piwik no script img

Gemüseküche Vegetarier gibt es fast keine in Eritrea. Aber fleischloses Essen, für Fastentage. So wie Cawlo Alicha – „Kohl, ohne scharf“Etwas Warmes braucht der Mensch

Von Lea Wagner (Text) und Boris Schmalenberger (Fotos)

Filmon und ich wollen kochen. Etwas aus seiner Heimat Eritrea. „Bitte vegetarisch“, schreibe ich ihm. Auf meine Nachricht antwortet er lange nicht. Dann schickt er einen Smiley. „Bei uns gibt es keine Vegetarier. Aber ohne Fleisch geht klar, für die Fastenzeit haben wir Cawlo Alicha: Kohl, ohne scharf.“

Die Hälfte aller Eritreer sind orthodoxe Christen. Wer streng religiös ist, fastet nicht nur vor Ostern, sondern auch jeden Mittwoch und Freitag. Filmon eigentlich auch, nur momentan geht es nicht. Er lebt in einem Flüchtlingsheim bei Stuttgart. Dort gibt es Küchen, die die Flüchtlinge allerdings nicht benutzen dürfen. Aus Brandschutzgründen, heißt es.

Stattdessen wird das Essen angeliefert. Abends hat Filmon die Wahl zwischen Brot mit Mortadella und Brot mit Sardellen. Zweimal haben ihn Flüchtlingshelfer eingeladen, einmal gab es Raclette, einmal wurde gegrillt. Beides fand er gut. Beides hält er für deutsches Essen. „Es ist so einfach, uns glücklich zu machen, gebt uns einfach etwas Warmes.“

Zum Kochen treffen wir uns in Filmons früherer Unterkunft in einer kleinen schwäbischen Stadt. Ihr Name wird nicht genannt, um Filmon – der eigentlich anders heißt – zu schützen. Er hat Angst vor dem eritreischen Staat. Und dem deutschen. Und dem italienischen. Zu oft schon wurde er ab­ge­schoben. Vor sechs Monaten hat er in Deutschland zum zweiten Mal Asyl beantragt. Das ist seine letzte Chance.

Sein ehemaliger Mitbewohner Samuel wohnt noch in der Unterkunft. Anders als Filmon kann Samuel kochen, denn er war beim eritreischen Militär.

Filmon kommt uns, den Kopf schüttelnd, über den Hof entgegengelaufen. „Küche kaputt, kein Strom. Wir müssen zu den Nachbarn.“ Hier steht Samuel bereits am Herd und backt Injera, das typische Brot der eritreischen Küche. Filmon ist 31. Den größten Teil seiner ersten 14 Lebensjahre hat er in Eritreas Nachbarland Äthiopien gelebt. Bis Äthiopien alle Eritreer rausschmiss. Da zogen er und seine Geschwister in den Sudan. Seine Eltern starben früh, er will nicht darüber sprechen, deutet nur an, dass der Vater vielleicht ermordet wurde.

Die Bewegungen, stockend

Injera

Die Zutaten: 500 g Teffmehl (aus Zwerghirse), 4 bis 5 Tassen Wasser, 1 Würfel Hefe

Zubereitung: Zutaten verrühren und 24 bis 48 Stunden gehen lassen. Vor dem Backen eventuell noch verdünnen, die Konsistenz sollte einem Eierkuchenteig entsprechen. Dann eine beschichtete Pfanne stark erhitzen und etwas mehr Teig als für eine Crêpe hineingeben. Kein Fett! Den Fladen garen lassen, bis er sich selbst vom Pfannenrand löst. Nicht wenden. Warm servieren!

Filmon schneidet Kartoffeln und Karotten in Schnitze. Seine Bewegungen sind langsam, stockend, so wie sein Sprechen. Immer wieder steckt er eine Hand in die Tasche seiner fleckigen Jogginghose und hält inne. Alles scheint ihn Kraft zu kosten.

Die Kartoffel- und Karottenschnitze schmeißt er in heißes Öl. Dazu kommen Tomatenwürfel. Und Zwiebeln, für mehr Geschmack. Filmon streut Salz, Pfeffer und Knoblauchpulver auf das Gemüse und lässt es köcheln. In einem anderen Topf kocht er den Weißkohl, den er in dünne Streifen geschnitten hat.

Spaß mache ihm Kochen nicht. „Bei uns kochen die Frauen, das wenige, was ich kann, habe ich hier gelernt.“ Im Sudan, als er noch Geld hatte, ging er mit seiner Frau oft ins Restaurant. Er betrieb dort einen Friseursalon. Der wurde eines Tages dichtgemacht, weil Filmon kein Sudanese ist. Er kam ins Gefängnis, nach drei Monaten konnte er sich freikaufen. Sein restliches Geld gab er einem Schlepper.

Als der Kohl und die Kartoffeln-Karotten-Mischung gar sind, vermengt Filmon beides. Er muss jetzt noch Schiro zubereiten, eine Art Grütze. Dazu mischt er Kichererbsenmehl mit Wasser, Öl, Zwiebeln und Berbere, einer eritreischen Gewürzmischung aus Ingwer, Chili, Zimt, Knoblauch und Nelken. Unter Rühren lässt Filmon den Schiro kurz aufkochen, bis er die Konsistenz von Grießbrei hat.

Filmons Deutsch ist schon recht flüssig, doch die meiste Zeit spricht er Englisch, nur „Nein“ sagt er immer auf Deutsch. Einen Deutschkurs hat er noch nie besucht. Darf er nicht, sein Asylverfahren läuft noch. Er lernt Deutsch im Internet. Zwei Stunden jeden Tag.

Die Abschiebung, drohend

Nur manchmal, wenn die Gedanken schwer werden, setzt er aus. Und die Gedanken, die sind oft schwer. Jederzeit kann er wieder abgeschoben werden, erst nach Italien, wo er die EU zum ersten Mal betreten hat. Und von dort aus nach Eritrea, eine der brutalsten Diktaturen weltweit, mit Folterknästen und Schießbefehl an der Grenze. Seine Frau und seine beiden Töchter sind noch im Sudan, er hat sie seit drei Jahren nicht gesehen.

Filmon verteilt das Fladenbrot auf große Teller und gibt mehrere Häufchen der Kartoffel-Kohl-Mischung und der Erbsengrütze darauf. Dazu reicht er Rotwein, Montepulciano.

Wir beginnen mit dem Essen. Mit den Händen. Man reißt sich ein Stück Brot ab und wickelt das Gemüse ein. Der Kohl schmeckt, wie Kohl schmeckt: lasch. Aber gut, in der Fastenzeit muss es nicht krachen. Der Schiro haut es raus. Der Brei ist noch warm und zergeht auf der Zunge. Das muss an der Gewürzmischung liegen. Auch das Brot schmeckt gut – wenn man es labbrig und ein wenig säuerlich mag.

Filmon isst nur ein paar Bissen, dann hat er keinen Appetit mehr.

Die Genussseite: Wir treffen uns einmal im Monat mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Essen. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens, Philipp Maußhardt vereinigt Europas Küchen und taz-AutorInnen machen aus Müll schöne Dinge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen