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Gelbwesten-Proteste in FrankreichGeplante Ökosteuer ausgesetzt

Die französische Regierung gibt dem Druck der „Gilets jaunes“ nach. Die umstrittene Steuererhöhungen soll nun noch nicht Anfang nächsten Jahres kommen.

Gelbwesten-Protest in Paris: Die Polizei setzt massiv Tränengas ein Foto: dpa

Paris afp | Als Reaktion auf die „Gelbwesten“-Proteste legt die französische Regierung die zum Januar geplante Erhöhung der Ökosteuer vorerst auf Eis. Premierminister Edouard Philippe gab am Dienstag die Aussetzung der Steuererhöhung um mehrere Monate bekannt. Ein „Gelbwesten“-Aktivist bezeichnete dies als nicht ausreichend und kündigte eine Fortsetzung der Proteste an.

Der „Gelbwesten“-Vertreter Jean-François Barnaba sagte dem Sender France Inter, nötig seien breite Steuersenkungen sowie die Erhöhung von Löhnen und Renten, um den Franzosen wieder ein würdiges Leben zu ermöglichen. Viele Menschen müssten mit 800 bis 900 Euro im Monat auskommen. „So kann man nicht leben“, sagte der Aktivist aus dem zentralfranzösischen Indre.

Auch Teile der Opposition wiesen den Vorstoß der Regierung zurück. Von den konservativen Republikanern hieß es, der Aufschub für die Ökosteuer sei „absolut unzureichend“. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen erklärte, in dem Vorschlag zeige sich die „Verachtung“ der Regierung von Präsident Emmanuel Macron für die Franzosen.

Die Konservativen fordern ein Referendum als Antwort auf die „Gelbwesten“-Proteste, die Rechtspopulisten und die Linkspartei La France Insoumise (Das unbeugsame Frankreich) eine Auflösung der Nationalversammlung und Neuwahlen.

Neben dem Aufschub für die Ökosteuer auf Diesel und Benzin will Philippe im Laufe des Tages noch weitere Zugeständnisse an die „Gelbwesten“ verkünden, wie ein Regierungsvertreter sagte. Auf die Maßnahmen hatten sich Teile des Kabinetts am Montagabend bei einer Krisensitzung unter Leitung Macrons geeinigt. Damit solle eine „beruhigte Debatte“ ermöglicht werden, sagte der Chef von Macrons Partei La République en Marche (Die Republik in Bewegung), Stanislas Guerini, dem Sender RTL.

Vermittlungsgespräch abgesagt

Ein ursprünglich für Dienstag geplantes Treffen zwischen Regierungschef Philippe und den „Gelbwesten“ findet dagegen nicht statt, wie das Büro des Premiers bestätigte. Vertreter der Protestbewegung hatten es kurzfristig abgesagt und dafür „Sicherheitsgründe“ angeführt. Sie seien von Hardlinern bedroht worden, weil sie mit der Regierung sprechen wollten.

Die Aktivisten haben keine Sprecher, die offiziell anerkannt oder durch eine Wahl legitimiert sind. Die „Gelbwesten“ arbeiten aber an einer gemeinsamen Liste für die Europawahl Ende Mai, wie ihr Vertreter Barnaba ankündigte.

Die Proteste gegen hohe Kraftstoffpreise, Steuern und Lebenshaltungskosten in Frankreich halten nun schon seit rund zweieinhalb Wochen an. Sie bringen Präsident Macron stark in Bedrängnis, die Aktivisten fordern bei Kundgebungen immer wieder lautstark seinen Rücktritt.

Macron fährt nicht nach Serbien

Macron sagte eine für das Ende der Woche geplante Serbien-Reise ab, wie aus Belgrad bekannt wurde. Am Mittwoch will sich die Nationalversammlung in einer Sondersitzung mit den Protesten befassen.

Für das kommende Wochenende sind neue Proteste unter anderem in Paris angekündigt, wo es am vergangenen Samstag schwere Ausschreitungen gab. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo bezifferte die Schäden in einer ersten Schätzung auf „drei bis vier Millionen Euro“. Darin sind nach ihren Angaben aber noch nicht die Schäden an Geschäften oder am Triumphbogen eingerechnet, die beschmiert und teilweise verwüstet wurden.

Am Montag wurden zwei „Gelbwesten“ wegen Ausschreitungen in der zentralfranzösischen Stadt Puy-en-Velay zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Dort war am Samstag die Präfektur in Brand gesetzt worden.

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5 Kommentare

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  • Falls mochmal jemand behauptet, es seien doch nur "die Großen", die besseren Umweltschutz blockieren ...

    Am Ende sind viele Linke dann doch nicht für Gerechtigkeit, sondern nur für Gerechtigkeit im eigenen Portemonnaie. Hauptsache nicht bei sich selbst anfangen.

  • In der Bewegung der Gilets Jaunes zeigt sich auch ein über lange Zeit akkumulierter Vertrauensverlust gegenüber etablierten Parteien, Organisationen und Institutionen. Der lässt sich nicht mit finanziellen Zugeständnissen aus der Welt schaffen. Er erklärt vielleicht die erschreckende Aggressivität und Wut, die ein vernünftiges Verhandeln - das auch durch das Fehlen einer traditionellen Organisationsstruktur bei den Gilets Jaunes erschwert ist - fast verunmöglicht. Allerdings lässt es einen auch etwas ratlos zurück. Man bekommt den Eindruck, dass ganz Frankreich in prekären Verhältnissen lebt, was ja so nicht stimmt, nicht mal in der vielbeschworenen Peripherie.

  • Wer ökologisch nachhaltige und sozial verträgliche Politik machen will, kommt an der Verteuerung des motorisierten Individualverkehrs nicht vorbei.



    Von der Rechten erwartet Keiner solche banalen Einsichten. Dass sich jetzt auch Frankreichs Linke dagegen sperrt, ist deprimierend.

  • Die Neoconpropaganda wirkt. Selbst die ärmsten Sozialhilfeempfänger verlangen jetzt undifferenziert Steuersenkungen und damit mehr Kastration des sie alimentierenden Staatswesens. Gesenkt werden dann üblicherweise nur die Steuern der Wohlhabenden d.h. Steuern auf Einkommen und Vermögen (cf. Trump/Schröder) und für den Ausgleich werden dann die Steuern der Armen d.h. Verbrauchssteuern erhöht.

  • Früher forderten die Rechten Steuersenkungen und die Linken mehr Ausgaben für den Sozialstaat. Italien scheint jetzt das Modell dafür zu sein, dass sich Populisten von rechts und links verbünden und beides gleichzeitig fordern. Letztendlich geht das nur mit höherer Staatsverschuldung, geht also auf Kosten der nachfolgenden Generationen.