■ Geisterbeschwörungen und Wallfahrten, Zaubertränke und Badekuren nahmen Frauen früher auf sich, um Kinder zu bekommen. Heute vertrauen viele auf die Hilfe der Reproduktionsmedizin Von Wiebke Roegener: Reagenzglas statt Zaubertrank
Gewartet haben sie vielleicht zu lange, zu einer Adoption mochten sie sich nicht entschließen: SoziologInnen vermuten bei kinderlosen Paaren, die sich mit Hilfe der In-vitro-Fertilisation ihren Kinderwunsch zu erfüllen suchen, konservative Familienbilder. Beratung für die Paare gibt es jedoch kaum, dafür aber jede Menge ärztliche Technik.
Das Wort vom „Kindersegen“ weist noch auf die mythische Bedeutung hin, die der Gebärfähigkeit beigemessen wurde. Wissenschaftlich-rational dagegen versucht die moderne Medizin, dem in Industriestaaten wachsenden Problem der Kinderlosigkeit beizukommen.
Welches sind die Gründe, die kinderlose Paare bewegen, diesen Weg zu gehen? Warum lassen sich immer mehr Frauen trotz der hohen körperlichen und psychischen Belastungen auf einen solchen Therapieversuch ein? Und was sind die Folgen, wenn trotz der Behandlung keine Schwangerschaft eintritt?
Diesen Fragen ging eine Arbeitsgruppe von Soziologinnen der Universität Oldenburg nach. Sie befragte Ärzte und Patientinnen, die mit immer raffinierteren Methoden dem ausbleibenden Nachwuchs auf die Sprünge helfen wollen, nach Einstellungen und Motiven. Ein Ergebnis der Untersuchungen: Die meisten hochspezialisierten Fortpflanzungsmediziner setzen sich mit solchen Problemen allenfalls am Rande auseinander. Sie verstehen sich nach eigenem Bekunden vor allem als „Dienstleister“.
Doch ein wenig Beratung muß sein, das ist von Rechts wegen so vorgesehen. Allzuviel wollen die Praktiker mit dem „Psychokram“ indes nicht zu tun haben. Die in manchen Bundesländern vorgeschriebene Fortbildung in Psychosomatik empfinden sie eher als lästig. „Also, wenn jemand den Wunsch hat, schwanger zu werden, und es klappt nicht auf normalem Wege, warum soll man da nicht in gewisser Weise nachhelfen? Da sehe ich überhaupt keine Probleme“, formuliert ein Gynäkologe.
Und klappt's nicht beim ersten Versuch, gehen die meisten Ärzte fraglos davon aus, daß frau es noch mal probieren wird – schließlich übernimmt die Krankenkasse die Kosten für vier Anläufe in künstlicher Befruchtung.
Patientinnen sehen das nicht ganz so locker: Die Bemühungen, mit Hilfe der In- vitro-Fertilisation (IVF) zum Wunschkind zu kommen, werden von den allermeisten Frauen körperlich wie seelisch als sehr belastend empfunden. Dennoch brechen nur wenige die Behandlung ab. Die auf IVF spezialisierten Zentren verzeichnen regen Zulauf.
Denn eine zunehmende Zahl von Ehen bleibt ungewollt ohne Nachwuchs. Die Gründe für die steigende Zahl von Paaren, die kein Kind ohne gynäkologische Hilfe zeugen können: einerseits der späte Entschluß, Kinder zu wollen, zum anderen Umwelteinflüsse. Vielen Paaren – und hier vor allem den Frauen – fällt es schwer, Kinderlosigkeit zu akzeptieren. Schon zu biblischen Zeiten galt der „verschlossene Schoß“ als Strafe Gottes. Unfruchtbarkeit war in vielen Kulturen ein allseits gebilligter Grund, eine Frau zu verstoßen.
Die „Schuld“ an der Kinderlosigkeit wurde fast immer bei ihr vermutet. Und die alten Denkmuster sind nicht tot: Immerhin 20 der 273 befragten Frauen bejahten die Aussage „Ich hatte zeitweilig Angst, daß ich ohne ein Kind meinen Mann verlieren könnte“.
Auch heute ist mit Vorurteilen aller Art konfrontiert, wer – freiwillig oder nicht – in einer Zweierbeziehung ohne Kinder lebt. Angloamerikanische Untersuchungen stellten Anfang der achtziger Jahre fest: Kinderlose werden deutlich häufiger für „egoistisch“, „verantwortungslos“, „weniger reif“ und „weniger glücklich“ gehalten als ihre sich erfolgreich vermehrenden Mitmenschen.
Untersuchungen der Oldenburger Arbeitsgruppe konnten solche Ergebnisse auch für deutsche Verhältnisse bestätigen. Hierzulande sind es vor allem die lieben Verwandten, die von neugierigen Nachfragen bald zu Mißbilligung und Kritik übergehen. Ein Retortenbaby allerdings soll das heiß ersehnte Enkelkind nun auch wieder nicht sein: Nur etwa ein Sechstel der befragten Frauen gibt an, daß weibliche Familienangehörige sie bei der Entscheidung zur IVF-Behandlung unterstützt haben; knapp fünf Prozent der Befragten wurden von männlichen Verwandten in ihrem Vorhaben bestärkt.
