    Sie werden viele gute (und deshalb reiche) Leute aus diesem Land vertreiben. Und die werden dann fehlen, wenn die anderen die von Ihnen geschaffene Armut durch Arbeit (nicht durch Umverteilung) wieder beseitigen wollen.

    Grünes Deutschland = autoritäre technikfeindliche Bevormundung

  • K
    Kuddel

    Der finanzpolitische Sprecher der Grünen, erwartet

    von den Reichen mehr Verzicht.

     

    Grün ja , aber hinter den Ohren !

  • KI
    kayne interesse

    "2004 wechselte er als Projektmanager zur Bertelsmann Stiftung in Gütersloh."

     

    reicht mir schon!

  • S
    S21 ?!

    Den Konflikt um S21 haben sich die großen Parteien schon längst unter den Nagel geerissen wie man hier mal wieder festestellen kann.

  • M
    martin

    Ist die Taz eigentlich die Mitgliederzeitschrift der Grünen geworden??