: Geraubt, erforscht und nicht zurückgegeben
Die Provenienzforscherin der Stadt Hannover hat ihre Erkenntnisse veröffentlicht – sechs Jahre nach der Ausstellung der umstrittenen Werke

Von Nadine Conti
Über den Elefanten im Raum redet erst einmal keiner. Spät im Juni, am 24., hat die Stadt Hannover im Sprengel-Museum endlich die Publikation „Verfemt – gehandelt. Die Sammlung Doebbeke im Zwielicht: Von Corinth bis Kirchner“ vorgestellt. Eine gleichnamige Ausstellung hatte es schon im Jahr 2019 gegeben, auch im Sprengel-Museum. Das Buch aber war immer wieder verschoben worden.
Dieser Umstand ist wichtig, weil er einiges mit diesem Elefanten im Raum zu tun hat: Im Herbst 2024 waren zwei Folgen des Deutschlandradio-Podcasts „Tatort Kunst“ erschienen, die ziemlich eingeschlagen sind. „Hannovers Dunkles Erbe“ hieß die Doppelfolge, über die neben vielen anderen auch die taz berichtete. Es ging darin um die jüdische Familie Levy, die seit 2008 ein Blumenstillleben des impressionistischen Malers Lovis Corinth zurückfordert. Die mittlerweile in Brasilien ansässige Familie glaubt, dass ihnen dieses Bild in der NS-Zeit abhandengekommen ist, und hätte es gern zurück.
Fast genauso lange, also 17 Jahre, forscht Annette Baumann, Hannovers eigens angestellte Provenienzforscherin, auch schon nach den verschlungenen Wegen, auf denen das Bild in den Besitz der Stadt gekommen ist. Dass dieser Besitz problematisch ist, ist schon viel länger klar: Das Gemälde gehört zu den 114 Kunstwerken, die Hannover 1949 von Conrad Doebbeke kaufte. Der hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich in der NS-Zeit etliche Stücke von verzweifelten Juden unter den Nagel gerissen hatte. Das geht aus der erhaltenen Korrespondenz hervor.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit war das dem damaligen Leiter der Landesgalerie, Ferdinand Stuttmann, aber ziemlich egal. Er war – wie die Museumsdirektoren in anderen deutschen Städten auch – vor allem bestrebt, die Lücken zu schließen, die durch die Beschlagnahmung von „entarteter Kunst“ und die Kriegsschäden entstanden waren.
In zwei anderen Fällen hat die Stadt Hannover schon Stücke aus der Sammlung Doebbeke zurückgegeben. Es ist also keinesfalls so, dass man sich Restitutionen grundsätzlich verweigert, wie der Direktor des Sprengel-Museums, Reinhard Spieler, auch an diesem Abend noch einmal betont.
Nur im Fall Levy hat sich irgendetwas seltsam verhakt. Deutschlandradio-Redakteur Stefan Koldehoff macht der Stadt in dem Podcast vor allem zwei Vorwürfe: Erstens, dass sie nicht angemessen mit den Erben Levys kommuniziert und ihre Forschungsergebnisse teilt. Und zweitens, dass sie die Belege, die von der Familie und ihrer Anwältin selbst herangeschafft wurden, systematisch zu entkräften versucht und zu Ungunsten der Levys auslegt – obwohl die Washingtoner Prinzipien zur Raubkunst das eigentlich andersherum vorsehen.
Als eine der ersten Städte bundesweit hat Osnabrück dem neuen Schiedsverfahren zur Rückgabe von NS-Raubgut zugestimmt. Das habe der Rat am 1. Juli einstimmig beschlossen, teilte die Stadt am vergangenen Donnerstag mit. Damit verpflichtet sie sich, das Urteil des neuen Schiedsgerichts anzuerkennen, das in Streitfällen über die Rückgabe von städtischem Kulturgut entscheidet, das während der Nazi-Zeit jüdischen oder anderweitig verfolgten Besitzern gestohlen wurde.
