Generalintendant Gahmert über Höcke-Theater: „Inklusive aller Feinheiten“
Das Deutsche Nationaltheater Bremen führt Björn Höckes Dresdner Rede auf. Eine Ablachveranstaltung wird das nicht, sagt Generalintendant Peer Gahmert.
taz: Herr Gahmert, warum re-enacten Sie die Höcke-Rede?
Peer Gahmert: Sie wird vorgetragen, das ist die bessere Umschreibung.
Einfach so, unkommentiert?
Ja. Wir konzentrieren uns auf das, was Björn Höcke am 17. Januar von sich gegeben hat, wortgetreu und ungekürzt, die vollen 47 Minuten, inklusive aller grammatikalischen Feinheiten. Kommentieren wäre so eine Sache.
Naja, es haben schon mehrere Historiker en détail Höckes Klitterungen nachgewiesen…
Mir geht es aber eher darum, dass Höcke sich bereits einen Tag nach seinem Vortrag in die Pose des missverstandenen Opfers geworfen hat. Er sei falsch zitiert worden. Die Medien, die Presse hätten ihm übel mitgespielt. Bei uns lernen Menschen diese Rede im Wortlaut kennen – und können feststellen: So richtig falsch verstanden worden ist er höchstwahrscheinlich nicht.
32, ist Theatermann und hat Niederlandistik und Philosophie studiert.
Also wird es keine Ablach-Veranstaltung?
Im November 2016 gegründet, führt das Deutsche Nationaltheater Bremen im Gastfeld gesellschaftlich Brisantes wie die NSU-Ermittlungspannen oder die Facebook-AGB auf.
Zudem zeigt es Filme unbekannterer Filmindustrien (Uganda, Nordkorea).
Die Höcke-Rede wird heute ab 19.30 Uhr, auf der DNTB-Bühne, Gastfeldstr. 67, nachgespielt.
Nein. Es ist zwar mitunter sehr komisch, was Herr Höcke von sich gibt. Insofern habe ich nichts dagegen, wenn jemand lacht. Das kann bei dieser Thematik ein gutes Ventil sein.
Es ist aber nicht das Hauptziel der Performance?
Ja. Das Hauptziel ist nicht, dass man sich amüsiert. Das Hauptziel ist, sich klar zu machen worauf Höcke hinaus will.
Und das ist?
Meiner Meinung nach ist diese Rede ein Willkommensgruß an die verbliebenen NPDler. Sie zielt direkt auf sie, auf Geschichtsrevisionisten und Antisemiten und Rechtsradikale allgemein. Wenn das dem Publikum klar wird – hat man wenigstens mal einen Anfang gemacht.
Höcke hat die Rede vor drei Wochen gehalten. Darauf so schnell theatral zu reagieren ist eine Besonderheit des Deutschen Nationaltheaters Bremen …
Ohne Apparat ist es selbstverständlich möglich, schneller zu sein, als eine große Institution. Andererseits habe ich mich genau dem verschrieben: Dinge, die eher selten oder gar nicht in die Spielpläne gelangen, auf die Bühne zu bringen. Und die Aufmerksamkeit auf Dinge zu lenken, die mir persönlich wichtig sind, aber auch die Öffentlichkeit interessieren könnten. Kommende Woche machen wir deshalb einen Abend zu den irritierendsten Pannen der NSU-Ermittlungen.
Warum ist Theater dafür das geeignete Medium?
Ich denke es ist für viele Menschen schöner, angenehmer, aber auch spannender, so Dinge wie die Höcke-Rede gemeinsam zu erleben. Ich glaube, wenn man sich abends in einer wirklich schönen Kneipe trifft und ein oder zwei Getränke zu sich nimmt, hat man einen Anlass geschaffen, das präsentiert zu bekommen und sich damit auseinander zu setzen.
Diese Funktion hatte Theater vor Aufkommen der elektronischen Massenmedien: Erwin Piscator etwa hat Parteitage und Reden von Rosa Luxemburg in Arbeiterkneipen nachspielen lassen. Vernachlässigt der normale Theaterbetrieb diese mediale Funktion?
Meiner Meinung nach: Ja. Ich arbeite seit über zehn Jahren an Theatern – und hätte mich oft gefreut, wenn die, und das könnte jedes Stadttheater!, etwas origineller an tagesaktuelle Themen herangingen. Das, was ich hier mache, also die Höcke-Rede vorzutragen, ist ja an Einfallsreichtum leicht zu überbieten: Es gibt viele Dinge, die man so mit recht überschaubarem Aufwand vielen Menschen erschließen kann. Doch, ja, ich fände es schön, wenn in solchen Fragen größere Theater, die im Übrigen einen viel größeren Etat haben als wir, etwas niedrigschwelliger würden.
Sie haben einen Etat?
Der Etat des Deutschen Nationaltheater Bremen liegt bei ziemlich genau Null, vielleicht sogar etwas drunter.
Das betont den Größenwahn des Namens: Deutsches Nationaltheater …
Ja. Ich kann mich jetzt guten Gewissens und mit Fug und Recht Generalintendant nennen, was zumal außerhalb von Bremen einigen Eindruck macht. Mit „national“ hat das selbstverständlich nichts zu tun. Es gibt für mich kaum einen Begriff, der negativer konnotiert wäre. Es ist ein Spiel mit der Anmaßung. Es hat einen gewissen Witz, wenn man zu einer Vorstellung auf der Hauptbühne des Deutschen Nationaltheaters Bremen geht, die sich klein und zusammengezimmert in der Ecke einer Kneipe befindet. Aber mit rotem Vorhang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!