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Geheimnisvolle Datenlage

In Kasachstan sind Fachleute vom DIW in Berlin auf erstaunliche Gepflogenheiten bei der Berechnung des Bruttosozialprodukts gestoßen  ■ Von Dietmar Bartz

Presov (taz) – Es macht schon einen Unterschied, ob die Regierung eines ehemals sowjetischen Landes melden kann, die wirtschaftliche Talfahrt sei beendet – oder ob sie eigentlich das Gegenteil tun müßte. Die Behörden Kasachstans haben jetzt mit diesem Problem zu tun. Das verdanken sie den Wissenschaftlern vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Offiziell ist die kasachische Wirtschaft im Jahr 1994 um 25,0 und im Jahr 1995 nur noch um 8,9 Prozent geschrumpft. Minus neun Prozent nennt auch der kürzlich erschienene Weltentwicklungsbericht der Weltbank. Für das letzte Quartal 95 meldete das statistische Amt Goskomstat sogar ein leichtes Wachstum von 1,6 Prozent. Doch ein DIW-Team hat in Kasachstan die Grundlagen für die Berechnung des Bruttosozialproduktes (BSP) überprüft und kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. Danach ist die kasachische Wirtschaft 1994 um 32,0 Prozent und 1995 um 28,7 Prozent geschrumpft.

Dies geht indirekt aus der Vierteljahreszeitschrift Kazakstan Economic Trends hervor, für deren Grafiken teilweise die Daten des DIW verwendet wurden, während sich der statistische Teil auf das Goskomstat beruft. Die Ursache für die unterschiedlichen Ergebnisse liegen in den Erfassungsmethoden. Noch immer wendet Goskomstat die alte „sowjetische“ Methode an. Danach wird das BSP anhand der Produktionsvolumina, also über Tonnen, Stück oder Kilowattstunden errechnet. Dazu wird nach wie vor der Output von Gütern und Dienstleistungen herangezogen, der von den Betrieben gemeldet wird. Nur: Anders als im planwirtschaftlichen Regime mit seinen unechten, festgelegten Preisen können heutzutage Output und Umsatzpreise unter Marktbedingungen erheblich voneinander abweichen. Außerdem scheinen viele kasachische Unternehmen, wenn sie ihre Preise nach oben melden, tatsächlich ihre Herstellungskosten anzugeben.

Damit kommt eine regelrechte Fehlerkette in Gang. Denn auch andere Positionen in der Berechnung des BSP basieren auf den Output-Zahlen der Industrie. So wird diese Zahl mit der Entwicklung der Importe nach Kasachstan kombiniert, um auf diese Weise abzuschätzen, wie der Handelssektor zur Wirtschaftsleistung beigetragen hat. Mehr noch: Weil andere Erfassungsmethoden fehlen, zieht Goskomstat für mehrere Dienstleistungsbranchen einfach die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen heran, um daraus die Entwicklung der Wertschöpfung abzuleiten.

Pikant ist, daß Goskomstats Methoden der Datenerhebung noch 1994 auf die Zustimmung dreier Missionen des Internationalen Währungsfonds (IWF) gestoßen war. Damals herrschte in Kasachstan Hyperinflation, und die zugelieferten Preise waren für Goskomstat praktisch wertlos. Doch die Geldentwertung ist inzwischen auf rund drei Prozent pro Monat heruntergedrückt – Spielraum genug, um die Methoden zu aktualisieren. An einer offiziellen Revision hat die Regierung in der Landeshauptstadt Almaty (einst Alma-Ata) allerdings wenig Interesse, weil damit eine Erfolgsmeldung zurückgenommen und ausländische Investoren abgeschreckt werden könnten. Außerdem dienen die mit IWF-Zustimmung erhobenen Daten wiederum für Verhandlungen mit dem IWF selbst und dämpfen den Reformdruck, der auf der kasachischen Regierung lastet.

Auch die Größe des Haushaltsdefizits in Kasachstan scheint ein statistisches Geheimnis bleiben zu sollen. Amtlich-vorläufig liegt es für 1995 bei 3,2 Prozent des BSP. Aber die zugrunde liegenden Daten des Finanzministeriums und der Zentralbank wichen so stark voneinander ab, daß es in den Kazakstan Economic Trends lakonisch heißt: „Gegenwärtig kann dafür keine plausible Erklärung abgegeben werden.“

Das DIW ist in Kasachstan über das EU-Programm Tacis tätig, mit dessen Hilfe seit 1991 marktwirtschaftliche und demokratische Reformen in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion begleitet werden. Das Berliner Institut beteiligt sich an einem Expertengremium des Zentrums für Wirtschaftliche Reformen in Almaty, in dem die Bemühungen um eine erstmals glaubhafte Darstellung der wirtschaftlichen Entwicklung Kasachstans zusammenlaufen.

Zwar müssen möglicherweise auch die Ergebnisse des DIW wieder etwas nach oben revidiert werden, weil das Bruttosozialprodukt insgesamt unterbewertet erscheint. Dennoch dürfte dies den Gesamteindruck nicht beeinträchtigen, daß die kasachische Wirtschaft ihre Talsohle noch nicht durchschritten hat.

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