Ein großer Teil der Frauen hält die Versuche sogar vor ihrer Herkunftsfamilie geheim. Dennoch erhoffen sich viele im Erfolgsfall mehr Anerkennung von den eigenen Eltern ( 23 Prozent) und – mehr noch – von den Schwiegereltern (37 Prozent). Eine überwiegend traditionelle Familienorientierung konstatiert die Studie bei Frauen, die an IVF-Behandlungen teilnehmen: Denn die Mehrheit beabsichtigt – sollte die Behandlung erfolgreich sein –, zumindest während der ersten Lebensjahre ihres Kindes zu Hause zu bleiben. Viele geben bereits für die zeitraubenden IVF-Versuche ihren Beruf auf.
Auch der weit überwiegende Wunsch nach biologischer Elternschaft (gerade mal 18 Prozent hatten zum Zeitpunkt der Befragung einen Adoptionsantrag gestellt) deutet nach Einschätzung der Autorinnen auf einen eher konservativen Familienbegriff hin. Erst wird zuverlässig verhütet, dann das Wunschkind nach Plan gezeugt. Gerade weil sie Berufstätigkeit und Kindererziehung für unvereinbar halten, wird die Entscheidung für ein Kind von manchen Frauen so lange hinausgezögert, bis die Empfängnisfähigkeit bereits sinkt.
Nur zu leicht wird so aus dem aufgeschobenen Kinderwunsch die ungewollte Kinderlosigkeit. IVF soll es dann richten. Die Oldenburger Soziologin Corinna Onnen-Isemann spitzt zu: So „begünstigt das Angebot der Reproduktionstechnologien das Festhalten an traditionellen Familienorientierungen“. Doch nicht nur die Sehnsucht nach dem eigenen, leiblichen Kind treibt Paare dazu, eine IVF-Behandlung zu beginnen und – auch nach einigen erfolglosen Versuchen – hartnäckig fortzusetzen. Vor allem der Wunsch, „dann alles getan zu haben“, taucht in den Interviews immer wieder auf.
Wurden nicht alle medizinischen Möglichkeiten ausgereizt, fürchten viele spätere Selbstvorwürfe. Auch Ärzte geben schon mal an, sie hätten Frauen zur IVF überwiesen, obwohl sie keine Erfolgsaussichten sahen – „um denen rüberzubringen: Sehen Sie, es geht wirklich nicht“. Deutlich hierbei wird: Die neuen Fortpflanzungstechniken sind nicht nur Dienstleistungen, sie erzeugen auch Nachfrage. Wer sie nicht probiert, hat heutzutage eben nicht alles getan, um der Norm „Vater-Mutter-Kind“ zu genügen.
Schock, Wut und Trauer sind die ersten Reaktionen, wenn sich herausstellt, daß sich auf herkömmlichem Wege keine Kinder einstellen werden. Doch seit es die neuen Fortpflanzungstechniken gibt, bleibt ein Hoffnungsschimmer. Hiermit, so wird aus den Untersuchungen von Corinna Onnen-Isemann deutlich, begeben sich viele Paare in einen Teufelskreis: Um mit dem Streß der Behandlungen fertig zu werden und nach jedem fehlgeschlagenen Versuch einen neuen Anlauf zu wagen, erlangt der Kinderwunsch subjektiv eine immer höhere Bedeutung. Nur dann ist er ja alle Strapazen wert.
Fast 80 Prozent der Frauen stimmten der Aussage zu: „Obwohl es mir während der einzelnen Behandlungsphasen nicht sehr gut geht, werde ich die Behandlung vor Ablauf der möglichen Versuche nicht abbrechen, um mir später keine Vorwürfe zu machen.“ Corinna Onnen-Isemann kommentiert: „Dadurch kann die Behandlung auch einen ,Suchtcharakter‘ erhalten.“ Auch Ärzte geraten durch das bloße Vorhandensein der neuen Fortpflanzungstechniken unter Handlungsdruck: Wie lange soll der Gynäkologe warten, bis er eine Patientin zur IVF überweist?
Nach einem Jahr mit regelmäßigem Geschlechtsverkehr ohne Verhütung werden etwa 80 Prozent aller fruchtbaren Frauen schwanger – doch bei mancher dauert es eben länger. Die Oldenburger Wissenschaftlerinnen stellen fest: Es wird heute sehr rasch zu hochtechnisierten Verfahren geraten, bevor wirklich feststeht, daß eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege ausgeschlossen ist. Die Ärztezeitung dagegen beklagte kürzlich in einem Kommentar, „eine zu große Zeitspanne zwischen der Entscheidung für ein Kind und dem Aufsuchen eines Zentrums für Reproduktionsmedizin“.
Der Versuch, ohne medizinische Hilfe ein Kind zu zeugen, berge „je nach Alter der Frau das Risiko, daß wertvolle Zeit verlorengeht“. Also am besten gleich nach Absetzen der Pille zur IVF? Doch allen Künsten der Medizinmänner zum Trotz ist der wahrscheinlichste Ausgang die bleibende Kinderlosigkeit: Die „Baby-take- home“-Rate , also der Anteil der lebend geborenen Kinder, liegt nur bei etwa zehn bis fünfzehn Prozent.
Die Soziologinnen resümieren: Durch die Fixierung auf den medizinischen High- Tech-Ausweg wird es nicht eben leichter, sich mit einer Lebensperspektive ohne Kinder auseinanderzusetzen und sie schließlich zu akzeptieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen