Generationenwechsel in der Landwirtschaft: Bauer Sonderbar
Ein Jahr Rot-Grün in Baden-Württemberg: Bauer Strohmeier ist CDU-Mitglied, sein Schwiegersohn ein Grüner. Für ihn ist das okay, solange es wirtschaftlich nicht bergab geht.
BAD DÜRRHEIM taz | Wenn Hermann Strohmeier nach getaner Arbeit auf dem Nachhauseweg durch die Felder fährt, betrachtet er den Weizen des Nachbarn. Ein viel satteres Grün als bei seinem Schwiegersohn auf den Feldern. „Bei uns könnt’s scho’ etwas Kunstdünger gebrauchen“, denkt sich der Badener dann. Früher hat er wie der Nachbar den Dünger regelmäßig gestreut. „Ich bin nicht der Landwirt, der wo intensiv war“, sagt er. „Ich hatte das nicht übertrieben, aber immer schöne Früchte gehabt.“
Auch wenn er gern noch würde, Strohmeier darf keinen Dünger mehr streuen. Seine Tochter Birgit hat mit ihrem Mann Christoph Trütken den Hof übernommen. Und was früher von Strohmeier konventionell bewirtschaftet wurde, ist heute aus Überzeugung ein Biohof. Der 65 Hektar große Betrieb liegt im Südschwarzwald.
Ein großes grünes Schild am Eingang zum Hof dokumentiert die Veränderung: „Bioland – Wir arbeiten ohne Gentechnik“ steht darauf. Nach vier Jahren der Umstellung konnten Birgit Strohmeier und Christoph Trütken im vergangenen Jahr die erste Bioernte einfahren. Die Eltern wohnen nicht mehr auf dem Hof, Hermann Strohmeier hilft nur noch vormittags aus.
Umstellung auf Bio
An diesem Morgen steht er in Jeans und blauem Holzfällerhemd auf dem Hof. Sein schütteres graues Haar steht vom Hinterkopf ab. Er holt einen Holzstamm aus der Scheune und hievt ihn unter den Keil eines Holzspalters. „Das war für mich scho’ nicht so einfach“, sagt er zu der Umstellung auf Bio. Der Ertrag sei geringer, das Vieh fresse mehr und brauche mehr Fläche. Ihm fällt es schwer, diese Praxis nachzuvollziehen. Er weiß aber auch, dass die Milchleistung der Kühe gestiegen ist. Ob er sich inzwischen mit der Umstellung abgefunden hat? Lächelnd guckt er gegen die Sonne. „Es ist jetzt besser, es ist jetzt besser.“
Viel darüber diskutiert wurde ohnehin nicht. Von Anfang an war klar, dass die Eltern den Hof verlassen und ins Dorf ziehen. Die nächste Generation wollte ihr eigenes Ding machen. Letztlich war Strohmeier froh, dass der Hof überhaupt weiterläuft. „Ich bin kein Versessener. Wegen des Biobetriebs haben wir uns noch nie gestritten“, sagt er, als sein Schwiegersohn herübergelaufen kommt.
Der 47-jährige Trütken ist groß und schlank gewachsen, sein Händedruck ist kräftig und verrät Muskelkraft durch die tägliche Arbeit auf dem Hof. Er hat kurzes braunes, leicht krauses Haar. Wenn er erzählt, ist fast immer ein Lächeln in seinem Gesicht. Um die blauen Augen bildet sich dann ein Halbkreis von Lachfalten. Er und sein Schwiegervater vertreten nicht nur eine unterschiedliche Philosophie in der Landwirtschaft. Symbolisch stehen sie auch für ein „altes“ und ein „neues“ Baden-Württemberg.
Neue Regierung, neue Philosophie
Die Wahl der Grünen in die Regierung und die Vereidigung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Samstag vor genau einem Jahr war im Südwesten eine historische Wende. 58 Jahre lang war das Bundesland eine feste CDU-Bastion – fast so lang, wie Baden-Württemberg alt ist. Entsprechend groß waren die Reformvorhaben der neuen grün-roten Koalition.
Das dreigliedrige Schulsystem sollte aufgebrochen und die Gemeinschaftsschule eingeführt werden, überall im Land sind Windräder in Planung, ein neuer Politikstil sollte einziehen. Kretschmann und seine Ministerriege wollten den Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe begegnen.
Um den entsprechenden Dialog ist Grün-Rot tatsächlich sehr bemüht. Doch der von manchen befürchtete, von anderen erhoffte Kulturbruch blieb mit dem Regierungswechsel aus. Nach anfänglichen Forderungen wie etwa die nach weniger Autos hält sich der grüne Ministerpräsident inzwischen bedacht zurück. Wirtschaftsvertreter merken, dass sie mit den Grünen auch ganz vernünftig reden können.
Andere Verbände, wie die Bildungsgewerkschaft GEW, sehen, dass auch die ihnen inhaltlich nahestehenden Grünen und Sozialdemokraten nicht alles nach ihren Vorstellungen umsetzen. Die Summe der angeschobenen Projekte ist nach einem Jahr groß, die Mühen des Regierungsalltags ebenso. Was also spüren Menschen wie Trütken und Strohmeier im Alltag, abseits der Landeshauptstadt, von dem historischen Wechsel?
