George Lewis bei den Wiener Festwochen: Drei Toms und eine Messermoritat

E-Musik-Dekolonisierung. Zur Uraufführung von „Song of the Shank“, der Oper des US-Komponisten George E. Lewis, bei den Wiener Festwochen.

Die Altistin Gwendolyn Brown singt in Wien

Sieht gar nicht afropessimistisch aus: Altistin Gwendolyn Brown in Wien Foto: Nurith Wagner Strauss

Direkt gegenüber dem Mumok, mit der ersten Ausstellung des afroamerikanischen Künstlers Adam Pendleton in Österreich, mitten im Wiener Museumsquartier MQ, wird am Dienstagabend „Song of the Shank“ (Lied des Messers) szenisch uraufgeführt, die neue Oper des afroamerikanischen Komponisten, Musikwissenschaftlers und künstlerischen Leiters des International Contemporary Ensemble, George E. Lewis.

Sie handelt von dem blinden Sklaven und hochbegabten Komponisten und Pianisten Thomas Greene Wiggins. Wiggins, genannt „Blind Tom“ und geboren 1849, lebte zur Zeit des US-amerikanischen Bürgerkriegs 1861–65 in den Südstaaten.

Lewis’ Oper ist als Auftragswerk der Wiener Festwochen und des Ensemble Modern mit dem Bühnenbild des afrokanadischen Fotografie- und Videokünstlers Stan Douglas entstanden. Ihr Libretto stammt von Jeffrey Renard Allen, einem ebenfalls afroamerikanischen – Lewis bevorzugt den Begriff afro-diasporischen – Schriftsteller, der bereits 2014 den gleichnamigen Roman über Thomas Wiggins schrieb.

Mangel an Diversität

Wie der Flötist Dietmar Wiesner, Mitgründer des Ensemble Modern, erzählt, entstand die Idee bereits im Jahr 2018 bei Sondierungsgesprächen mit Lewis über den Mangel an Diversität im Klassik- und E-Musik-Bereich. Für Lewis, der zunächst als Berater einstieg und für mehrere Programme des Ensembles mit Kompositionen Schwarzer Kom­po­nis­t*in­nen verantwortlich zeichnete, ist es das erste eigene Werk der Reihe. Mit Stan Douglas hatte er bereits im Jahr 1992 für die Videoarbeit „Hors-Champs“ zusammengearbeitet.

Für Douglas wiederum ist es die erste Oper, für die er szenisch arbeitet. In Allens von seinem Buch stark abweichenden Libretto ist „Blind Tom“ nicht mehr nur stumm und passiv, sondern bekommt eine eigene Stimme. So nutzt Lewis die Vorlage des Phänomens von „Blind Tom“, um durch fiktiv konstruierte Räume und Zeitebenen auf den für ihn durch Kolonisierung und Sklavenhandel bis heute geprägten Rassismus in der Akzeptanz Schwarzer Genialität zu verweisen.

Der Bühnenaufbau im Haus G des Museumsquartiers ist zweigeteilt: Auf einer quadratischen und leicht erhobenen Fläche stehen sowohl der Flügel, auf dem Ensemble-Modern-Pianist Hermann Kretzschmar im Prolog mit einem einführenden Solo beginnt, als auch, zunächst im Schatten, die Altistin Gwendolyn Brown. Sie war bereits 2015 in Lewis’ Oper „Afterword“ zu hören.

Ursprünglich hatte Lewis sich als „Blind Tom“ einen Countertenor vorgestellt, um durch die hohe Stimmlage dessen Kindlichkeit hervorzuheben. Da dieser jedoch kurzfristig absagen musste, vertiefte sich Brown in Musik und Libretto, um den Part innerhalb von drei Wochen singen zu können.

Bereits im Kindesalter ausgebeutet

Auf einer separaten und nicht erhobenen Bühne sind die Mitglieder des Ensemble Modern platziert, geleitet von dem aus Simbabwe stammenden Dirigenten Vimbayi Kaziboni, derzeit Professor für zeitgenössische Musik am Bostoner Konservatorium. Der Bühnenaufbau symbolisiert drei parallele „Blind Toms“: den genialen Pianisten, den bereits als Kind ausgebeuteten und vorgeführten blinden Sklaven und zuletzt den hochbegabten Komponisten. Dieser vom Ensemble als Ganzes dargestellte, hatte bereits im Alter von 13 Jahren sein bis heute berühmtestes Stück „The Battle of Manassas“ komponiert.

Während das Ensemble die komplexe Partitur virtuos und mit Detailgenauigkeit umsetzt, sanft und beinahe zärtlich dirigiert von Kaziboni, singt Brown das über Monitore mitzulesende Libretto mit einer überwältigenden, scheinbar nur mühsam gezähmten Kraft: Tom, wieder zurückgekehrt, klagt an.

Enttäuschend plakativ

Für den Blinden, der Hautfarben und Bilder nicht erkennen kann, ist die Bühne von Douglas in farblich und räumlich sich permanent ändernde Formen getaucht worden. Das wirkt enttäuschend plakativ und irritiert neben der ansonsten konzeptuell Wahrnehmung infrage stellenden Kunst.

Zuletzt werden die drei „Toms“ nacheinander in Dunkelheit versetzt. Auch dieses Ende, szenisch von Douglas verantwortet, hätte subtiler umgesetzt werden können, selbst wenn – quasi mit dem Holzhammer – deutlich wird, dass sich der in seinem Monolog selbst ermächtigende Tom zum Afropessimisten entwickelt hat: Auch in Zukunft wird sich nichts ändern.

Im Unterschied zur Figur des „Blind Tom“ bleibt Lewis selbst optimistisch. Eine Botschaft seiner Oper sei, westliche Kultur in ihrer Selbstwahrnehmung zu dekolonisieren und zu erkennen, dass es weitaus mehr Perspektiven auf Musik gibt als jene, die wir gewohnt sind. Auch die einzige Künstlerin im Ensemble, die Bratschistin Megumi Kasakawa, ist zuversichtlich, dass es auch dort im Sinne der angestrebten Diversität bald mehr Instrumentalistinnen geben wird. Bis zu einer eventuellen Parität auch in der Programmierung bleibt es jedoch noch ein langer Weg.

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