Die Regelung tritt an die Stelle der „Beratenden Kommission NS-Raubgut“, deren Empfehlungen im Gegensatz dazu rechtlich nicht bindend waren. Sie soll die Rechte der Opfer stärken sowie faire, gerechte und gerichtsfeste Lösungen bei Rückgabefragen ermöglichen. Die Einführung der Schiedsgerichtsbarkeit hatten Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände im März vereinbart. Der Deutsche Städtetag empfiehlt seinen Mitgliedern, zeitnah Beschlüsse zu fassen, wie es nun in Osnabrück passiert ist.
Evaluiert werden soll das neue Verfahren nach zehn ergangenen Schiedssprüchen, spätestens aber nach drei Jahren. (epd/taz)
Die Präsentation der Forschungsergebnisse wäre nun eigentlich eine gute Gelegenheit gewesen, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Lieber aber dehnte man Baumanns Vortrag und die anschließende Podiumsdiskussion so lange aus, dass für Fragen aus dem Publikum kaum noch Zeit blieb. Als dann doch die von vielen erwartete Frage nach dem Podcast kam, bürstete Museumsdirektor Reinhard Spieler sie mit drei Sätzen ab: Man hätte an diesem Podcast vieles zu kritisieren, wolle das hier aber jetzt nicht tun und auf gar keinen Fall würde man sich Restitutionen verweigern. Punkt. Aus.
Wie sehr diese Kritik getroffen und geschmerzt hatte, wurde aber vorher zwischen den Zeilen schon sehr deutlich, in Seitenhieben auf „die Presse“ etwa. Der unsouveräne Umgang mit Kritik ist auch deshalb schade, weil diese Geschichte nun erst recht Baumanns Arbeit überschattet.
Dabei hat die Provenienzforscherin ja durchaus einen Punkt, wenn sie – auf dem Podium unterstützt von ihrer Kollegin Claudia Andratschke vom Landesmuseum – sagt, dass sich der Erwartungsdruck in der Öffentlichkeit oft beißt mit den Bedingungen in der Provenienzforschung: Die einen wollen das Problem endlich schnell geklärt haben, bevor auch die letzten Betroffenen weggestorben sind – man hat damit ja lange genug gewartet. Die anderen kämpfen mit den gewaltigen Lücken in der Überlieferung der vielfältigen und weit verstreuten Quellen, sind ständig abhängig von glücklichen Zufällen, müssen eine enorme Frustrationstoleranz aufbringen, weil sie immer mal wieder in Sackgassen laufen – und das in einem Bereich, der chronisch unterfinanziert und -ausgestattet ist. Wobei das knappe Personal meist auch noch auf befristeten Stellen sitzt, was sich mit dem langen Atem, den eine solche Forschung braucht, nicht gut verträgt.
Annette Baumann (Hg.): „Verfemt – Gehandelt. Die Sammlung Doebbeke im Zwielicht: Von Corinth bis Kirchner“. Snoeck Verlag, Köln 2025. 328 S. 160 farbige Abb., 48 Euro
Das mehr als 300 Seiten starke Buch, in das Baumann ihren aktuellen Forschungsstand nun gegossen hat, birgt jedenfalls einige Schätze und Erkenntnisse – nicht nur für Fachleute. Allein die Biografie Doebbekes ist überraschend unterhaltsam. Im Anhang finden sich etwa Briefe, in denen die Direktoren der Kunsthallen in Hamburg und Bremen recht unverblümt über diesen seltsamen Sammler aus Berlin-Wannsee lästern. Der versuchte nach dem Kriegsende mit wachsender Verzweiflung finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Und wurde am Ende an der russischen Sektorengrenze erschossen, wo er – krank und vermutlich verwirrt – mit seinem amerikanischen Dodge unkoordiniert herumgekurvt war.
„Verfemt – Gehandelt“ zeichnet für 37 Kunstwerke aus der Sammlung Doebbeke den aktuellen Kenntnisstand zur Provenienz nach – manche Fälle entpuppen sich am Ende als unproblematisch, andere werfen Schlaglichter auf Verfolgungsschicksale, über die man sonst vermutlich wenig wüsste. Zum Corinth-Bild der Familie Levy traut sich die Provenienzforscherin kein abschließendes Urteil zu: Der Fall soll dem neuen Schiedsgericht vorgelegt werden, das noch in diesem Jahr seine Arbeit aufnehmen soll und die sogenannte Limbach-Kommission ersetzt (siehe Kasten).
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