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Gelbwesten in FrankreichDer Protest ist nicht totzukriegen

Die Gelbwesten protestieren weiter. Sie beginnen, sich zu strukturieren. Präsident Macron hat sich nun mit einem Brief an die FranzösInnen gewendet.

Die Bewegung lebt: Zum neunten Mal gingen Protestierende in Frankreich am Samstag auf die Straßen Foto: ap

Paris taz | Ein Brief von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron mit einer Einladung an die Franzosen zu einer „großen Debatte“ ist von Vertretern der Gelbwesten-Bewegung zurückhaltend aufgenommen worden. Einer ihrer Repräsentanten, Jeremy Clement, sagte am Montag dem Fernsehsender BFM, Macrons Schreiben löse ein „Teil des Problems“, gehe aber nicht weit genug, was den Kaufkraftverlust von Niedrigverdienern angehe.

Macron erklärte in einem am Sonntagabend veröffentlichten Brief, wie er auf die Beschwerden und Forderungen der Gelbwesten-Bewegung eingehen wolle. Dazu gehöre eine „große Debatte“ in örtlichen Veranstaltungen überall in Frankreich, die bereits am Dienstag beginnen sollen. Themenschwerpunkte sollen Steuern, der Öffentliche Dienst, Klimawandel und Demokratie sein.

Am Samstag hatten in Paris und anderen Städten Frankreichs wieder mehr als 100.000 Personen, mit und ohne gelbe Westen, für mehr Volksrechte und Kaufkraft und weniger Macron demonstriert. Es war bereits das neunte Mal seit dem 17. November. An den neuen Kundgebungen beteiligten sich in Paris rund 10.000 Menschen, besonders gut besucht waren sie wie schon an den Wochenenden zuvor in Bordeaux, Toulouse, Caen und Nantes. Mehr als 6.000 folgten einem Aufruf von Priscillia Ludosky, einer bekannten Gelbwesten-Sprecherin, in das zentral gelegene Städtchen Bourges.

Die Hoffnung der Behörden, dass der Bewegung nach dem Jahreswechsel die Puste aus­gehen würde, hat sich zerstreut. Im Gegenteil: Die Gelbwesten beginnen sich zu strukturieren. Erstmals war bei der Demonstration in der Hauptstadt so etwas wie ein Ordnungsdienst mit weißen Armbinden zu sehen. „Mehr Leute, weniger Gewalt“, lautete die Bilanz der Nachrichtensender BFM und LCI, die jeden Samstag die Gelbwesten-Aktionen live übertragen.

Vielleicht hat Macron mit einer provokativen oder zumindest unbedachten Bemerkung die Mobilisierung neu entfacht. Er wollte am Freitag bei einem Treffen mit Bäckern seine Landsleute zu mehr Leistungswillen anspornen und sagte: „Die gegen­wärtigen Probleme in unserem Land rühren manchmal daher, dass viele Bürger meinen, sie könnten etwas ohne Anstrengung bekommen.“

Mit seinem Brief an die Nation möchte Macron nun den Auftakt zu einer „großen Debatte“ geben, bei der grundsätzlich alle ihre Meinung zu Fragen wie Steuern, Institutionen, öffentliche Dienste oder Energiewende äußern oder ihre Forderungen anbringen können. Die Zweifel am Nutzen dieser Anhörung des existierenden Volkszorns wachsen. Die Vereinigung der BürgermeisterInnen der 36.000 Kommunen des Landes hat bereits gesagt, dass sie nicht als „Handlanger des Präsidenten“ die lokale Organisierung dieser improvisierten Befragung besorgen wolle.

In den Reihen den Gelbwesten wird der Dialog ohnehin als Ablenkungsmanöver kritisiert. Sie wollen weiterhin die Möglichkeit, auf Initiative der Bürger Volksabstimmungen zu verlangen.

(mit ap)

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4 Kommentare

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  • Was Macron seit dem Gewinn der Präsidentschaft so raushaut, hat oft einfach ein unterirdisches Niveau und das passiert ihm nicht nur einmal, das ist bei ihm anscheinend zum Normalzustand geworden.

    Meine Highlights waren bisher, "Les gens qui ne sont rien" (Menschen, die nichts sind.)

    "On met un pognon de dingue dans les minimas sociaux." (Wir stecken eine irre Summe Geld in das Sozialsystem.)

    "Au lieu de foutre le bordel, ils feraient mieux d’aller regarder s’ils peuvent avoir des postes." (Das übersetze ich nicht.)

    "Une gare, c’est un lieu où l’on croise les gens qui réussissent et les gens qui ne sont rien." (Ein Bahnhof/station ist ein Ort, an dem Sie erfolgreiche Menschen treffen und Menschen die nichts sind.) 

    Je ne céderai rien ni aux fainéants, ni aux cyniques. (Ich werde weder den Faulen noch den Zynikern nachgeben.)

    Jedem klar denkenden Menschen muss doch klar sein, wie solche Sätze ankommen, als ob man die Leute mit Absicht provozieren wollte.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Es wäre ja schön, wenn wenigstens die Gewalt mit vielen Verletzten und Toten und die sinnlosen Zerstörungen mit Milliardenschäden zu Ende gingen.

    www.dw.com/de/gelb...tschaft/a-46656320

    Sich an Gewaltlosigkeit oder an die Regeln in einem demokratischen Rechtsstaat zu halten, hat schon was für sich..

    Und wenn man den Umbau der 5. Republik fordert, weg von einem repräsentativ-demokratischen System hin zu einem mit mehr plebiszitären Elementen, sollte schon gefragt werden, wie dies zu erreichen ist.

    Vielleicht, indem bei der nächsten Wahl Mehrheiten hierfür gesucht und gefunden werden ?

    Aber wer den Dialog scheut, will offenbar bis zum Sanktnimmerleinstag protestieren.

  • „Die gegen­wärtigen Probleme in unserem Land rühren manchmal daher, dass viele Bürger meinen, sie könnten etwas ohne Anstrengung bekommen.“

    Autsch:



    Das ausgerechnet vor Bäckern von sich zu geben, die Nachts um 1-2h aufstehen, damit um 4-5h morgens das Baguette und die Croissants frisch gebacken in den Bäckereien liegen, zeugt von echter, unverblümter Blödheit!

    • @Jens Frisch:

      Es müsste „wenige“ statt „viele“ heißen. Und, dass sie nicht nur meinen sondern es in groteskem Übermaß tatsächlich bekommen; durch seine Hilfe jetzt noch mehr.