Gentests im Sport: Schlummernde Veranlagung
Sind Sie der nächste Supersportler? Mit einer DNA-Analyse lässt sich angeblich feststellen, wer zum Sprinter geboren ist - und wer zum Ausdauerläufer. Ein Selbstversuch.
Die sportliche Disposition kommt per E-Mail. Ein Anhang, zwei Seiten, eine Erkenntnis: Der Auftraggeber ist, genetisch gesehen, besonders geeignet für den Ausdauersport. "DNA analysis performed on Thomas Winkler has demonstrated a genetic advantage for endurance activity", steht da. Und erklärt, so scheint es, warum das damals in der Schule beim 100-Meter-Sprint nie so recht klappen wollte, im Schwimmunterricht dagegen immer die Note Eins drin war.
Heute mag beim Treppensteigen schon im zweiten Stockwerk das Japsen einsetzen, aber wurde damals eine glorreiche Karriere als Langstreckler, Radprofi oder Triathlet verpasst? Das zumindest suggerieren die Werbebemühungen von "Sportsgene Test". Die Broschüren der in Österreich ansässigen Firma sind mit Leistungssportlern in voller Aktion aufgemacht, und auf der Website wird versprochen, per Gentest lasse sich ermitteln, "wo Ihre natürlichen sportlichen Eignungen liegen", um anschließend "ihr Trainingsprogramm zu optimieren".
Das Geheimnis berge, so die Firma, das Gen ACTN3. Das, eines von insgesamt 20.000 Genen im menschlichen Bausatz, existiert in zwei verschiedenen Ausprägungen: Die eine sorgt dafür, dass der Körper ein Protein namens Alpha-Actinin 3 produziert, das vor allem in schnellkräftigen Muskeln gefunden wurde, die für Vorteile bei Sprint- oder Kraft-Sportarten sorgen. Die andere Ausprägung des Gens verhindert die Produktion des Proteins. Wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass ein Athlet, der jeweils die erste Variante sowohl von Vater wie Mutter mitbekommen hat, "etwa 2 Prozent mehr Schnellkraft in den Muskeln hat", sagt Dr. Henning Wackerhage, Sportwissenschaftler an der Universität von Aberdeen. Allzu exklusiv ist diese genetische Disposition allerdings nicht: Etwa ein Fünftel der gesamten Bevölkerung besitzen sie. Zudem "ist das ein minimaler Effekt", sagt Wackerhage, "aber ein Effekt. Das ist wie ein Ferrari, der 10 PS weniger hat: Der ist immer noch schnell, aber der wird wohl nicht die Formel-1-WM gewinnen."
Prinzipiell aber verstehe die Wissenschaft noch lange nicht ausreichend die Wechselwirkungen zwischen den geschätzt 200 Genen, die wohl die Leistungsfähigkeit bestimmen, um wirklich erklären zu können, warum manche Sportler schneller, stärker oder ausdauernder sind als andere. Selbst Anbieter "Sportgene Test" schränkt ein, dass der ACTN3-Test "nicht zwischen guten und schlechten Sportlern unterscheiden" hilft. Daher hält Wackerhage den Test nur "in ganz wenigen Fällen für sinnvoll". So könnte die Untersuchung des ACTN3-Gens Topsprinter, die den Sprung an die absolute Spitze nicht ganz schaffen, von ihren Zweifeln befreien und ihnen die Entscheidung erleichtern, eine bürgerliche Karriere einzuschlagen.
Doch ausgerechnet im Spitzensport ist der ACTN3-Test noch weitgehend unbekannt. Zwar hat ein australisches Rugby-Team seine Spieler nach der ACTN3-Disposition durchleuchtet, und bei Wackerhage hat schon einmal "ein relativ großer Fußballklub aus Europa" testen lassen, aber Recherchen bei einigen deutschen Olympia-Stützpunkten und Leistungszentren zeigten, dass der Test dort weitgehend unbekannt ist.
Dabei ist die Untersuchung mittlerweile denkbar einfach durchzuführen, übers Internet simpel zu erwerben und mit ungefähr 80 Euro längst erschwinglich. Der Test ist nach Australien, den USA und Japan seit einigen Monaten nun auch bei uns erhältlich. Der selbst durchgeführte Speichelabstrich wird, im Falle von "Sportsgene Test", nach Australien geschickt, die Antwort kommt wenige Wochen später übers Internet.
Eine Antwort, die allerdings nichts allzu aussagekräftig ist. "Oft wird der Test überinterpretiert", sagt Wackerhage, "wenn der ACTN3-Test vermarktet wird, als ob er aussagen könnte, ob man ein Topsprinter wird oder nicht, dann ist das inakzeptabel." Die Testvertreiber allerdings registrieren eine steigende Nachfrage. Dr. Andrea Tobisch von "Sportsgene Test" glaubt, dass Spitzensportler wissen wollen, "warum sie erfolgreich sind". Aber auch immer mehr Freizeitsportler ordern den Test - und Eltern, die wissen wollen, ob ihre Kinder das Zeug zum Olympiasieger haben. "Talentförderung ist sicher ein großes Thema", sagt Tobisch. "Das macht Sinn, ob man die Kinder in diese Richtung weiter fördern soll, ob da Potenzial da ist." Wackerhage dagegen lehnt das Testen von Kindern kategorisch ab.
Vor allem in den USA allerdings wird dieser Ansatz mittlerweile konsequent zu Ende gedacht: Die New York Times berichtete, dass Eltern in der Hoffnung auf ein lukratives Sportstipendium oder gar eine Profikarriere bereits ihre Neugeborenen testen lassen. Die sich daraus ergebenden ethischen Konsequenzen aber sind bislang noch nicht einmal in Ansätzen diskutiert. Was tun, wenn überehrgeizige Eltern mit den Testergebnissen im Rücken ihren Sprössling noch gnadenloser zu Höchstleistungen treiben? Oder, umgekehrt, ihm die sportliche Bestätigung verweigern, weil er angeblich nicht die geeigneten genetischen Voraussetzungen mitbringt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett