Geheime Cryptopartys: Hast du Ligia Lewis gesehen?

Früher bekam man Mails und SMS, um den Ort einer halblegalen Party zu erfahren. Heute muss man dafür Bitcoins schürfen.

Ein Mensch mit Sonnenbrille in einem dunklen Raum, hinten an der Wand hängt eine rote Neonröhre in Kreisform

Düster und mysteriös: Beim Crypto-Rave in Berlin-Wedding Foto: Omsk Social Club/!MedienGruppe Bitniks

Ein Hinterhof in Berlin-Wedding. Der weißhaarige Mann am Eingang hält zwei Fläschchen Nagellack in die Luft. „Den roten oder den blauen?“ „Ähm, den roten, bitte.“ Der Mann lächelt mir aufmunternd zu und lackiert dann meinen kleinen linken Fingernagel.

Die Frau neben ihm, zwei beeindruckende Schatten unter ihren Augen, scannt in der Zwischenzeit den QR-Code auf dem Ticket ein, gleicht die Mining-ID mit der Gästeliste ab und drückt mir einen Stempel auf den Arm: ein riesengroßes kleines E mit einem Heiligenschein drumherum – das Symbolbild des Browsers Internetexplorer. Und schon geht es ab in den warmen, wummernden Nebel.

Der Underground-Rave birgt ein Dilemma: Er muss underground genug sein, damit nicht die Polizei mitravt. Er darf aber auch nicht zu underground sein, weil er sonst einfach nur eine WG-Party ist.

Die Miete für eine gute Musik­anlage mit ordentlich Wums zahlt sich auch nicht von alleine. Für ein Event, dem kein prominentes Line-up und keine Ankündigung im Online-Veranstaltungsblog Resident Advisor vorauseilt, lassen sich nur schlecht Earlybirdtickets verkaufen.

Und weil ein anständiger Rave, hemmungslos und substanzgeschwängert, das wahrscheinlich letzte insta­gramfreie Refugium unserer Zeit ist, fallen auch die sozialen Medien zur Kommunikation weg. Ein paar schlaue Leute haben nun möglicherweise eine Lösung für all diese Probleme auf einmal gefunden: Sie nutzen Blockchaintechnologie, um Partys zu organisieren.

Ticket, Location und Gästelistenplatz

Konkret funktioniert das so: Ein Veranstalter verkündet online, dass an einem bestimmten Tag in einer bestimmten Stadt ein Rave stattfindet. Wer dabei sein will, schickt eine E-Mail und bekommt einen Link zu einer spacigen Mining-Seite (zumindest in Berlin), über die man die Cryptowährung Monero (Esperanto für „Münze“) schürfen kann. Schürfen bedeutet in diesem Fall, auf „Start Mining“ zu klicken und das Browser­fenster nicht zu schließen. Nach einer Stunde minen bekommt der User ein Ticket, nach sechs Stunden Infos zur Party­location und nach elf Stunden einen Plus-one-Gästelistenplatz.

Die geschürften Bitcoins wandern auf das Konto der Veranstalter

Die geschürften Moneros wandern derweilen auf das Konto der Veranstalter, im besten Fall finanzieren sie den Rave. Während man eine ziemlich potente Grafikkarte und einen Haufen Strom braucht, um Bitcoins zu schürfen, lassen sich die Monero-Rechenaufgaben selbst mit mobilen Geräten lösen. Eine Art Soli-Mining quasi, bei der es keine Obergrenze gibt und Fairness und Privatsphäre sehr wichtig sind. Dass sich die Klarnamen der Veranstalter*innen des Crypto­raves in Berlin innerhalb weniger Sekunden ergoogeln lassen, wirkt nicht sehr schlüssig, tut dem Ganzen aber auch keinen Abbruch.

Drei Tage vor dem Cryptorave, Sonntagnachmittag, in einem weiß gekachelten Co-Workingspace in Berlin-Schöneberg. Ungefähr zwanzig Menschen tapsen mit geschlossenen Augen auf einem Teppich aus Yogamatten herum und stellen sich vor, sie würden mit einem Topf Säure auf dem Kopf durch die Wüste wandern. „Your eyes are melting, thick alien tears are dropping down your cheek“, sagt Penny, deren Nachname unbekannt bleiben soll.

Penny ist Teil des Kunstprojekts Omsk ­Social Club. Möglicherweise ist sie auch Omsk Social Club. Penny hat kurze blonde Haare und eine Mandarine in der Hand, die sie Orange nennt und die man sich nehmen muss, wenn man reden will, ohne dass einer einem dreinredet. Essen darf man die Mandarine nicht. Mit einer ganzen Reihe Übungen bereitet uns Penny auf den bevorstehenden LARP vor und beantwortet jede noch so banale Frage mit übermenschlicher Geduld.

Rollenspiel und Improtheater

LARP steht für Life Action Role Play und ist eine Mischung aus Rollenspiel und ­Improtheater. Wer in einen anderen Charakter schlüpft, so die Theorie, lernt sich dabei selbst besser kennen und öffnet seinen Horizont. Ein leiser Mensch kann endlich mal ein lauter Mensch sein, eine Steuerberaterin ein Burgfräulein, ein Pastor Daenerys Targaryen, die Drachenkönigin aus der TV-Serie „Game of Thrones“.

Verkörpert ein Schläger ein gemobbtes Schulkind, denkt er das nächste Mal vielleicht eine Sekunde länger darüber nach, bevor er jemandes Kopf in ein Klo steckt. Rollenspiele sind aber auch eine gute Möglichkeit, auf semilegalen Partys die eigene Identität geheim zu halten, ohne der Weirdo zu sein, der jeder Frage ausweicht.

Letztere Zuschreibung trifft auf die Workshopteilnehmer*innen übrigens nicht zu. Alle sind umgänglich und entspannt, was zum Großteil an Penny liegt. Viele sehen aus, als würden sie gerade vom Gallery Weekend kommen und gleich noch einen Sprung ins Berghain schauen; einer hat eine schwarze Adidas-Jogginghose an, eine einen dunklen Kimono, eine andere den Umriss einer Katze tätowiert.

Zwei Wochen vor dem Rave bekommen alle einen fiktiven Charakter zugeschickt. Meiner heißt Sunni, liebt das Burning-Man-Festival in der Wüste Nevadas und das Silicon Valley. Sunni ist leise, hat gute Manieren und ist einfach zu beeindrucken. Sie hofft, auf dem Rave einer Person namens Ligia Lewis zu begegnen, die in einer ­Mikro­kommune lebt und ein sehr ansteckendes Lebensmantra hat.

Balkan-Hawaii-Jungle

Um 23 Uhr (begonnen hat die Party um neun) ist die Tanzfläche noch fast leer. Eine Handvoll der gut 200 Raver*innen bewegt sich rhythmisch zum Techno, der eigentlich mehr eine Art Balkan-Hawaii-Jungle ist. Der Rest nippt an seinem Bier.

Im Toilettenbereich treffe ich Freddy, er hat seine Kappe mit Aluminiumfolie bezogen. „Ligia Lewis? No, sorry, I haven’t met her. But I heard she’s here!“, sagt Freddy – auch er und alle anderen Gäste sind aus gegebenem Anlass anonymisiert – und bietet mir an, bei einem seiner Aluminium-Workshops mitzumachen. „With this“, sagt Freddy und deutet auf seine Kappe, „you can keep the CIA, the NSA and all the others from stealing from you.“ Dann verschwindet er auf die Männertoilette. Es gibt keine Warteschlange, es riecht nach Räucherstäbchen, und niemand geht gemeinsam aufs Klo.

Ich wate durch den Nebel zurück auf die Tanzfläche. Dabei versuche ich mich so zu bewegen, wie Sunni sich bewegen würde: enthusiastisch, aber zurückhaltend. Außer mir wackeln noch ungefähr zwanzig andere im Takt. Da ist der Typ mit den rosa Lamettahaaren, „Yes, it’s my natural hair“. Da ist der dünne Spargel namens Bernard, der für Google auf der Party ist und nach 20 Sekunden klarstellt, dass er „nicht wirklich“ für Google hier ist.

Da ist Flunky, die aus irgendeinem Grund nicht mit mir redet, Rider Wild aus San Diego, der Programmierer ist, „aber eigentlich Musiker“, und schließlich Goth, die ich nicht aufhören kann anzustarren: Ihre Gesichtszüge sind perfekt symmetrisch, der Lippenstift lumineszierend, außerdem ist sie eine Tänzerin. „My profession is cryptodance“, sagt sie und bewegt sich schlangenartig, als wollte sie sich aus ihrem glitzernden Tubetop schälen. Alle haben von Ligia gehört, getroffen hat sie noch keiner.

Nüchtern und anonym

„Gwüss, d’ Ligia müese scho do gsi“, versichert mir die Frau am Eingang. Sie heißt Carmen und hat zusammen mit ihrem Mann Doma unter dem Namen Mediengruppe Bitnik schon vier oder fünf Cryptoraves organisiert. Nein, das Mining selbst finanziert den Rave leider nicht ausreichend. Nein, auch nicht annähernd. Ja, es gibt eine Kulturförderung. „Aber s’isch a guades Tool, um G’minschofts- und Verantwortigg’fühl z’ erzeuge.“

Kurz vor drei, der Techno ist immer noch Jungle, starte ich einen letzten Versuch, Ligia zu finden. Die leise Ahnung, dass es sie gar nicht gibt, dass sie nur eine Utopie ist, ein Eisbrecher, um ins Gespräch zu kommen, mit dem sich niemand angreifbar macht, wird aber immer größer. Und auch das Gefühl, dass ich zwar mit vielen geredet, aber niemanden kennengelernt habe.

Gespräche versanden in der Beiläufigkeit, Sunnis gute Manieren beginnt zu nerven, und obwohl fast alle Englisch reden, trau ich mich niemanden zu fragen „Where are you from?“, geschweige denn „What do you do?“ oder „Can you give me your number?“

Eine Stunde später ist die Party dann zu Ende – ohne Grenzüberschreitungen, ohne Datenleaks, ohne Kollateralschäden und ohne schlechtes Gewissen. Es ist noch dunkel, die Vögel fangen an zu zwitschern und alle gehen wieder heim, nüchtern und anonym, wie sie gekommen sind.

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