■ Generalsekretär Solana konstatiert „Erreichen der Nato-Ziele“: Neues von Potemkin
Die Allianz stehe kurz vor dem Erreichen der „Ziele ihrer Luftkampagne“. Die selbstzufriedene Äußerung des Nato-Generalsekretärs läßt Fragen offen. Welche Ziele sind gemeint? Anfangs waren es drei. Politisch sollte die Unterschrift Belgrads unter Rambouillet erzwungen werden. Jetzt muß wohl ein neuer Vertrag ausgehandelt werden, der die veränderte Lage nach den Vertreibungsgreueln berücksichtigt. Der Schutz der Kosovo-Albaner galt als zweites und humanitäres Ziel. Dieses ist ebenfalls nicht erreicht. Das Elend, das man verhindern wollte, ist vielmehr schreckliche Realität. Ein drittes, militärisches Ziel wurde nachgeschoben, die Zerschlagung der Fähigkeit der jugoslawischen Armee, Gewaltakte im Kosovo zu verüben. Angesichts der anhaltenden Vertreibungen ist auch dies gescheitert. Nüchtern bilanziert, besteht das Resultat von etwa 12.000 Einsätzen der Nato insofern vor allem in der Zerstörung der jugoslawischen Infrastruktur.
Die Ziele fast erreicht? Daß der Nato Bombenziele rund um die Uhr ausgehen, ist zu bezweifeln, nachdem die Zurückhaltung gegenüber zivilen Einrichtungen aufgegeben scheint. Die Bombardierung der Donaubrücken von Novi Sad, von Industriebetrieben, TV-Stationen sowie jüngst das Lahmlegen der vitalen Energieversorgungssysteme in ganz Serbien sprengen den Rahmen einer anfänglich noch militärisch begrenzten Planung. Die Anzahl der zivilen Opfer der Luftschläge übersteigt inzwischen die Anzahl der zerstörten Panzer um ein Mehrfaches.
Vielleicht glaubt man in Brüssel, durch verstärktes Leiden der Zivilbevölkerung jetzt den innenpolitischen Druck auf Miloevic erhöhen zu können. Auch wenn dieses Kalkül aufgehen sollte, den Ausgleich der Katastrophe im Kosovo durch Herbeiführen einer Notlage der serbischen Bevölkerung rechtfertigt es allemal nicht. Bleiben zwei andere Überlegungen, die – falls sie zutreffen sollten – die Zweifel am gegenwärtigen Kurs der Nato verstärken.
Erstens könnte die Schwelle erreicht sein, bei der eine wegen der hohen Eigenrisiken bislang gescheute Bodenoperation im Kosovo nun begonnen werden kann. Der tagtäglich erwartete Einsatz der Apaches deutet auf das Überschreiten dieser Schwelle hin. Oder – und dafür spricht die Bombardierung von Kraftwerken unmittelbar nach der Jackson-Mission – geht es darum, einem eventuellen politischen Kompromiß durch einen raschen militärischen Sieg zuvorzukommen? Hans-Joachim Gießmann
Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Friedensforschung
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