Geplatzte Regierungskoalition in Italien: Den Ruf retten
Italiens Regierungskoalition ist geplatzt. Ministerpräsident Conte braucht jetzt neue Verbündete. Es geht um viel Geld – und Italiens Reputation.
V ielleicht gelingt Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte ja das Kunststück. Seine Koalition ist am Ende, dank des Auszugs der Kleinpartei Italia Viva unter Matteo Renzi – seine Regierung jedoch bleibt womöglich im Amt. Renzi überflüssig machen und isolieren, neue Unterstützer*innen im Parlament suchen: Auf diese Taktik setzt Conte, mit voller Unterstützung der beiden großen Parteien im Bündnis, des Movimento 5 Stelle (M5S) und der Partito Democratico (PD), aber auch der kleinen radikal linken Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und Gleiche).
Nächste Woche will Conte sich in beiden Häusern der Vertrauensabstimmung stellen, und dann wird sich zeigen, ob seine Rechnung aufgeht, ob er Renzis Kalkül durchkreuzt, der die Regierungskrise lostrat, um wieder zum zentralen Akteur der italienischen Politik zu werden, obwohl er nur über eine Drei-Prozent-Partei gebietet.
Conte könnte dann erst einmal weitermachen. Das ist eine gute Nachricht, denn auch in Italien hat die Pandemie in den letzten Monaten wieder Fahrt aufgenommen – nicht gerade die beste Zeit, um politische Energie in langwierigen Koalitionsverhandlungen oder nach einer Parlamentsauflösung im Wahlkampf zu binden. Vor allem aber ist es eine gute Nachricht, weil Italiens Regierung bis zum 30. April ihren detaillierten Wiederaufbauplan vorlegen muss, wenn sie pünktlich die 209 Milliarden Euro aus dem europäischen Fonds „Next Generation EU“ erhalten will.
In dieser heiklen Phase steht nicht nur enorm viel Geld auf dem Spiel, sondern auch Italiens Reputation in Europa. Die Auflegung des Mega-Plans „Next Generation EU“ samt gemeinsamer europäischer Schuldenaufnahme verkörpert eine echte Wende in der Union, die – anders als in der Eurokrise – die Solidarität entdeckte. Möglich war das nur, weil die Regierung Conte in den europäischen Hauptstädten als zuverlässiger, proeuropäischer Partner wahrgenommen wurde.
Der Alt-Ministerpräsident und frühere EU-Kommissionspräsident Romano Prodi kommentierte, er sei diesmal „wirklich besorgt“, denn es drohe nicht nur der Rücktritt einer Regierung, sondern „der Rücktritt eines Landes“. In die gleiche Kerbe schlug Enrico Letta, Regierungschef von 2013 bis 2014, bevor ihn der damalige PD-Vorsitzende Matteo Renzi abservierte, so wie er jetzt auch Conte abservieren will. Dank Renzi, so ätzte Letta, liefere Italien wieder einmal „das Bild des wie gehabt unzuverlässigen Landes, Pizza, Spaghetti, Mandoline“.
Diese Gefahr wäre erst einmal gebannt, wenn Conte das Manöver gelingen sollte, durch die Rekrutierung oppositioneller Mitte-Abgeordneter für die Koalition seine Mehrheit zu sichern. Und der EU bliebe der Albtraum erspart, nach Neuwahlen den Trump-Fan Matteo Salvini von der Lega im Amt des Ministerpräsidenten zu sehen.
Doch die sich abzeichnende neue Koalition ist weder stark noch geschlossen. Im besten Falle kann Conte im Senat auf eine hauchdünne Mehrheit zählen, garantiert von Parlamentarier*innen, die ihn in Zukunft genauso erpressen können wie Renzi. Zudem steckt der größte Koalitionspartner M5S in einer tiefen Krise. 2018 hatten die Fünf Sterne mit ihrer Anti-Establishment- und auch europaskeptischen Rhetorik fast 33 Prozent geholt. Die gegenwärtigen Meinungsumfragen sehen sie halbiert.
Zwar gibt sich das M5S mittlerweile überzeugt proeuropäisch, doch was die Bewegung eigentlich in Zukunft will, ist ihr selbst nicht klar. Wie in den frühen Zeiten der deutschen Grünen steht den Realos ein Fundi-Flügel gegenüber, der die Koalition als zu enges Korsett empfindet. Dieser Flügel könnte Conte und der Koalition noch Ungemach bereiten. Nur die Angst vor Neuwahlen, vor einem Triumph Salvinis, kann Contes Überleben sichern. Diese Angst kauft ihm womöglich Zeit zum Weitermachen. Doch er muss diese Zeit auch nutzen; anderenfalls wäre Salvinis Sieg bloß hinausgeschoben.
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