Geht's noch?: Links und folgenlos
DIE BRITEN GEHEN. DER REST MACHT WEITER WIE BISHER. ALTERNATIVEN ZUM VERFALL DER EU HABEN REINEN APPELLCHARAKTER
Es ist schon merkwürdig: Die selben Leute, also die Schulz’, Hollandes, Renzis, die Europa dahin gebracht haben, wo es heute am Boden liegt, beklagen nun, dass eine knappe Mehrheit der britischen Wähler da nicht mehr mitkrepieren möchte.
Die selben Leute, die das griechische Gesundheitssystem haben kollabieren lassen, denen die Jugendarbeitslosigkeit im Süden egal ist, die jeden Cent heraus pressen, um die Interessen der superreichen Gläubiger zu bedienen, sie sehen den „Brexit“ nicht etwa als ihre ganz persönliche Niederlage an und treten gemeinschaftlich in den Ruhestand – nein, sie sind vielmehr am Montag von EU-Kanzlerin Merkel in die Zentrale der Schwarzen Null einbestellt, „um die richtigen Antworten auf den heutigen Tag zu geben“.
Das ist natürlich zynisch, es ist aber nicht unser Hauptproblem. Unser Hauptproblem ist die Politik des kleineren Übels. Wir aufrechten Europäer müssen aufhören, die bösen Neoliberalen und die natürlich noch böseren rechten Protestwähler anzuklagen, nur um dann – unter Bauchschmerzen, ja klar – den nächsten faulen Kompromiss mitzutragen. Unsere Bauschschmerzen interessieren nicht mehr, sie sind zur Nabelschau geworden.
Wir müssen, wenn wir schon keine ausgearbeitete Alternative auf den Tisch knallen können, wenigstens die Lage in Europa beschreiben und zur Kenntnis nehmen – die Lage, wie sie tatsächlich ist. Das ist natürlich schwierig, wenn man etwa die Überraschung sieht, mit der selbst die Süddeutsche Zeitung auf den Erfolg der 5-Sterne-Bewegung bei den italienischen Kommunalwahlen reagierte.
Auch die überwiegende Berichterstattung über die Proteste in Frankreich gegen Hollandes Arbeitsmarktreform zeigt, dass bei deutschen Korrespondenten ein innerer Wolfgang Schäuble mitschreibt, der nicht wahrhaben will, dass die deutschfreundliche Austeriätspolitik in den genannten Staaten von einer Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird.
Die Briten gehen, weil sie es zu können meinen. Viele andere bleiben nur, weil sie glauben, es sich nicht leisten zu können. Das, um die Oberphrase der gescheiterten Euro-Eliten aufzugreifen, ist so manches: Aber auf keinen Fall ein Europa des Friedens.
Ambros Waibel
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