„Es hätt’ immer gelangt“
„Nix“, sagt Hermann Strohmeier. „Für mich hat sich gar nichts geändert. Ich bekomme nach wie vor meine Rente.“ Er schmunzelt. Er ist seit Langem Mitglied in der CDU. Das ist hier so üblich. Die CDU ist in der ländlichen Region stark verwurzelt. Man kennt sich, man hilft sich gegenseitig. Strohmeier wirkt da ganz pragmatisch.
Für ihn zählte immer, dass Baden-Württemberg gut dastand, mit einem starken Wirtschaftswachstum und einer geringen Arbeitslosigkeit. „Es hätt’ immer gelangt“, sagt er. Eigentlich gilt diese Aussage seiner früheren Landwirtschaft. Doch die gleiche Aussage könnte er so wohl auch über das ehemals CDU-geführte Baden-Württemberg treffen.
Sein Schwiegersohn Trütken hingegen ist ein grüner Ideologe, der vor seiner eigenen Haustür das umsetzen will, was er von der großen Politik erwartet. Neben einer ökologischen Landwirtschaft wollte er schon immer eine andere Energiepolitik. Auf die Dächer seines Hauses und der Scheune ließ er Solaranlagen montieren, der Ölkessel flog raus, stattdessen heizt er im neu gedämmten Wohnhaus mit Holz. Wie die Grünen favorisiert der Vater zweier Kleinkinder und früherer Abiturient einer Gesamtschule die Einführung der Gemeinschaftsschule.
2009 schließlich trat er den Grünen bei. Eher aus Zufall. Bei einem Radrennen kam er mit dem grünen Kreischef ins Gespräch, der ihn schließlich überredete. Prompt wurde Trütken in den Gemeinderat gewählt. Zwei Jahre später sollte er für die Landtagswahl antreten. Wegen eines Krankheitsfalles in der Familie zog er die Kandidatur zurück.
Ohnehin würde er sich nie als Politiker bezeichnen. „Eher bin ich ein politischer Landwirt“, sagt er, während er auf einer Wiese hinterm Haus Pflöcke in den Boden rammt. „Ich bin halt einer, der zu dem steht, was er macht. und sich gern engagiert.“
Zu dem stehen, was er macht, muss er auch. Viele Biobauern gibt es in der Region nicht. Seine 32 Milchkühe lässt er den ganzen Sommer über Tag und Nacht auf der Weide stehen. Zu fressen gibt er ihnen nur Heu, kein Getreide. Den Stall hat er als ehemaliger Stallberater selbst konzipiert.
Offener Stall
Früher, bei Trütkens Schwiegervater, war im verschlossenen Stall noch jede Kuh angebunden. Trütken aber ließ einen nach außen hin offenen Stall bauen, in dem die Kühe liegen können, wo sie wollen. So bekommen sie frische Luft und viel Sonne ab. „Das hat nichts mit Biostandard zu tun“, sagt Trütken. „Das hat was mit Kuhkomfort zu tun. Schließlich sollen die Milchkühe jedes Jahr trächtig sein und viel Milch geben.“ An der frischen Luft würden die Kühe mehr fressen, die Sonne sei gut zur Bildung von Vitamin D. „In der Umgebung nennen sie mich Bauer Sonderbar“, sagt Trütken. Und wieder zeigen sich die Lachfalten um seine Augen.
Mit dem Regierungswechsel habe sich schon etwas geändert, glaubt Trütkens Frau Birgit. „Wir werden nicht mehr ganz so belächelt wie früher. Nachhaltigkeit und Ökologie sind salonfähig geworden.“ Dies sei zwar nicht allein auf den Regierungswechsel zurückzuführen. „Er hat aber für einen Ruck gesorgt in der Gesellschaft.“ Und er zeige, dass es geht – vor allem dank der Person Kretschmann. „Die grüne Politik hat mit ihm auch eine gewisse Seriosität bekommen.“
Dementsprechend ist aber auch die Erwartungshaltung an Kretschmann ungebrochen. Christoph Trütken engagiert sich in einer Bürgerinitiative gegen einen Massenbetrieb mit Sauen in Bad Dürrheim, einem heilklimatischen Luftkurort. Sie befürchten unter anderem eine starke Geruchsbelästigung und damit einen Rückgang der Tourismus- und Patientenzahlen.
„In der Initiative gibt es einige, die meinen, wir müssten doch jetzt mehr gehört werden – mit der Politik des Gehörtwerdens“, erzählt Trütken. Den entscheidenden Hebel, um derartige Massenbetriebe zu stoppen, hätte jedoch der Bund in der Hand. Die Landesregierung ist an dieser Stelle nicht zuständig. Trotzdem hoffen die Menschen auf Kretschmann.
Und so geht es wohl vielen der klassischen grünen Klientel. Sie wollen noch mehr, noch schnellere Veränderungen. Andere hingegen merken, dass auch ein Kretschmann nicht alles umkrempeln kann. Hermann Strohmeier gehört zu jenen, die mit dieser Art der grünen Politik gut leben können.
„Das wäre nicht schlimm“, sagt der CDU-Mann jetzt über eine mögliche Wiederwahl in vier Jahren. „Wenn die gut wirtschaften, könnte es bei der nächsten Wahl tatsächlich wieder knapp werden.“
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