Gerhard Schick über die Grünen: „Wir sollten langsam mal Gas geben“
Der grüne Finanzexperte Gerhard Schick warnt seine Partei in ihrer schwierigen Lage vor einem Bund-Länder-Streit. Und er rügt Jürgen Trittin.
taz: Vor dem Bundesparteitag im November streitet Ihre Partei über die Rolle grüner Länderfürsten und ein Strategiepapier aus Hessen. Namhafte Realos wie Hessens Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir fordern darin, die Grünen sollten ihre Angst vor mehrheitsfähigen Positionen ablegen. Fehlt den Grünen der Mut zum Mainstream, um erfolgreich zu sein?
Gerhard Schick: Ich sehe niemanden in meiner Partei, der Angst vor einem Wahlergebnis von 20 Prozent oder vor mehrheitsfähigen Positionen hat. Das ist doch absurd. Auch die Behauptung, unsere Gesellschaft sei längst ergrünt, stimmt nicht. Manche grüne Themen sind zwar theoretisch akzeptiert, aber unsere Gesellschaft ist nach wie vor auf einem nicht nachhaltigen Pfad. Die Übernutzung unseres Planeten hat seit der Gründungsphase der Grünen dramatisch zugenommen. Deshalb müssen wir unsere Weise zu produzieren, zu konsumieren und zu leben ändern.
Dem hessischen Antrag zufolge sind die Grünen aber in einem „Kampfmodus“ gegen die Gesellschaft stecken geblieben, der ihrer Regierungsfähigkeit auf Bundesebene entgegenstehe. Teilen Sie diese Sorge?
Diese Behauptung halte ich für falsch. Die Grünen haben doch immer dann gut abgeschnitten, wenn es eine klare Position bei einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung gab. Natürlich haben wir 2011 in Baden-Württemberg auch deshalb einen solchen Wahlerfolg erzielt, weil wir nach Fukushima mit unserer Atomausstiegsposition überzeugen konnten. Mit Winfried Kretschmann gab es einen Kandidaten mit Ecken und Kanten. In Brandenburg jüngst konnten wir beim Thema Kohle punkten. Ich glaube, dass wir daran arbeiten müssen, ein knackiges grünes Profil für die Bundestagswahl 2017 zu entwickeln.
Aber wollen die Wähler überhaupt noch so viel grüne politische Avantgarde– oder sind sie mit vielem Erreichten vielleicht inzwischen ganz happy?
Wenn wir uns auf vergangenen Erfolgen ausruhen, machen wir uns überflüssig. Von den Grünen wird erwartet, dass sie die Zukunftsfragen angehen. Wir müssen also jetzt erkennen, was 2017 bis 2021 wichtig wird, und eine grüne Regierungsbeteiligung programmatisch vorbereiten. Zwei Parteien, die dem Mainstream nach dem Mund reden, regieren ja schon zusammen in der Großen Koalition.
Wo sollen die Vorstöße herkommen – taugen grüne Landesministerien als Innovationspool?
Unsere Leute in den Landesregierungen machen hervorragende Arbeit. Aber die vorausschauende, innovative Arbeit kann man nicht nebenbei aus einem Ministerium heraus leisten. Da sind jetzt alle gefragt, und wir sollten langsam mal Gas geben – ganz unabhängig von den alten Flügelkonstellationen. In dem Antrag aus Hessen erkenne ich aber leider gar kein neues inhaltliches Profil. Wo sind denn die konkreten Vorschläge, was anders gemacht werden soll? Genau das wäre jetzt aber nötig: nach vorne gerichtete Programmarbeit.
ist Bundestagsabgeordneter der Grünen aus Baden-Württemberg („Waziristan“). Der 42-Jährige ist Wirtschafts- und Finanzexperte und gehört zum linken Parteiflügel.
Aber verlagert sich das grüne Machtzentrum angesichts der Schwäche der Bundesspitze nicht inzwischen in die Länder?
Wir kommen doch nicht weiter, wenn wir jetzt diesen Bund-Länder-Konflikt beschwören. Äußerungen wie die von Jürgen Trittin über das grüne Waziristan sollte man weder öffentlich noch im Hintergrund machen. Genauso lehne ich eine pauschale Kritik an der Bundesebene ab. Wir befinden uns in einer schwierigen Lage: Angesichts der Großen Koalition und der natürlichen Vorrangstellung der Regierung bei außenpolitischen Fragen ist es momentan nicht einfach, eigene grüne Punkte zu setzen. Unsere schwachen Umfragewerte spiegeln das leider wider. Wer behauptet, dass er oder sie die Grünen jetzt sofort auf 25 Prozent führen könnte, macht sich und anderen etwas vor.
Sie sind also wirklich zufrieden mit der Bundesspitze?
Natürlich bin ich nicht immer mit allem einverstanden. Aber der Bundesvorstand hat einen Debattenprozess mit zentralen Fragen angeschoben, und unser Fraktionsvorstand im Bundestag leistet sehr gute Arbeit.
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