Gemeinschaftsschule: Schule für alle vermisst Freunde
Die Gemeinschaftsschule kommt in Berlin nicht in Gang: Einige Schulen ziehen ihre Bewerbung zurück, weil sie keine Partner finden. Und jetzt haben sich auch die Grünen aus dem Beirat ausgeklinkt
Die Gemeinschaftsschule teilt Berlin in Ost und West. Nach den Herbstferien Ende Oktober sollen die Bezirke ihren Kandidaten an die Senatsverwaltung für Schule melden. Doch während zum Beispiel Treptow-Köpenick unter mehreren Bewerbern wählen kann, sind in Reinickendorf gar keine Schulen mehr in Runde eins dabei.
Die Julius-Leber-Hauptschule in Reinickendorf, die sich mit der im gleichen Gebäude residierenden Grundschule zusammentun wollte, wurde von dieser abgewiesen. Nach Informationen der zuständigen Schulstadträtin Katrin Schulze-Berndt (CDU) haben die Eltern dagegen gestimmt. In ihrem Bezirk ist von drei Kandidaten - zwei Hauptschulen und eine Grundschule - keiner mehr im Rennen. "Die Eltern haben eben keine guten Erfahrungen mit Gesamtschulen gemacht", meint Schulze-Berndt wenig betrübt. Sie sei nicht unglücklich, wenn es nicht klappen würde mit dem Projekt Gemeinschaftsschule.
Die schrittweise Einführung "einer Schule für alle" hat die Linkspartei der SPD in den Koalitionsverhandlungen abgerungen. Nach diesem Konzept lernen die Schüler zusammen von der ersten bis zur zehnten Klasse und können anschließend an einem kooperierenden Gymnasium das Abitur ablegen. 22 Millionen Euro hat der Senat für die zwölf Kandidaten, die ab dem Schuljahr 2008/09 in die dreijährige Pilotphase starten werden, eingeplant. Bereits im Juni zeigte sich, dass unter den über 60 Interessenten keine Gymnasien waren. Und nun kristallisiert sich heraus, dass die Fans dieser Schulform, ähnlich wie die Wähler der Linkspartei, im Osten sitzen. Ursprünglich wollte der Senat in jedem Bezirk eine Gemeinschaftsschule einrichten. Die Senatsverwaltung für Schule und Bildung wollte dies nicht kommentieren und verwies auf die Bekanntgabe der Ergebnisse im November.
Ulf Redwanz, Schulleiter der Annedore-Leber-Grundschule in Lichtenrade, plädiert dafür, den Schulen mehr Zeit zu geben. Seine Schule war unter den ursprünglich 65 Interessenten, die der Senat im Juni bekannt gab. Zwar stehe die Mehrheit der Lehrer hinter dem Projekt. "Wir brauche aber noch Zeit, um die eher konservativen Eltern bei uns im Bezirk zu informieren und mitzunehmen", sagt Redwanz. So ein Projekt könne nur erfolgreich sein, wenn es nicht mehr an parteipolitischen Grenzen erkennbar sei.
Doch genau dies ist nach wie vor der Fall. So würde der zuständig CDU Stadtrat in Tempelhof-Schöneberg, Dieter Hapel, das Projekt zwar nicht bremsen, die Schulen aber auch nicht ermuntern, sagt der Schulleiter.
CDU und FDP waren im Sommer aus dem Beirat ausgetreten, der das Projekt "Gemeinschaftsschule" fachlich beraten sollte. Gestern gab auch der Bildungsexperte der Grünen, Öczan Mutlu, seinen Ausstieg bekannt: "Ich habe den Eindruck, dass kritische Stimmen im Beirat nicht gewünscht sind", begründete Mutlu seine Entscheidung. Dem Beirat gehören neben den bildungspolitischen Sprechern der Koalitionsparteien auch die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) sowie Vertreter der Industrie- und Handelskammer (IHK) und der Handwerkskammer (HK) an. Obwohl sie die Gemeinschaftsschule skeptisch sähen, würden sie dem Beirat treu bleiben, hieß es von beiden Organisationen.
Die bildungspolitische Sprecherin der SPD, Felicitas Tesch, sieht die Gemeinschaftsschule durch das Bröckeln des Beirats nicht destabilisiert. "Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist nicht vom Beirat abhängig." Der Vorsitzende der Landeselternvertretung, André Schindler, prophezeit der Gemeinschaftsschule dagegen schon vor dem Start das Ende. Die Lehrer seien nicht dafür ausgebildet, mit unterschiedlich leistungsstarken Schülern umzugehen. Viele Eltern würden ihre Kinder daher nicht auf solche Schulen schicken: "Sie haben Angst, dass leistungsstarke Schüler hängen bleiben."
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