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Geiseldrama-Gedenken in BremenDas Gedenkding von Huckelriede

Bremen will baulich ans Gladbecker Geiseldrama erinnern. Der Senat habe es damit sogar erstaunlich eilig, teilt er zum 30. Jahrestag der Tat mit. Einen Plan hat er aber nicht.

Tatort Busbahnhof Huckelriede: Hier soll es hin. Nur was? Foto: Nikolai Wolff / Fotoetage

BREMEN taz | Bald bekommt Bremen ein neues Denkmal, oder was auch immer es sein wird. In Huckelriede, am Busbahnhof. Sehr bald sogar: „Wir wollen noch in diesem Jahr einen solchen Ort einweihen“, sagt André Städler, Sprecher der Senatskanzlei. Das ist flott, denn erst nachdem im März ein neuer Fernsehfilm – war es wirklich erst der siebte? – erneut einen Blick auf den Banküberfall von Gladbeck und das sich anschließende Geiseldrama geworfen hatte, war der Plan überhaupt aufgekommen.

Der Beitrag hatte neben der üblichen Montage mit bedrohlichem Elektrosound unterlegter Originalaufnahmen – Material gibt es da ja reichlich – besonders viel Wert auf die Perspektive der Opfer des Verbrechens und der Hinterbliebenen der drei Getöteten gelegt. Wie allein gelassen sie sich damals schon fühlten – aber auch heute noch fühlen, war erst vor fünf und zehn Jahren auch schon Gegenstand der Jahrestagsberichterstattung gewesen. Aber diesmal hat es offenbar etwas ausgelöst.

Seither haben Innensenator und Polizeipräsident Einzelgespräche mit denjenigen Betroffenen geführt, die das wollten – sieben von 32. Am Grab des erschossenen Emanuele de Giorgi im südostitalienischen Surbo wird heute bei einer Gedenkveranstaltung im Auftrag des Senats ein Kranz niedergelegt und ein Grußwort von Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) verlesen, und am Donnerstag gab es eine Veranstaltung auf dem Friedhof von Stuhr-Heiligenrode, zur Erinnerung an Silke Bischoff, die erschossen wurde, als die Polizei das Entführer-Auto schließlich stürmte.

Den Anfang gemacht hatte die CDU-Fraktion in der Bürgerschaft. Ihrer Forderung, der Senat möge „einen Erinnerungsort für die Opfer des Gladbecker Geiseldramas im Bereich des Busbahnhofs Huckelriede initiieren, um der Opfern angemessen zu gedenken“, haben sich nach und nach SPD, Grüne und Linksfraktion angeschlossen. Und bei der Plenarsitzung am 31. Mai haben auch die Wutbürger zugestimmt, die in Huckelriede dessen gedenken wollen, dass alles Schlimme nicht passiert wäre, wenn seinerzeit der finale Rettungsschuss erlaubt gewesen wäre.

Gladbeck ist nicht nur irgendein Verbrechen. Es haben sich damals viele schuldig gemacht

Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin des Innensenators

Erinnerungsort ist eines der erfolgreichsten und populärsten Konzepte der kulturhistorisch orientierten Geschichtsschreibung. Und es ist hier klar der falsche Begriff. Denn was die Bürgerschaftsfraktionen laut Antrag wollen, ist eher ein Mahnmal oder Monument, was genau bleibt ungewiss, aber ganz sicher jedenfalls: ein handfestes Gedenkding.

Unter Erinnerungsort hingegen, so hat es der Erfinder des Konzepts, ­Pierre Nora, seinerzeit definiert, ist „jederart bedeutsame Entität, ob materiell oder immateriell“, zu verstehen, die „zu einem symbolischen Element innerhalb des kommemorativen Erbes einer wie auch immer gearteten Gemeinschaft geworden ist“. Sprich: Das Geiseldrama von Gladbeck ist längst ein gutes Beispiel für einen solchen Erinnerungsort, der eben nicht nur aus dem Ereignis selbst, sondern aus der Summe der sich daran anschließenden Diskurse besteht, weil diese eine Funktion fürs Kollektiv haben. Und über das sagt ein Erinnerungsort etwas aus.

Diese Dimension von Gladbeck hatte Christoph Schlingensief schon 1992 mit seinem Filmkunstwerk „Terror 2000 – Intensivstation Deutschland“ freigelegt: Am Verbrechen, an dem 1988 die gesamte Gesellschaft von wohliger Angstlust durchschauert teilgenommen hatte, hat er eine Tendenz der deutschen Gesellschaft abgelesen, die, längst patent geworden, heute in voller Blüte steht.

