Generationswechsel in Chinas KP: Im Schrottferrari in den Ruhestand
Ein schwerer Unfall leitet das Ende Hu Jintaos ein. Seine Vertrauten an der Spitze von Chinas KP gelten als verbraucht, korrupt und unmoralisch.
PEKING dpa | Der Generationswechsel in der chinesischen Führung hat begonnen. Als möglicher Startschuss für den Transfer zur neuen, „fünften Führungsgeneration“ gilt der Sturz eines einflussreichen engen Vertrauten von Staats- und Parteichef Hu Jintao in der Affäre um den vertuschten Unfalltod seines Playboy-Sohnes in einem Ferrari.
Der scheidende Präsident wirkt nicht nur politisch geschwächt. „Er sah schlecht aus“, sagte jemand, der den 69-Jährigen nach einigen Monaten wieder getroffen hatte. „Hu Jintao ist alt geworden.“
Wenige Wochen vor dem Parteitag der Kommunistischen Partei Mitte Oktober rechnen chinesische Beobachter damit, dass sich der Präsident aus allen Ämtern zurückziehen dürfte. Auch den Vorsitz in der Militärkommission werde Hu Jintao voraussichtlich abgeben – anders als sein Vorgänger Jiang Zemin, der das Oberkommando über die Streitkräfte nach dem letzten Wechsel 2002 noch zwei Jahre weiter in der Hand behalten hatte und bis heute im Hintergrund die Fäden zieht. „Hu Jintao wird möglicherweise ganz aussteigen“, glaubt der Politikwissenschaftler Zhang Ming von der Volksuniversität in Peking.
Es war ursprünglich erwartet worden, dass der Präsident zumindest über seinen Vertrauten Ling Jihua an der Schaltstelle der Partei im Generalbüro des Zentralkomitees künftig noch Einfluss ausüben wird. Die Affäre um den Unfall des Sohnes mit zwei angeblich halbnackten Frauen machten Hu Jintaos Verbündeten aber unhaltbar.
Korruption und moralischer Verfall
Dass sich der Sohn eines hohen kommunistischen Funktionärs einen mehr als vier Millionen Yuan (rund eine halbe Million Euro) teuren Sportwagen leisten konnte, gilt im Volk nur als weiterer Beweis für Korruption und Moralverfall. „Jetzt ist der Leiter des Generalbüros vorzeitig abgelöst worden“, sagte Zhang Ming und sieht darin den ersten Schritt für einen kompletten Machttransfer, mit dem Hu Jintao vielleicht auch ein gutes Beispiel setzen möchte. "Der Übergang könnte dadurch reibungsloser ablaufen."
Bei den sommerlichen Beratungen der alten und neuen Führer im Badeort Beidaihe hatte es noch ein heftiges Ringen um die endgültige Führungsmannschaft gegeben. „Der Widerstand der alten Parteiführer war groß“, sagte ein Mitglied einer einflussreichen Familie der Nachrichtenagentur dpa.
Es habe anfangs auch keine Entscheidung gegeben, ob das oberste Machtzentrum, der Ständige Ausschuss des Politbüros, künftig von neun auf sieben Mitglieder reduziert werde, um die Führung schlagkräftiger zu machen. Es sei sogar eine Verkleinerung auf nur noch fünf Mitglieder diskutiert worden.
Viele Spekulationen
Wie viele es jetzt werden, ist zwar noch nicht bekannt, aber die Spitze steht seit Langem lange fest: Vizepräsident Xi Jinping (59) soll neuer Staats- und Parteichef werden. Auch sitzt der heutige Vizepremier Li Keqiang (57) im Ständigen Ausschuss, weil er im März Regierungschef werden soll.
Alles Weitere ist aber Spekulation: So hat Shanghais Parteichef Yu Zhengsheng (67), der Parlamentschef werden könnte, gute Aussichten auf den engsten Führungszirkel. Ähnlich Vizepremier Zhang Dejiang (65), der in der Metropole Chongqing nach dem Skandal um den entmachteten Spitzenpolitiker Bo Xilai und seine wegen Mordes verurteilte Frau aufgeräumt hat.
Der für seine Wirtschafts- und Finanzkompetenz geschätzte Vizepremier Wang Qishan (64) könnte als erster Vize-Regierungschef seine Arbeit fortsetzen. Der Leiter der Organisationsabteilung der Partei, Li Yuanchao (62), ist als Vizepräsident im Gespräch. Aber ob es der Parteichef der starken Südprovinz Guangdong, Wang Yang (57), in den Ständigen Ausschuss schafft, erscheint noch nicht ausgemacht.
Der lange Machtkampf der Fraktionen, Familien und Interessengruppen bringt Unruhe in die Partei. Das Erbe der scheidenden Führung wird kontrovers diskutiert. Von einem „verlorenen Jahrzehnt“ ist die Rede. Der führende Redakteur der von der Parteischule herausgegebenen Zeitung Xuexi Shibao (Study Times), Deng Yuwen, beklagte einen Mangel an politischen und wirtschaftlichen Reformen, wachsende Einkommenskluft, Moralverfall und Korruption.
In einem Aufsatz, der von der Webseite des Magazins Caijing genommen wurde, fordert Deng Yuwen eine Beschränkung der Allmacht der Partei: „Die übermäßige Konzentration von Regierungsmacht ohne Gewaltenteilung ist die Grundursache so vieler sozialer Probleme.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben