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Gentrifizierung in KolumbienVerbrannte Erde

Erst fraß ein Feuer ihr Viertel El Oasis, dann riegelten Polizisten die Trümmer ab. Medellín, einst Drogenstadt, ändert sich. Viele fürchten Verdrängung.

El Oasis, El Morro und Medellin-Zentrum: Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit der Gentrifizierung in der einstigen Drogenhauptstadt Lateinamerikas Foto: Fabian Grieger

Medellin taz | Schwarze Asche überall. Ruinenmauern nur dort, wo Backsteinhäuser standen. Die meisten waren aus Holz. Ein Hund streunt über diesen verbrannten Hügel im Herzen Medellíns. Ein Topf blinkt aus dem Schwarz hervor. Kinder spielen Fangen. Dies war einmal El Oasis, eine Siedlung im Stadtteil Moravia. Dann kam das Feuer. Und nach dem Feuer kamen Militärpolizisten.

Gleich am Tag nach dem Brand haben sie die Gegend umstellt. Bewaffnet mit Maschinengewehren. Zu plündern gab es da schon nichts mehr. Die Polizisten sollen verhindern, dass die Menschen zurückkehren und El Oasis wieder aufbauen. Das diene deren Sicherheit, sagt einer der Uniformierten.

Cristían ist trotzdem zurück gekommen, er lässt sich nicht vertreiben. Er ist 33 Jahre alt, trägt ein gelbes T-Shirt, Jeans, Turnschuhe und ein verkehrt herum aufgesetztes Cap. Sonst ist ihm nichts geblieben. Er deutet auf eine Stelle auf der verkohlten Fläche, sagt: „Dahinten stand mein Haus.“

Als das Feuer kam an einem Tag im August, war Cristían gerade in der Uni. 18. August, 10 Uhr morgens. Cristían rannte, in ein paar Minuten war er in El Oasis. Zu spät, rasend schnell vertilgten die Flammen alles. „Wusch“, sagt Cristían und wischt mit den Armen von rechts nach links. „Aber das Wichtigste ist immer die Familie. Das allererste, was zählt. Und so hab ich's auch gemacht. Ich bin raus und hab allen anderen geholfen. Meine Familie – das sind all diese Leute hier.“

Meine Familie, das sind all diese Leute hier, sagt Cristian, der am Tag des Feuers zum Vorbild wurde

Seine Augen leuchten, als er erzählt. Sein ganzer Besitz ist verbrannt, sagt er. Aber alle seine Freunde, Verwandte und Nachbarn leben. Niemand ist im Feuer umgekommen. Aber 323 Familien sind nun obdachlos. Viele hat die Stadt in einer Schule untergebracht. Es gibt aber auch jene, die ein paar Sachen retten konnten und nun unter der Brücke am Fuß des Hügels nächtigen.

Bei ihnen ist Cristían nun, er hat einen großen Topf mit Suppe für alle aufgesetzt. „Ahí vamos“, „Weiter geht's“, sagt Cristían am Suppenfeuer. Er glaubt fest, dass sie bald alle wieder ein Dach über dem Kopf haben werden. Cristían ist einer der „lideres sociales“, ein Mensch, der seinen Nachbarn als Vorbild und Führer gilt. In Medellín hat jedes Viertel seine Lideres, sie vermitteln zwischen Stadtverwaltung, Polizei, Militär und Drogenkartellen auf der einen Seite und den Bewohnern einer Gegend auf der anderen. Regelmäßig sitzen die Lideres zusammen.

Allerdings wird niemand als Lider geboren. Man wird zu ihm in jenem Moment, in dem die Gemeinschaft einen als Lider anerkennt. Aus dem Flammenmeer im Stadtteil Moravia sind einige Leute als neue Lideres hervorgegangen. Sie hatten im Moment größter Gefahr Verantwortung übernommen.

Die Nachbarn aus El Morro mussten schon gehen

Nun aber liegt vor ihnen eine neue, womöglich noch größere Herausforderung. Medellíns Verwaltung will den zentral gelegenen Stadtteil Moravia von Grund auf verändern, schon seit Jahren. Siedlungen wie El Oasis, die von ihren Einwohnern illegal erbaut worden sind, sollen Parks weichen. Die Begründung: Die Siedlungen befänden sich in gefährdeten Zonen. Eine Gefahr sind Erdrutsche, eine andere Gift im Boden. In jenen Gegenden aber wohnen manche schon seit Jahrzehnten.

Die Leute von El Morro, dem Hügel neben El Oasis, mussten schon gehen. El Morro war einst eine der größten Müllkippen der Stadt gewesen. Als erstes hatten sich dort Recycler niedergelassen. Auch El Morro bestand hauptsächlich aus Holzhäusern. Strom und Wasser gab es nicht vom Staat, also zapften die Bewohner selbst Leitungen an. Auch in El Morro brannte es regelmäßig. Heute ist der Hügel, auf dem sich die Häuser einst dicht an dicht quetschten, leer und grün. Auf seiner Spitze steht eine Skulptur.

Cristian wurde am Tag des Feuers zum Lider Social seines Viertels – er glaubt fest: Alle Bewohner werden zurückkehren Foto: Fabian Grieger

Einige haben El Morro freiwillig verlassen, als ihnen legale Wohnungen am Stadtrand in Aussicht gestellt worden waren. Die anderen brachte die Polizei fort. In ihren neuen Hochhäusern wohnten die Leute von El Morro zwar legal und komfortabler als zuvor. Aber ihnen fehlte doch das Heimatviertel, die Nachbarn, die Familie. Einige kamen deshalb zurück und bauten am Rand des nun grünen El Morro. Andere ließen sich in El Oasis nieder.

Die staatliche Universidad Nacional de Colombia hat ein neues Moravia entworfen, im Auftrag der Stadt Medellín. Ein Innovations-Distrikt soll entstehen, neben anderem. Hochhäuser mit dickem Zementfundament, das sie gegen das Gift der ehemaligen Müllhalde abschirmt. Und Parks, wie eben auf der Fläche des heutigen El Oasis.

Manchen gilt Medellín als Vorzeigeprojekt Lateinamerikas

Medellín, die ehemalige Hauptstadt der Drogenbanden, hat sich eine Runderneuerung verordnet. Eines der besten Nahverkehrssysteme Lateinamerikas verbindet heute Zentrum und Peripherie. Die Stadt fördert Sport, Kultur und Sozialprojekte. Seit dem Tod des Kokainkönigs Pablo Escobar und den Friedensprozessen mit der linken FARC und den rechten Paramilitärs sinkt die Mordrate drastisch. Das Wall Street Journal führte Medellín 2012 in einem oft bemühten Ranking als innovativste Stadt der Welt. Manchen gilt Medellín als das Vorzeigeprojekt Lateinamerikas.

Carlos aus Moravia gehört nicht zu ihnen. Er ist 60 Jahre alt, zerzaustes Haar, Falten, eine Krücke, eine Adidasmütze mit überklebtem Logo. Er sagt: „Leute, die bezahlen, kommen. Leute, die nicht bezahlen, gehen.“ Auch Carlos ist ein Líder social. Er fühlt sich verantwortlich für seine Nachbarn. „Ein Zuhause mit Würde baut man mit der Hand und ohne Erlaubnis“, findet Carlos. Der Satz prangt auch auf einem Plakat über den verbrannten Trümmern.

Hoffen auf Rückkehr: Viele der Leute aus El Oasis wollen zurück in ihr Viertel – sie harren unter einer Brücke aus Foto: Fabian Grieger

Moravia hat den Ruf eines widerständigen Viertels, erkämpft in Jahrzehnten. Carlos sitzt vor einem Zelt, in dem die Abgebrannten nun nächtigen, und erzählt: „Moravia wurde von Menschen gegründet, die vor den bewaffneten Konflikten im Land geflohen sind.“ Später zogen auch andere auf die damalige Müllkippe. Aus Moravia wurde eines der am dichtsten besiedelten Viertel Lateinamerikas. Es dauerte nicht lange, bis der bewaffnete Konflikt auch dorthin kam.

Zunächst kontrollierten Guerillas die Gegend, sie hießen ELN oder M-19. Dann kamen die Drogenbanden Pablo Escobars. Als der Gangster in den 80er-Jahren Wahlkampf machte, baute er ein Flutlicht für den Fußballplatz und Häuser für die Bewohner. Noch heute trägt so mancher in Moravia das Portrait des Drogenbosses auf dem T-Shirt. Nach Escobar kam die FARC, dann die Paramilitärs mit ihren Säuberungsaktionen. Carlos zeigt auf seinen verletzten Fuß. „Das waren die Paramilitärs“, sagt er.

Ein Mädchen setzt sich zu Carlos auf die Sesselkante. „Sie hat eine Nähmaschine zu Hause und verdient damit ihr Geld. Wir können uns selber helfen“, sagt Carlos stolz. Der Staat war immer weit weg von Moravia – bevor er seine Militärpolizisten schickte. Das Sagen auf den Straßen aber hat das Drogenkartell Oficina de Envigado, erzählt Carlos.

Carlos will El Oasis verteidigen – dem Ruf Moravias zu Ehren

Dass sich der Staat mit seinen Polizisten hier auf einmal engagiert, macht viele misstrauisch. Den 18-jährigen Esteban zum Beispiel, der mit anderen Studierenden die Gesundheitsversorgung der Abgebrannten übernommen hat. Esteban ist nicht aus Moravia, das verrät auch sein gebügelte Hemd, das er in die Hose gesteckt hat. Das Feuer hat er von seinem Haus aus gesehen. „Wir haben uns hier schon immer gegenseitig geholfen“, sagt Esteban trotzdem. Auch er ist bei den Menschen unter der Brücke.

Schon einmal hatte El Oasis gebrannt, das war 2007. Damals kamen die Leute danach zurück. Der Stararchitekt Rogelio Salmona baute ein Kulturzentrum ins Herz von Moravia. Es gab kostenlose Bildung und Kulturveranstaltungen, berühmte Musiker traten dort auf. Nebenan entstand ein schicker neuer Kindergarten. Das alles zieht Menschen aus ganz Medellín an. Für die Leute in Moravia heißt das: Ihre Mieten steigen. Der Staat als Akteur der Gentrifizierung.

Kein Zugang zu Trümmern: Militärpolizisten haben abgeriegelt, was einmal El Oasis war Foto: Fabian Grieger

Dieses mal wird die Rückkehr schwierig. Noch lange nach dem Brand harren die Leute von El Oasis unter der Brücke aus. Die Stadt bietet ihnen Übergangswohnungen für drei Monate an. Findet sich bis dahin keine Lösung, sollen die Mietverträge noch einmal um neun Monate verlängert werden.

Für die Leute von El Oasis aber ist klar: Eine echte Lösung kann nur ihre Rückkehr sein. Neue Häuser in ihrem Viertel. Cristían sagt schmunzelnd: „Ein Turm für die ganze Gemeinschaft, hier in der Nähe. Das wäre in Ordnung.“ Die Stadt sagt, für die alten Bewohner sei kein Platz mehr.

Carlos sagt: „Ich trage die Revolution im Herzen.“ Er will den Hügel El Oasis verteidigen. Dem widerständigen Ruf von Moravia zu Ehren.

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