Moralisierende Medienfloskeln

Zu den Versatzstücken, aus denen der Erinnerungsort Gladbeck besteht, gehören zwingend moralisierende Medienfloskeln bezüglich der damaligen Grenzüberscheitung der Medien, die sich freilich geändert hätten. Allerdings kommt auch der als Kritik camouflierte Voyeurismus auf seine Kosten, indem er seine Empörung mit damals grenzüberschreitend geernteten Material illustriert, durch die extensive Neu-, Neu-, Neuausstrahlung des Interviews mit Geiselnehmer D. beglaubigt.

Oder, noch schöner: indem das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ dessen Kompagnon R. 30 Jahre danach noch einmal den Wunsch erfüllt, in die Medien zu kommen. Dort kann er deren Rolle problematisieren und beteuern, wie sehr ihn seine Tat noch heute reue. Also die Abfolge von Ereignissen, die ihn in die Medien brachte. Sie hatte am 16. August 1988 mit dem Überfall auf eine Filiale der Deutschen Bank begonnen und war 54 Stunden später mit einer Schießerei auf der A3 bei Bad Honnef zu Ende gegangen.

Ein Erinnerungsort gehört zur symbolischen Ordnung. Die Opfer sind real. Es spricht wenig dagegen, den Betroffenen des Verbrechens eine Möglichkeit des Gedenkens zu verschaffen. Das damalige Versagen von Polizei und Staat und die Öffentlichkeit ihres Todes und Leidens rechtfertigt ein Mahnmal: Gladbeck, das sei eben „nicht nur irgendein Verbrechen“, stellt Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin des Innensenators klar. Jeden hätte es treffen können. Und „Es haben sich damals viele schuldig gemacht.“

Unklarer Charakter

Aber die Eile mit der das Projekt vorangetrieben werden soll, passt dazu nicht: Bis Jahresende – das ist mehr als sportlich. Dennoch gibt es nicht einmal einen Entwurf. Auch herrscht eine gewisse Unklarheit über den Charakter dieses Gedenkdings, denn „für so etwas gibt es keine Blaupause“, weiß Gerdts-Schiffler.

Die Frage, ob man sich dann mit externen Fachleuten beraten hat, beantwortet Senatssprecher Städler negativ: „Wir haben dazu keine kulturhistorische Forschung in Auftrag gegeben.“ Und für einen Wettbewerb mit Jury – die bei Monumenten sonst sachkundig prüft, ob Formgebung und Platzierung dem Anlass angemessen sind – kann die Zeit nicht reichen, wenn das Ding doch inklusive Beiratsbefassung im Dezember schon am Busbahnhof Huckelriede stehen soll.

Was geschehen ist, ist, dass Martina Höhns, früher Katholikensprecherin, jetzt Leiterin des Referats für Interkulturelles und -religiöses, mit Staatsarchivleiter Konrad Elmshäuser mal drüber geredet hat. Ergebnis: Das Gedenkding soll eher zurückhaltend ausfallen. Dann wird es auch preisgünstiger.

Bei anderen Erinnerungsorten pressiert's nicht

In Erinnerungsorten, um noch einmal auf die Theorie zurückzukommen, scheint kollektive Identität ihren Ausdruck zu finden und sich zu konstruieren. Das macht die Frage politisch bedeutsam, wo die Verwaltung Pläne priorisiert, einem Erinnerungsort zu materieller Präsenz zu verhelfen. Und wo nicht. Nach wie vor verschleppt Bremen den Bau des Mahnmals, das die Beteiligung bremischer Spediteure wie Kühne + Nagel am Raub jüdischen Eigentums im Zuge der sogenannten „Arisierung“ thematisiert. Dabei war die ganz sicher nicht irgendein Verbrechen, und groß ist die Zahl seiner Profiteure.

Länger noch gefordert, und mit künstlerisch anspruchsvollen Entwürfen hinterlegt worden ist das Denkmal für Laya Condé und zahlreiche weitere Bremer Opfer der Brechmittelfolter. Nachdem er diese im Polizeigewahrsam erlitten hatte, war Condé 2005 gestorben – danach wurde die menschenrechtswidrige Praxis eingestellt. Ein solches Denkmal wäre heute lesbar als Bekenntnis gegen Rassismus und längst eingestandene, fehlgeleitete staatliche Gewalt.

Aber: Deren Opfer können warten. Da pressiert’s nicht. Es sind offenbar, diese Hierarchisierung genau drückt sich in der Eile beim Gladbeck-Memorial aus, die falschen. Und – denn ausschließlich People of Color wurden der Brechmittelfolter unterzogen – es hätte ja auch nicht jeden treffen können.

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